Russlands neues Flugzeug ist ein Schrottvogel: Aus für An-2-Nachfolger?

UPDATE: Baikal-Flugzeug in der Sackgasse?
Russlands An-2-Nachfolger ist ein Schrottvogel

Zuletzt aktualisiert am 15.05.2025

Hat man in Russland verlernt, wie man Flugzeuge baut? Das natürlich nicht, aber ein bisschen peinlich ist es schon, dass mit dem "Baikal-Flugzeug" LMS-901 bereits das zweite neue Luftfahrtprojekt binnen weniger Jahre an eklatanten konstruktiven Mängeln scheitert. Zunächst traf es den verkorksten Militärtransporter Iljuschin Il-112W, dessen einziger Prototyp am 17. August 2021 abstürzte – und dessen Entwicklung schließlich zwei Jahre später eingestampft wurde. Zwar arbeiten die Russen seither an einem neuen Entwurf als Ersatz, gehört hat man davon aber auch schon länger nichts mehr.

Jetzt also trifft es anscheinend die LMS-901 Baikal. Das Flugzeug, das eigentlich dafür gedacht war, die legendäre Antonow An-2 im russischen Hinterland als Verkehrsmittel für Fracht und Passagiere zu beerben. Man habe die Arbeit an dem Turboprop-Schulterdecker, der Ende Januar 2022 zum Erstflug abhob, bis auf Weiteres beendet, gab Russlands Vize-Ministerpräsident Juri Trutnew gegenüber Journalisten kund. Laut Trutnew weist der Baikal-Entwurf eklatante Mängel auf, die es dem Flugzeug unmöglich machen, die im Raum stehenden Anforderungen und Kriterien zu erfüllen. Die Entwicklung sei in einer Sackgasse gelandet, zitiert die Nachrichtenagentur Tass den russischen Regierungsvize am 14. Mai. Im Staatsduma-Ausschuss für den Fernen Osten und die Arktis hatte Trutnew zuvor erklärt, mit einer Produktion der LMS-901 sei nicht zu rechnen. "Das heißt, wir erwarten kein Baikal-Flugzeug."

Ural Works

Harte Kritik – und ein Dementi

Trutnew kritisierte die Entwickler der LMS-901 Baikal gegenüber der Presse mit drastischen Worten: "Das Problem, das uns aus der Bahn warf, war die Start- und Landestrecke. Ich kann nicht verstehen, wie man den Auftrieb der Tragfläche nicht berechnen konnte. Der Auftrieb der Tragfläche [bestimmt] die Länge der Start- und Landebahn, die für ein Flugzeug benötigt wird. Wir begannen mit 600 Meter, dann [stellte sich heraus, dass] 1.200 Meter nötig waren." Zudem seien die Kosten für die Turboprop-Einmot zuletzt in die Höhe geschnellt und hätten sich verdoppelt. "Sie sagten, es liege an der Avionik, aber Avionik ist ein so kompliziertes Thema, weil sie die Einsatzparameter des Flugzeugs bestimmt", so der Vize-Premier weiter. An sich wären gestiegene Kosten laut Trutnew nicht entscheidend gewesen. Aber offenbar wohnen dem Baikal-Entwurf von Haus aus derart massive Fehler inne, dass ein weitreichender Umbau der Zelle vonnöten wäre.

Unterdessen meldet die Nachrichtenagentur Interfax am 15. Mai, dass das russische Ministerium für Industrie und Handel, das die Entwicklung des Baikal-Flugzeugs maßgeblich finanziert, die Aussagen des Kabinettskollegen Juri Trutnew zurückweist. Demzufolge solle doch noch weiter an der LMS-901 Baikal gearbeitet werden. Ein zweiter, überarbeiteter Prototyp habe zwischenzeitlich 20 Flüge absolviert. "Die Wirksamkeit der abgeschlossenen Verbesserungen wird bestätigt", so das Ministerium. "Die Arbeiten zur Schaffung des leichten Mehrzweckflugzeugs LMS-901 Baikal mit heimischem Motor laufen unter Berücksichtigung der zuvor eingegangenen Kommentare weiter." Als Nächstes stehe die Umrüstung des Flugzeugs auf das russische WK-800SM-Triebwerk und den – ebenfalls russischen – Aerosila-Propeller AW-901 an.

Teure Fehlkonstruktion

Ob das tatsächlich stimmt, ist aber alles andere als sicher. Bereits Anfang des Jahres merkten russische Kritiker an, der Prototyp der LMS-901 habe bei Flugtests massive Stabilitätsprobleme im Langsamflug gezeigt. Wahrscheinlich seien mindestens ein größeres Leitwerk, die Verlagerung des Spornrads sowie eine Neukonstruktion des Hauptfahrwerks notwendig, schrieb die Wirtschaftszeitung Kommersant seinerzeit. Die von der Zeitung befragten Insider rechneten damit, dass der Kreml das Projekt "schmerzlos beenden" werde, da die Rekonstruktion das Projekt um drei bis fünf Jahre zurückwerfen würde. Bereits damals kamen aus Moskau eher halbherzige Dementis – laut Trutnews Sicht der Dinge scheint es nun tatsächlich so, als lasse die Regierung das missratene Baikal-Flugzeug sterben. Aus der gegensätzlichen Stellungnahme des Industrie- und Handelsministeriums geht derweil nicht hervor, wie man sich den weiteren Zeitplan für das medial im Kreuzfeuer stehende Flugzeug konkret vorstellt – und wie teuer das Projekt noch wird.

Russisches Ministerium für Industrie und Handel

An-2 mit "neuem" Motor

Vize-Ministerpräsident Trutnew hat jedenfalls schon eine Alternative in petto: die Remotorisierung der An-2-Bestandsflotte mit dem sowjetischen Turbopropmotor Gluschenko TWD-10. Die Produktion des Triebwerks, das aus den 70er-Jahren stammt, solle wieder aufgenommen werden, hieß es bereits im Frühjahr dieses Jahres – zunächst allerdings für die bereits existierenden An-2-Turbinen-Umbauten namens TWS-2MS, die bislang mit dem US-amerikanischen TPE-331 von Honeywell bestückt sind. Davon gibt es aber ohnehin nicht viele. Wenig überraschend, dass Juri Trutnew auch die Konversion der originalen, deutlich häufiger anzutreffenden Sternmotor-Antonows mit dem Gluschenko-Triebwerk im Sinn hat.

Gar nicht mal so alte Antonows

Was auch immer letztendlich mit der LMS-901 Baikal geschieht: So oder so scheint klar, dass der "Traktor der Lüfte", die legendäre An-2, noch einige Jahre Dienst schrubben muss, um die entlegenen Dörfer Russlands mit dem Rest der Welt zu verbinden. Rein strukturell ist das möglich, denn die An-2 stammt zwar ursprünglich aus den 40er-Jahren, die heute im Linienverkehr eingesetzten Exemplare wurden aber (fast) ausnahmslos in den 80ern bei PZL in Polen in Lizenz gefertigt und re-importiert. Da das Flugzeug keine Druckkabine besitzt, lässt sich die Lebensdauer theoretisch unbegrenzt ausdehnen – entsprechende Wartung vorausgesetzt. Der Umstand, dass Russland sein Mobilitätsproblem im Hinterland mit einer Kombination aus altem Flugzeug und aufgewärmtem Motor lösen muss, weil der eingeplante Neuentwurf ein Rohrkrepierer ist, hinterließe – wenn es denn so kommt – dennoch einen recht bitteren Beigeschmack.