Schwerlast-Spezialist
Antonow An-124 weltweit im Einsatz

Hilfslieferungen nach Afrika, Satelliten in die USA, Pipeline-Ausrüstung nach Russland, ganze Flugzeuge nach Asien: Spektakuläre Transporte gehören zum Alltag der ukrainischen Riesen. Für kommerzielle Einsätze weltweit gibt es in großer Zahl nur die Antonow An-124.

Antonow An-124 weltweit im Einsatz

Scheinbar mühelos gleitet die mehr als 30 Tonnen schwere Last wie ein großes Stück Beute in den riesigen Schlund eines Raubfischs. Nur dass der Bauch 36 Meter lang, 6,4 Meter breit und 4,4 Meter hoch ist. Käme jemand auf die Idee, Tennisbälle befördern zu wollen, hätten mehr als acht Millionen davon in der Antonow An-124 „Ruslan“ Platz. Der nicht druckbelüftete Laderaum ist frei von Hindernissen und besitzt einen Boden aus Titan, um auch schwerste Lasten tragen zu können wie heute beispielsweise eine Pipeline-Ausrüstung. „Spokojno!“, ruft der Chef der Beladungsmannschaft dem Bediener der Winde zu. Er soll das Pipeline-Ausrüstungsteil etwas langsamer an Bord hieven.

Wie ein stolzer Held vor seinem Herrscher kniet der Frachter auf dem Vorfeld des Flughafens Düsseldorf. Innerhalb von drei Minuten lassen sie die beiden Bugfahrwerke einfahren, so dass sich der Frachtraumboden um 3,5 Grad neigt. Mit der nach oben geklappten Nase bietet die An-124, deren Namensgeber der Held „Ruslan“ aus einer Geschichte Puschkins ist, nach wie vor ein eindruckvolles Bild. „Jeder dieser Transporte stellt etwas Besonderes dar, weil er einfach ganz anders als sonst üblich abläuft“, sagt Uwe Heinz, Betriebsleiter Luftfracht in Düsseldorf.

In der Tat haben die Antonow-Crews ihr eigenes System entwickelt, an das sie auch keine Außenstehenden lassen. Je nach Einsatz sind sie mit bis zu 20 Mann unterwegs und bilden ein eingespieltes Team. Hektik will daher in dieser kühlen Montagnacht nicht entstehen. Vor der Rampe des Flugzeugs haben sie eine rote Bühne aufgebaut. Der neben der An-124 parkende Kranwagen hebt die Last auf spezielle Schienen. Die im Frachtraum angebrachten Winden ziehen das Ganze dann in die Maschine. Außerdem verfügt der Frachtraum noch über zwei Kräne an der Oberseite mit einer zulässigen Last von jeweils zehn Tonnen. Ebenfalls an der Decke findet sich eine hydraulisch einziehbare Leiter zum Cockpit. Hier ist Schwindelfreiheit der bis zu sechsköpfigen Crew gefragt, denn der Weg führt ganze fünf Meter hoch. Auf dem oberen Deck schließt sich hinter dem Cockpit ein Ruheabteil für eine zweite Besatzung bei Langstreckenflügen an. Hinter der Tragfläche befindet sich eine größere Sektion für die Lademannschaft, die, falls komplett mit Passagiersitzen ausgerüstet, bis zu 88 Personen fassen kann.

Heute kann sich dort indes noch niemand ausruhen. Mittlerweile ist nämlich das erste Stück der Pipeline-Ausrüstung am Ende des Laderaums angekommen und wird ordentlich verzurrt. Der Beladungschef wendet sich dagegen bereits dem zweiten Teil eines Rohrleitungsbau-Unternehmens aus Leverkusen zu. Beide Elemente werden im sibirischen Tscheljabinsk schon sehnlichst erwartet. Allerdings geht es am nächsten Morgen erst einmal zum Tanken nach Leipzig.

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Weltrekord mit 171 Tonnen Fracht

Die Daten der An-124 im Vergleich mit anderen Frachtflugzeugen. Grafik und Copyright: FLUG REVUE

Selbst 25 Jahre nach dem Erstflug am 26. Dezember 1982 sorgt die An-124 überall für Aufsehen. Schließlich erschloss der ursprünglich als Militärfrachter für die ehemals sowjetischen Luftstreitkräfte entwickelte Riese ein neues Marktsegment, denn für den kommerziellen Transport übergroßer Lasten existierten bis dahin nur einige wenige Spezialflugzeuge. Große Beachtung erregten der erste Auftritt im Westen während der Luftfahrtmesse 1985 in Le Bourget sowie die zahlreichen Weltrekorde, darunter das Befördern einer Nutzlast von 171 Tonnen auf eine Höhe von 10750 Metern am 26. Juli 1985. Damit hatte die „Ruslan“ die Lockheed C-5 Galaxy als größtes Flugzeug der Welt abgelöst.

Das Antonow-Konstruktionsbüro sicherte in schweren Zeiten sogar das eigene Überleben mit dem Verchartern von An-124 aus eigenen Beständen unter dem bis heute bestehenden Namen „Antonow Airlines“. Den Durchbruch markierte dann die Zusammenarbeit mit britischen Frachtunternehmen. Ab 1989 arbeiteten die Ukrainer mit Air Foyle zusammen, und ab 1991 folgte die Kooperation von HeavyLift Cargo Airlines mit der russischen Firma Volga-Dnepr. Von da an war die zivile Version An-124-100 überall auf der Welt im Einsatz und stellt somit eines der derzeit wenigen erfolgreichen Zivilflugzeuge aus der ehemaligen Sowjetunion dar. Die Nachfrage war sogar so groß, dass das Militär immer mehr „Ruslans“ an kommerzielle Betreiber abgab.

Insgesamt haben die beiden Fertigungswerke in Russland und der Ukraine mit zeitweiliger Unterbrechung 56 Exemplare einschließlich Testzellen gebaut. Im Jahr 2000 begann das russische Werk Aviastar in Uljanowsk ein Programm zur Verlängerung der Lebensdauer. Außerdem führte Antonow bei der An-124-100M-150 Modernisierungsmaßnahmen durch, welche die Nutzlast auf 150 Tonnen erhöhten und ein verbessertes Navigationssystem enthielten. Sogar die Wiederaufnahme der Serienfertigung soll in Angriff genommen werden, es scheint aber derzeit an den Finanzen zu hapern. Pläne, die An-124 mit westlicher Avionik und Triebwerken von GE, Pratt & Whitney oder Rolls-Royce auszustatten, wurden bis heute nicht verwirklicht.

Derweil haben Antonow Airlines und Volga-Dnepr ihre Charteraktivitäten im Juli 2006 zu Ruslan International zusammengefasst. Das Büro des Gemeinschaftsunternehmens ist auf dem Flughafen Stansted in Großbritannien beheimatet und hat 17 Antonows in der Flotte. Auch in Deutschland ist der russische Recke oft zu Gast. Bis zu sechs An-124 stehen für multinationale NATO- oder EU-Einsätze zur Verfügung. Insgesamt 17 europäische Nationen und Kanada hatten sich als Übergangslösung, bis Flugzeuge wie der Airbus A400M zur Verfügung stehen, zur Strategic Airlift Interim Solution (SALIS) zusammengeschlossen. Am 23. März 2006 nahm schließlich die Ruslan-Salis GmbH in Leipzig als Tochter der Volga-Dnepr den Betrieb auf. Im vergangenen Jahr absolvierte sie mehr als 130 Flüge und transportierte dabei 7031 Tonnen Fracht. Die Anzahl der Flüge wuchs im Vergleich zum Vorjahr um 17,9 Prozent. Aber auch so kann sich die An-124 nicht über mangelnde Nachfrage beklagen.

FLUG REVUE Ausgabe 06/2008

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