Angefangen hat alles damit, dass Lufthansa dem Markt hinterhergehinkt hat“, erzählt Georg Stoffelen, Manager bei den Aircraft Modification & Engineering Services der LHT in Hamburg. „In der Business Class gab es noch die älteren 167-Grad-Sitze, wo andere bereits ‚full flat‘ flogen, und wenn schon neu, dann gleich für alle.“ Da waren die Hamburger noch ganz ruhig, denn sie gingen von einem Zeitraum von fünf bis sechs Jahren aus, in denen während der Heavy Checks die Umbauten realisiert werden sollten.
Andererseits wollten die Vertreter der Passage nicht, dass beispielsweise Vielflieger einmal die neuen Sitze ausprobieren konnten und beim nächsten Mal vielleicht wieder mit den „alten“ hätten vorliebnehmen müssen. So etwas schadet dem Ruf der Airline. „Da ahnten wir schon, dass wir mit einem kürzeren Zeitraum rechnen mussten“, sagt Stoffelen, „denn die neuen Sitze sollten ja auch mit einem neuen Inflight Entertainment System ausgestattet werden.“ Bis dahin hatte Lufthansa ein System verwendet, das in der Branche nicht gerade weit verbreitet war, und deshalb gab es langsam Probleme bei der Ersatzteilversorgung. Also entschied man sich für ein neues System von RAVE, bei dem die Spezialisten von Lufthansa Technik sogar Geräte mit entwickelten und qualifizierten.
„Die veränderten Abmessungen der neuen Sitze hatten wir im Hinterkopf, als wir versuchten, sie optimal in die Kabine einzubauen“, berichtet der Manager über diese erste Planungsphase. Bei manchen Flugzeugen passte alles besser, bei manchen nicht ganz so gut, „aber wir erreichten ein Optimum und hatten im Endeffekt keinen Sitz für den Verkauf verloren“. Die Experten rüttelten und schüttelten Sitze, Galleys und Toiletten durcheinander und bauten die Kabinen am Computer praktisch neu auf – mit dem Ergebnis, dass plötzlich eine Galley oder ein Waschraum vier oder fünf Zentimeter im Wege standen. Da stieg bereits eine Ahnung vom Mehraufwand auf: „Uns war klar, dass wir die Kabine für die Modifikationen komplett ‚nackig machen‘ mussten, und das war schon der halbe Weg zur Komplettausstattung.“
Als Nächstes kamen nämlich die neuen Eco-Sitze für die A380, A340-600 und die Boeing 747, und als schließlich noch der Beschluss zur Einführung der „Premium Economy“ gefasst wurde, war die Sache komplett, und die Experten in Hamburg hatten ihre ersten schlaflosen Nächte. „Im Oktober 2010 begannen wir mit der Planung und setzten uns ein paar Tage mit Vertretern der Zulieferer zusammen. Wir sprachen über Produktions- und Lieferzeiten und vor allem über die Kosten, kamen zum Schluss auf 1,2 Milliarden Euro und dachten, dass der Vorstand eine solche Investition nie genehmigen würde. Vier Wochen vor Weihnachten bekamen wir aber wider Erwarten das Go! Das hatte ich noch nie erlebt.“
Immerhin handelte es sich um die Modifizierung von 80 Flugzeugen, allerdings mit unterschiedlichem Aufwand. Bei den neuen 747-8 war am wenigsten zu tun, bei den älteren 747-400 am meisten. Die Berechnungen ergaben alles in allem 1,45 Millionen Mannstunden für die Realisierung der Arbeiten, was in etwa dem Gegenwert von 30 D-Checks entspricht, und da waren sogar Maschinen dabei, die anschließend doch noch zu einer solchen Heavy Maintenance mussten, einfach weil ihre Zeit gekommen war und sie zwar nun eine neue Kabine hatten, alles andere aber dringend der Überholung bedurfte.
„Über den Daumen gepeilt brauchten wir rund einen Monat, bis eine Maschine runderneuert wieder in Dienst gehen konnte“, berichtet Georg Stoffelen, „und dafür mussten wir die Regel brechen, dass Lufthansa im Sommer mehr fliegt und im Winter mehr überholt.“ Jetzt wurde gleichzeitig geflogen und umgerüstet, denn sonst wäre der Auftrag nicht zu schaffen gewesen, und das bedeutete eine akribische Abstimmung mit den Flugplankoordinatoren. So flog beispielsweise eine Maschine mit Passagieren nach Hongkong und dann leer nach Xiamen, wo sie eine neue Kabine erhielt und von schließlich mit Passagieren wieder nach Hause.
„Insgesamt arbeiteten wir an acht verschiedenen Standorten weltweit und kauften dafür noch Kapazitäten in Zürich, Singapur, Xiamen und Bordeaux hinzu“, so der Manager. Das bedeutete aber auch, dass ständig Spezialisten aus Hamburg vor Ort sein mussten. Sie vermittelten das erforderliche Know-how für die Installation der neuen Technik und sorgten für die Qualitätskontrolle nach den Standards der Lufthansa Technik. Dafür sind sie weltweit bekannt, nicht immer geliebt für die harten Forderungen, aber respektiert allemal.
32 500 Sitze wurden installiert
Eine neue Kabine sofort auf Reisen zu schicken, birgt allerdings auch einige Tücken, denn man muss ja immer mit Kinderkrankheiten rechnen. Wenn diese jedoch gleich beim ersten Einsatz ausbrechen, ist das für die Airline peinlich. Nichts ist gefährlicher als ein Passagier, der für den Preis seines Tickets nicht den versprochenen Gegenwert erhält, denn seine Antiwerbung für die Airline kann großen Schaden anrichten. „Wir hatten allerdings auch die Möglichkeit, solchen Gefahren entgegenzusteuern, weil genau im Zeitraum der Flottenumrüstung neue Maschinen in Dienst gestellt wurden. So hat die Passage die 747-400, die eigentlich zu diesem Zeitpunkt die Flotte verlassen sollte, noch länger fliegen lassen, damit andere Flugzeuge in die Werft gehen konnten.“
Das klingt einfacher als es tatsächlich ist. Schon wegen des Caterings und der zur Verfügung stehenden Crews kann man eine typische A340-Strecke nicht von heute auf morgen von einem Jumbo bedienen lassen. Das erfordert Planung und gute Organisation, und Georg Stoffelen betont, dass praktisch der gesamte Konzern mitgearbeitet hat, um das große Vorhaben zu realisieren.
„Dafür haben wir wöchentlich zwei Meetings abgehalten, und alle Probleme, Überraschungen und ungeplanten Änderungen führten in den zweieinhalb Jahren zu 138 großen Plananpassungen, die kleinen nicht mitgerechnet.“ Der Flugbetrieb durfte schließlich nicht unter den Arbeiten leiden, weshalb in Hamburg ein riesiges Zentrallager aufgebaut wurde, wo Spezialisten alle Lieferungen sammelten, kontrollierten und zu Kits für jedes einzelne Flugzeug zusammenstellten. Dem folgten Verpackung und Versand in insgesamt 1800 40-Fuß-Containern. Dazu Stoffelen: „Ich erinnere mich noch an einen Familienspaziergang am Hamburger Hafen, als plötzlich bei einem Schiff ein Container über Bord ging. Ich bekam einen riesigen Schreck, als mich der Gedanke durchfuhr, dass darin meine Sitze hätten sein können.“
Glücklicherweise ist so etwas nie passiert, und in der gesamten Zeit ging kein einziges Teil verloren. Dass aber einmal ein Schiff wegen eines Wirbelsturms in Hongkong liegenblieb, die für Manila bestimmten Container ausgeladen und per Flugzeug weitertransportiert werden mussten, gehörte schon fast zur Normalität. Eine Antonow An-124 voller Flugzeugsitze bekommt man ja auch nicht alle Tage zu sehen. Insgesamt wurden bei der gesamten Aktion 32 500 Sitze installiert, was eine leichte Ahnung von dem riesigen organisatorischen und logistischen Aufwand vermittelt.
„Abgesehen von einigen Teilzeitkräften haben wir Personal aufgebaut, das wir anschließend nicht wieder entlassen mussten. Wir haben nach wie vor viel zu tun, wenn auch auf anderer Ebene.“ Auch das Hamburger Zentrallager wurde nicht mehr aufgegeben, denn als Nächstes steht die Umrüstung der A330 von drei auf zwei Klassen bevor. Zu tun gibt es tatsächlich genug. Stoffelen indes gibt zu, dass ihm derzeit etwas fehlt. „Irgendwie bin ich nach Abschluss der Aktion in ein Loch gefallen, und an die veränderten, normalen Arbeitstage muss ich mich erst wieder gewöhnen.“ Was bleibt? Der Stolz auf das Unternehmen, darauf, dabei gewesen zu sein, auf die exzellenten Mitstreiter und den unersetzlichen Erfahrungsschatz.
Das Projekt „IK-Retrofit“...
... umfasste die Installation neuer Kabinen für die gesamte Langstrecken-(Interkont-)Flotte der Lufthansa, mit Sitzen für die First, Business und Economy Class, einem neuen Inflight Entertainment System sowie dem Breitband-Internet „FlyNet“. Seit 2011 wurde dafür durchschnittlich eine Million Euro pro Tag investiert. 600 Sessel für die Erste Klasse, 7000 in der Business Class, 3600 „Premium Economy“ und 27000 Eco-Sitze wurden eingerüstet. Bei einer 747-400 beispielsweise wurden die bisherigen acht Sitze der First Class im Oberdeck durch 22 der Business Class ersetzt. Im Main Deck wurde die Business auf 21 Sitze verkleinert, die Economy um 44 vergrößert. Jetzt finden insgesamt 389 Passagiere in einer solchen Maschine Platz, 37 mehr als vorher. Zu Spitzenzeiten arbeiteten rund 100 Kollegen der unterschiedlichsten Gewerke an einem Flugzeug; in Hamburg halfen zeitweise Mitarbeiter der LHT-Basis Sofia aus. Die letzte Liegezeit in Malta wurde vier Tage vor Plan abgeschlossen.
FLUG REVUE Ausgabe 01/2016