Satellitennavigation: EGNOS V3 im Anflug

Automatisch landen ohne ILS
EGNOS V3 im Anflug

Zuletzt aktualisiert am 08.08.2024

Für die Navigation mit dem Auto ist die Genauigkeit des Global Positioning System (GPS) von bis zu fünf Metern horizontal und bis zu 20 Metern vertikal meistens ausreichend. Für einen Autofahrer ist es auch nicht so wichtig zu wissen, wie präzise die Positionsbestimmung gerade ist. "Wenn Sie Flugzeuge damit steuern beziehungsweise landen wollen, müssen die Daten schon sehr genau sein und Sie müssen zu jeder Zeit wissen, ob die Ortungsinformation belastbar ist", sagt Silvio Sandrone, Vice President Navigation Programmes bei Airbus Defence and Space. Um GPS für die Zivilluftfahrt nutzen zu können, müssen die Signale der Navigationssatelliten verbessert werden. Das ist Aufgabe des European Geostationary Navigation Overlay Service (EGNOS), eines Erweiterungssystems, das in Europa die Positionsgenauigkeit von GPS auf ein bis drei Meter steigert und Integritätsinformationen liefert.

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DFS

Neue Möglichkeiten

Die Nutzer des Safety-of-Life-Dienstes erfahren innerhalb von sechs Sekunden, wenn falsche Daten gesendet werden oder der Empfang gestört ist. Heutige Positionsfehler gehen hauptsächlich auf die Einflüsse der Ionosphäre bei der Signalübertragung zurück. Die zweite Generation von EGNOS wurde 2011 für die Nutzung in der Zivilluftfahrt zugelassen. Seither wird das satellitenbasierte Ergänzungssystem (Satellite-Based Augmentation System, SBAS) für die Streckennavigation genutzt, seit 2016 auch für Präzisionsanflüge in Europa. SBAS-Systeme gibt es auch in anderen Regionen, zum Beispiel das Wide Area Augmentation System (WAAS) für Nordamerika, GPS-aided Geo Augmented Navigation (GAGAN) für Indien und das Multi-functional Satellite Augmentation System (MSAS) für Japan. Nach Angaben der europäischen Raumfahrtagentur ESA, die die Entwicklung von EGNOS betreut, verfügen mehr als 5000 Flughäfen in Europa, USA, Indien und Japan über SBAS-Verfahren. Airbus DS sowie 20 Unterauftragnehmer aus Frankreich, Deutschland, Spanien und der Schweiz arbeiten seit 2018 an der neuen EGNOS-Generation V3. Sie soll ermöglichen, dass Flugzeuge ab Ende des Jahrzehnts, innerhalb Europas, automatisch landen können – ohne Instrumentenlandesystem (ILS), nur auf Basis von Satellitennavigation. Es geht um Landungen mit dem Autopiloten, die der einfachsten ILS-Kategorie CAT I (Entscheidungshöhe 60 Meter, Landebahnsicht 550 Meter, zusätzlich zehn Meter vertikale Warngrenze) entsprechen. ILS der Kategorien 1 oder höher (CAT I, II, III) sind nur an Verkehrsflughäfen und größeren Flugplätzen zu finden, denn die Systeme sind teuer in der Anschaffung und im Unterhalt. "EGNOS schafft die gleiche, höhere Sicherheitsleistung für alle, egal ob Frankfurt oder Wangerooge", sagt Sandrone. Flugsicherungen hätten konkrete Pläne, sich von CAT-I-ILS zu verabschieden.

ESA / P. Carril

Höhere Genauigkeit

EGNOS V3 soll neben dem US-amerikanischen GPS künftig auch das europäische Satellitennavigationssystem Galileo verwenden. Damit ist es das erste SBAS, das zwei Konstellationen nutzt. Mehr Satelliten erhöhen nicht nur die Genauigkeit und die Ausfallsicherheit des Systems, sondern verbessern auch die Verfügbarkeit in den Randgebieten Europas. Anders als EGNOS V2 soll zudem nicht nur eine GPS-Frequenz empfangen werden, sondern zwei. Das verbessert die Genauigkeit und Integrität zusätzlich. Hinzu kommt, dass bei der neuen EGNOS-Generation Cybersicherheit erstmals von Anfang an mitbedacht wird, das System also vor Angriffen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure bestmöglich geschützt werden soll. "Ein Drittel aller Anforderungen an EGNOS bezieht sich auf das Thema Cybersicherheit", sagt Sandrone. Unter anderem deshalb ist es nach seiner Ansicht wahrscheinlich das derzeit komplexeste Projekt der Airbus-Raumfahrtsparte.

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Vielversprechender Test

EGNOS nutzt derzeit 38 Referenzstationen am Boden, deren Position bekannt ist. Sie nehmen GPS-Rohdaten auf und schicken sie an zwei Kontrollzentren in der Nähe von Rom und Madrid. Dort werden Differentialkorrekturen vorgenommen und Integritätsmeldungen erstellt. Die Korrekturdaten werden über sechs Uplink-Stationen an drei geostationäre Telekommunikationssatelliten gesendet, die sie an die Nutzer, sprich Luftfahrzeuge, verteilen. Diese müssen dafür mit einem entsprechenden SBAS-Empfänger an Bord ausgerüstet sein. Neuere Flugzeuge sind bereits ab Werk mit solchen Receivern ausgestattet, sie sind aber auch nachrüstbar. "Bei Airbus sind wir damit sehr weit fortgeschritten. Wir bieten seit Jahren auf allen unseren Flugzeugen das sogenannte Satellite Landing System, SLS, das EGNOS in Europa, WAAS in Amerika und so weiter reibungslos in die Avionik integriert", erklärt Sandrone. Angefangen habe man mit größeren Flugzeugen wie der A350, vor zwei Jahren sei das erste Flugzeug der A320-Familie mit SLS ausgeliefert worden. EGNOS V3 soll im Bodensegment rund 50 Referenzstationen und drei Betriebszentren umfassen. Um die Bodensegment-Architektur kümmert sich Toulouse. Neben neuer Hardware kommen vor allem neue Algorithmen zum Einsatz. Sie werden in Ottobrunn entwickelt. Ende 2022 hat das System die kritische Entwurfsüberprüfung bestanden. "Um das zu erreichen, mussten wir unter anderem unsere Algorithmen mit echten Daten, die von verschiedenen Stationen in Europa gespeichert wurden, testen", erklärt Sandrone. Im Lauf mehrerer Testwochen wurden sogenannte Performance Maps erzeugt, die die Verfügbarkeit anzeigen. Im Vergleich zu EGNOS V2 habe man eine enorme Verbesserung an den Rändern Europas gesehen. Nun sei man dabei, verschiedene Subsysteme zu integrieren und zu testen.

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Weitere Anwendungen

Betrieben und vermarktet wird EGNOS vom Unternehmen European Satellite Service Provider (ESSP) im Auftrag der EU-Kommission. Zugelassen wird das System sowie seine Weiterentwicklungen von der europäischen Agentur für Flugsicherheit, EASA. EGNOS V3 muss zudem durch Cybersicherheitsbehörden akkreditiert werden. Von dem hohen Aufwand für Entwicklung und Zulassung profitieren könnten künftig auch andere Branchen, beispielsweise der Bahnverkehr in Europa. Dafür muss die Genauigkeit sogar noch höher sein. "Sie müssen feststellen können, ob sich ein Zug auf dem rechten oder linken Gleis befindet", sagt Sandrone. Dann lieber doch erst einmal automatische, satellitengestützte Flugzeuglandungen.