Flight-Management-Systeme der nächsten Generation

Avionik
Flight-Management-Systeme der nächsten Generation

Zuletzt aktualisiert am 05.03.2020

Flugplanung, Navigation, Flugbahnmanagement und Flugführung: sicherheitskritische Aufgaben, die früher Flugingenieure und Navigatoren im Cockpit erledigten, übernehmen seit den 1980er Jahren Flight-Management-Systeme (FMS). Sie bestehen aus mehreren Flugmanagementcomputern sowie Ein- und Ausgabemodulen. Meistens befinden sich an Bord von Verkehrsflugzeugen zwei oder sogar drei FMS, die sich gegenseitig überwachen. Denn das FMS plant nicht nur den hinsichtlich Zeit oder Treibstoff optimierten Flugablauf, sondern kann das berechnete Profil in Verbindung mit dem Autopiloten auch nachfliegen.

Ein FMS greift auf Informationen von rund 30 verschiedenen Flugzeugsystemen zurück. Doch noch vor dem Start müssen die Piloten eine ganze Reihe an Daten manuell eingeben, darunter Start- und Zielflughafen, Wegpunkte, Ausweichflughäfen, Kerosinmenge, Startmasse, geplante Flughöhe, Anzahl der Passagiere. Je nach Art des Fluges kann das einige Zeit in Anspruch nehmen.

Grafik FLUG REVUE

Neue Datenquellen nutzen

Dabei liegen viele dieser Daten den Piloten aufgrund der Flugvorbereitung bereits in digitaler Form vor – auf ihrem Electronic Flight Bag (EFB), einem Tablet-PC. Bisher gibt es allerdings keine Möglichkeit, die Daten aus dem EFB ins FMS zu laden. Denn aus Sicherheitsgründen ist ein kritisches System wie das FMS bisher nach außen hin geschlossen. „Die Schnittstelle zwischen beiden [EFB und FMS; d. Red.] sind die Finger der Piloten“, sagt Peter Hitchcock, Vice President Commercial Avionics bei Thales. Der französische Technologiekonzern will die Lücke mit einem neuen, vernetzten FMS schließen. Dabei geht es nicht allein darum, eine Zwei-Wege-Kommunikation zwischen EFB und FMS zu ermöglichen, sondern generell Daten zu nutzen, die aus anderen Quellen als dem Flugzeug selbst stammen.

Thales begann die Neuentwicklung Ende 2015. Das System namens PureFlyt wurde im November 2019 im Rahmen eines internationalen Medienevents in Toulouse vorgestellt, zu dem auch die FLUG REVUE eingeladen war. PureFlyt soll die Arbeitsbelastung der Piloten reduzieren und es ihnen ermöglichen, in den wichtigen Flugphasen weniger Zeit „head down“, also mit dem Blick auf den FMS-Bildschirm, zu verbringen. Denn auch während des Fluges können und müssen die Piloten den Flugplan modifizieren, beispielsweise aufgrund von Vorgaben der Flugsicherung oder veränderter Wetterbedingungen. „Wir wollen dahin, dass Planänderungen frühzeitig möglich sind“, so Hitchcock. Dadurch könnten laut Thales bis zu vier Prozent Treibstoff und entsprechend CO2 und NOx eingespart werden.

Dassault Aviation/Dast

Im Entwicklungslabor in Toulouse simulierte Thales bei der Produktvorstellung einen Flug von Lissabon nach Paris. Anstatt mühselig die vorbereiteten Daten vor dem Start manuell eintippen zu müssen, konnte der Testpilot sie einfach mit einem Klick vom EFB ins FMS hochladen. Im Flug lieferte das EFB über eine sichere IP-Verbindung frühzeitig die Information, dass auf der geplanten Strecke ein Gewitter droht. Für das Wetterradar an Bord wäre es noch zu weit entfernt und damit nicht erkennbar gewesen. Das EFB, auf dem ebenfalls ein FMS implementiert ist, berechnete sogleich eine neue Route um das Gewitter herum und zeigte die zusätzlich benötigte Zeit und Treibstoffmenge. Über verschiedene Farbcodes sollte der Pilot erkennen, welche Streckenabschnitte noch mit der Flugsicherung abgestimmt werden müssen.

Die fünfte Dimension

PureFlyt ermöglicht ein Flugbahnmanagement in vier Dimensionen (Breite, Länge, Höhe und Zeit), wie es auch das europäische Forschungsprogramm zur Vereinheitlichung des Flugverkehrsmanagements, SESAR (Single European Sky ATM Research Programme), und das US-amerikanische Pendant NextGen untersuchen. Berücksichtigt wird auch noch eine fünfte Dimension: das Flugzeuggewicht.

Das neue FMS soll fünf- bis zehnmal schneller sein als bisherige Systeme. Die Software brauche keinen eigenen Rechner, sondern könne sich mit anderen Systemen einen Computer teilen, so Hitchcock. Allerdings ist die jüngste Generation an Multicore-Prozessoren und damit auch neue Hardware nötig.

Den mit mehr Konnektivität einhergehenden Sicherheitsrisiken begegnet Thales nach eigenen Angaben bereits durch entsprechende Berücksichtigung im Designprozess. Falls es im Betrieb ein abnormales Verhalten gebe, werde das FMS abgeschottet. Mithilfe von künstlicher Intelligenz und massenweise echter Daten von Fluggesellschaften wurde die PureFlyt-Software schon exzessiv im Labor erprobt. „Wir können 100 Millionen Flugstunden innerhalb weniger Tage testen“, sagt Hitchcock.

FMS sollen mehr kommunizieren

2024 soll PureFlyt zur Verfügung stehen, wahrscheinlich aber noch nicht mit voller Funktionalität. Eine erste Version könne für die Piloten einer A320 genau so aussehen wie das bisherige FMS 300, nur schneller rechnen, so Hitchcock.

Thales ist nicht das einzige Unternehmen, das an einem neuen FMS arbeitet. Auch der US-amerikanische Luftfahrtkonzern Honeywell will die Vorteile der Konnektivität besser nutzen. „Für vernetzte FMS ist eine zunehmende Automatisierung essenziell. Aktuell ist der ‚vernetzteste‘ Weg, einen Flugplan zu erfassen, ihn von Ihrem iPad beziehungsweise EFB in die Avionik zu schieben. In Zukunft werden diese Informationen bereits vor Ort sein, ohne dass irgendetwas von einem Tablet hochgeladen werden muss“, prophezeit Anne Lillywhite, Senior Director of Customer and Product Support bei Honeywell Aerospace. Beispielsweise sollen FMS künftig auch mit den Betriebszentren der Airlines Informationen zur Bodenabfertigung und Betankung austauschen können.

Offen für Drittanbieter

Anders als Thales setzt Honeywell aber auf eine Weiterentwicklung bestehender Produkte, auch um die nötigen Hardware-Updates zu minimieren und eine Nachrüstung zu vereinfachen. Man untersuche und entwickle derzeit Verbesserungen für das bereits in Form des Datenlink-Services vorhandene Konzept des vernetzten FMS. Dieser Honeywell-Dienst nutzt für die Datenübertragung UKW und Satelliten.

Dabei wird der vom Piloten oder der Flight-Operations-Abteilung der Fluggesellschaft vorbereitete Flugplan bis zu vier Stunden vor dem Abflug angenommen, 30 Minuten vor dem Start mit den neuesten Wind- und Temperaturdaten aktualisiert und über Datenlink ins FMS geladen. Dadurch kann das FMS laut Honeywell optimale Zwischensteigflüge, Anfangspunkte des Sinkflugs und Sinkflugbahnen empfehlen.

Nach Angaben des Unternehmens wurden in den vergangenen fünf Jahren mehrere tausend Stunden Softwaretests im Labor durchgeführt. „Honeywell betreibt seine Software auch in der unternehmenseigenen Flotte an Testflugzeugen“, so Lillywhite. In wenigen Jahren soll das weiterentwickelte System für die kommerzielle Luftfahrt verfügbar sein. Geplant ist auch eine Öffnung des FMS für Anwendungen von Drittanbietern.

Auf dem Weg zum Einmanncockpit

Die Kommunikation eines vernetzten FMS mit Apps anderer Hersteller ist auch ein zentrales Anliegen von GE Aviation. Jede Fluggesellschaft sei anders und brauche daher die Flexibilität, die Anwendungen auszuwählen, die am besten zum eigenen Betrieb passen, so GE auf Nachfrage der FLUG REVUE. Ähnlich wie bei Honeywell sollen sich die nötigen Hardware-Erneuerungen in Grenzen halten. In den vergangenen eineinhalb Jahren habe man eine Reihe von Tests mit dem vernetzten FMS durchgeführt. Mit einer Zulassung rechnet GE bereits im kommenden Jahr.

Ob Neu- oder Weiterentwicklung, den FMS der nächsten Generation ist eines gemein: Sie ebnen den Weg zum Einmanncockpit. „Während autonome Flüge wahrscheinlich noch etwas Zeit brauchen, rechnen wir mit einem dank vernetzten FMS ermöglichten Single-Pilot-Betrieb innerhalb von rund drei Jahren“, sagt Anne Lillywhite von Honeywell. Es ist eben wie mit den ersten FMS in den 1980ern: mehr Technik, weniger Crew.