Ein im Produktionsprozess bei Pratt & Whitney verwendetes Metallpulver namens ME16 sorgt für weltweite Probleme: Die daraus gefertigten Scheiben der Hochdruckturbine des PW1100G-JM weisen teilweise Einschlüsse auf. Der Triebwerkshersteller geht davon aus, dass ein "erheblicher Teil der PW1100G-JM-Triebwerksflotte, die die A320neo antreibt, innerhalb der nächsten neun bis zwölf Monate beschleunigte Entfernungen [vom Flügel; d. Red.] und Inspektionen erfordern wird." Das teilte die P&W-Muttergesellschaft RTX (früher Raytheon) am Dienstag mit.
Ab Mitte September sollen 200 Triebwerke in die vorzeitige Inspektion. 2024 müssen bis zu 1000 weitere Triebwerke das Inspektionsprogramm durchlaufen. Das Problem mit den Einschlüssen und möglichen Rissen habe sich bei normalen Instandhaltungsmaßnahmen gezeigt. "Als Ergebnis dieses seltenen Zustands im Metallpulver führte Pratt erweiterte Inspketionen ein, die bei geplanten Shop-Visits durchgeführt wurden. Aufgrund der jüngsten Erkenntnisse aus diesen Inspektionen hat Pratt nun jedoch beschlossen, dass der Zeitpunkt dieser Shop-Visits beschleunigt werden muss", sagte Chris Calio, COO von RTX am Dienstag.
"Gemeinsam mit unseren Partnern setzen wir alles daran, die Situation effizient zu managen und die Auswirkungen auf unsere Kunden so weit wie möglich zu begrenzen. Mir ist wichtig, zu erwähnen, dass es sich nicht um ein Triebwerks-Design-Problem handelt. Die Produktion von neuen Triebwerken und Ersatzteilen ist davon nicht betroffen", sagte der MTU-Vorstandsvorsitzende Lars Wagner bei der Pressekonferenz zu den eigentlich guten Halbjahreszahlen am Mittwoch. MTU ist mit 18 Prozent am PW1100G-JM beteiligt, ein Drittel der A320neo-Getriebefans wird in München endmontiert.
"Kein Sicherheitsproblem"
Man wisse erst seit ein paar Tagen von dem Problem, so Wagner. Vieles sei noch unklar, zum Beispiel, wie viele Flugzeuge gegroundet werden müssen oder wie lange jede einzelne Inspektion dauern wird. Auch die Auswirkungen auf die ohnehin angespannte Überholungssituation der Getriebefans sind noch nicht absehbar. "Beide Aktivitäten haben Priorität für das Konsortium", sagte Wagner. Man müsse gemeinsam mit Pratt & Whitney schauen, welche Shops das jüngste Inspektionsprogramm durchführen. Bei den bis zu 1000 Triebwerken, die nächstes Jahr dran sind, könnten die Inspektionen eventuell bei regulären Shop-Visits erfolgen.
Der Vorstandsvorsitzende der MTU geht von einer Ausfallrate des betroffenen Bauteils von lediglich einem Prozent aus. "Wir wollen die Scheiben inspizieren und größtenteils wieder einbauen. Es ist kein Sicherheitsproblem, sondern ein Vorsorgeproblem", sagte Wagner.
Der Produktionsprozess der Turbinenscheiben sei "nach vorne sortiert", so Wagner. Seit dem dritten Quartal 2021 komme kein Bauteil mehr heraus, das die Anomalie beinhalte. Seit der Entdeckung des Problems habe Pratt & Whitney "umfangreiche Verbesserungen an unserer Pulververarbeitung vorgenommen, um mögliche Kontaminationsquellen zu beseitigen", so Calio.
Die zwischen Ende 2015 und dem dritten Quartal 2021 hergestellten Scheiben fänden sich aufgrund des großen Produktionsvolumens im Wesentlichen in PW1100G-JM-Triebwerken. Bauteile, die aus geschmolzenem Metallpulver hergestellt wurden, werden jedoch seit Jahrzehnten über das gesamte Pratt-Portfolio eingesetzt. So wurde die Kontamination auch zuerst in einem V2500-Triebwerk von International Aero Engines nachgewiesen. "Dies ist ein Problem, das wir erstmals im Jahr 2020 entdeckten, als wir einen Vorfall mit einer V2500-Turbinenscheibe hatten. Als Ergebnis dieser Untersuchung haben wir festgestellt, dass das von uns hergestellte Metallpulver eine gewisse Verunreinigung aufweist", so Greg Hayes, CEO von RTX.
Bei dem genannten Vorfall handelt es sich wahrscheinlich um Flug VN-920 von Vietnam Airlines am 18. März 2020. Die Piloten mussten den Startlauf ihres Airbus A321 in Ho-Chi-Minh-Stadt wegen einer "uncontained engine failure" abbrechen. Die Scheibe der ersten Stufe der Hochdruckturbine eines der beiden V2500 war gebrochen und Teile waren in die Triebwerksverkleidung eingedrungen.