Neues Super-Triebwerk für Europas Militärhubschrauber: stark wie nie zuvor

So leistungsstark wie nie
Neues Super-Triebwerk für Europas Militärhubschrauber

Veröffentlicht am 19.07.2025

Zwei Jahre ist es her, dass MTU Aero Engines und Safran Helicopter Engines auf der Paris Air Show 2023 ihre Zusammenarbeit bei der Entwicklung eines neuen, vollständig europäischen Triebwerks für die nächste Militärhubschraubergeneration bekanntgaben. Im vergangenen Jahr gründeten die beiden Triebwerkshersteller ein 50:50-Joint-Venture namens EURA (European Military Rotorcraft Engine Alliance). Im Juni wurde auf der Pariser Luftfahrtmesse eine Erweiterung der Partnerschaft verkündet: Avio Aero aus Italien schließt sich EURA an. Jede Firma erhält einen Arbeitsanteil von einem Drittel.

Cédric Goubet (Safran Helicopter Engines), Riccardo Procacci (Avio Aero) und Michael Schreyögg (MTU Aero Engines; v. l.)
Cyril Abad / CAPA Pictures / Safran

"European Next Generation Rotorcraft Technologies"

Noch gibt es keinen entsprechenden Drehflügler für das anvisierte Triebwerk. Konzepte dafür entstehen im Rahmen des vom Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) mit fast 100 Millionen Euro geförderten Projekts "European Next Generation Rotorcraft Technologies" (ENGRT). Untersucht werden in der sogenannten Phase II von Airbus Helicopters und Leonardo drei verschiedene Entwürfe: ein konventioneller Hubschrauber, ein Verbundhubschrauber mit (Stummel-)Flügeln und zusätzlichen Propellern sowie ein Kippflügler. Aber auch im Rahmen der NATO-Initiative Next Generation Rotorcraft Capability (NGRC) werden Konzeptstudien für einen künftigen mittleren Mehrzweckhubschrauber erarbeitet. Hier kamen Airbus Helicopters, Sikorsky und Leonardo zum Zug. Die Entwicklung eines leistungsstarken und effizienten Triebwerks wird in einer ersten Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen ebenfalls vom EDF mit zunächst 25 Millionen Euro unterstützt. EURA will ihr Angebot im Oktober bei der Europäischen Kommission einreichen.

Sikorsky X2 NGRC-Konzept Rendering
Lockheed Martin

Neue Anforderungen

Für Wolfgang Gärtner, EURA-Geschäftsführer und MTU-Programmleiter für zukünftige Hubschrauberantriebe, zeigen die Erfahrungen aus dem Ukrainekrieg, dass die nächste Generation von Militärhubschraubern andere Fähigkeiten benötigt als ihre Vorgänger. "Sie müssen tiefer und schneller fliegen", sagt er. Tiefer, um dem Langstreckenradar zu entkommen, und bis zu 500 km/h schnell, damit sie Gefahrenzonen zügig verlassen können. Als "System of Systems" würden sie im Verbund mit unbemannten Fluggeräten unterwegs sein, die Gefahren unterdrücken und bekämpfen und den Hubschrauberbesatzungen Daten für ein Lagebild liefern. Das hat auch Auswirkungen auf die Triebwerke: "Sie müssen leistungsfähiger als vergleichbare Antriebe heutiger Hubschrauber in dieser Klasse sein", sagt Gärtner. Schneller und tiefer fliegen er-fordert mehr mechanische Leistung. Auch der Bedarf an elektrischer Leistung wird höher sein als bisher. Denn Rechner an Bord, Funkverbindungen zu den Drohnen und zu anderen Datenquellen sowie künftige Energiewaffen sind wahre Stromfresser. Ein oder eventuell sogar zwei große Generatoren werden einen Teil der mechanischen Energie des Triebwerks in elektrische umwandeln. Und auch die Anforderungen an die Kühlleistung werden wegen der steigenden Zahl von Verbrauchern an Bord zunehmen. In der Ausschreibung des Europäischen Verteidigungsfonds ist die Rede von mindestens 3000 Wellen-PS. "Wir glauben aber, dass es sich zwischen 4000 und 5500 Wellen-PS bewegen wird", sagt Julian Bijewitz, Chefingenieur der MTU für das neue Triebwerk. Das sind gut 3000 bis 4100 kW – so stark ist bisher kein in Europa entwickeltes Helikoptertriebwerk. Mit den neuen Anforderungen müssen die Ingenieure auch technologisch neue Wege gehen. Einer davon könnte Hybridisierung sein. "Man kann Generatoren sozusagen umdrehen und als Elektromotor in Flugphasen mit Spitzenleistungsbedarf verwenden", sagt Gärtner. Dadurch könne man die Gasturbine kleiner bauen. Auch eine Art "Eco Mode", bei dem eines von zwei Triebwerken im Reiseflug ausgeschaltet wird, ist denkbar. Um es wieder zu starten, ist ein leistungsfähiger Elektromotor nötig, der das Triebwerk sehr schnell wieder auf Drehzahl und Leistung bringt. Eine solche elektrische "Start-Stopp-Automatik" hat Safran Helicopter Engines bereits mit dem Aneto-1X am Forschungshubschrauber RACER von Airbus Helicopters im Flug getestet.

EURA ENGHE-Rendering
EURA

Hochbelasteter Verdichter

Um die ambitionierten Anforderungen an Leistung, Gewicht und Verbrauch zu erfüllen, müssen Bijewitz und sein Team zudem den thermodynamischen Kreisprozess optimieren. "Wir werden auf höhere Temperaturen und Druckverhältnisse gehen im Vergleich zu dem, was heute in Europa auf dem Markt ist", sagt er. Die MTU wird sich, wie auch bei anderen Joint Ventures, um "ihre" Module kümmern: in diesem Fall Einlauf und Verdichter. Safran Helicopter Engines ist verantwortlich für die Brennkammer und die Hochdruckturbine, Avio Aero für das Getriebe. "Verdichter gehören zwar zu unserer Kernkompetenz, aber die Anforderungen gegenüber anderen Triebwerken sind deutlich. Wir müssen noch kompakter und leichter werden. Das heißt, wir werden eine aerodynamisch hochbelastete Komponente sehen – also viel Arbeit auf wenigen Stufen", erläutert Bijewitz. Wegen der höheren Drücke und Temperaturen und weil ein solches Hubschraubertriebwerk auch unter harschen Bedingungen in heißen und staubigen Umgebungen zuverlässig funktionieren muss, werden neue Werkstoffe, Beschichtungen und Kühlverfahren zum Einsatz kommen. Auch additive Fertigung könnte neue Möglichkeiten eröffnen, um Bauteile günstig und mit zusätzlichen Funktionen herzustellen. Man versuche, Erfahrungen und Wissen aus anderen Programmen zum Thema Erosion einfließen zu lassen, unter anderem aus dem A320neo-Getriebefan, an dem die MTU mit 18 Prozent beteiligt ist. Besonderes Augenmerk will der Münchner Triebwerkshersteller auch auf das Thema Instandhaltung setzen. Im neuen Militärhubschraubertriebwerk sollen mehr Sensoren installiert werden, um vorausschauende Wartung zu ermöglichen. "Wir werden viele, viele Daten in den Triebwerken sammeln, um sie zu überwachen – kurzfristig, also Zustandsüberwachung im Flug, und auch langfristig die Daten herunterladen und auswerten, um eine Wartungsplanung zu machen", sagt Gärtner. Das soll die Verfügbarkeit des Triebwerks durch planbare Wartungstermine erhöhen.

Airbus Helicopters Konzept für NGRC Rendering
Airbus

Entwicklungsprogramm für 2033 geplant

Aktuell finden Konzeptstudien und die Triebwerksvorauslegung auf analytischer Ebene statt. Dabei werden verschiedene Architekturen betrachtet und miteinander verglichen. "Außerdem tauschen wir uns intensiv mit Plattformherstellern und den Kunden aus", sagt Gärtner. Denn die Detailanforderungen des neuen Triebwerks sind noch nicht bekannt. Die Technologien, die man untersuche, seien aber skalierbar. Nach den ersten Konzeptstudien will EURA die nächste Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen vorantreiben. Bis 2032/33 soll ein Demonstrator auf dem Prüfstand getestet werden, um das Zusammenspiel der verschiedenen Neuerungen auszuprobieren und die Technologiereife zu belegen. Ab 2033 könnte ein Entwicklungsprogramm folgen. Zulassung und Indienststellung sind nach 2040 angedacht. "Wir wollen erst in die Entwicklung gehen, wenn die Technologien nachgewiesen sind", erklärt Gärtner.