Ein Nickerchen im Cockpit ist gar nicht so unüblich. In einer Umfrage der British Airline Pilots Association (BALPA) aus dem Jahr 2013 gaben 56 Prozent der befragten Piloten an, dass sie schon mal bei der Arbeit eingeschlafen sind. In fast einem Drittel dieser Fälle hatte der Schlaf sogar beide Piloten im Cockpit gleichzeitig übermannt. Eine nicht repräsentative Umfrage der Vereinigung Cockpit unter 900 Piloten deutscher Airlines kam im September ebenfalls zu erstaunlichen Ergebnissen: 93 Prozent der Befragten gaben an, in den vergangenen Monaten während eines Fluges ein sogenanntes Napping gemacht zu haben. Darunter versteht man kontrollierte Ruhephasen während des Reiseflugs. Einer der Piloten bleibt wach und weckt den anderen spätestens nach 30 Minuten.
In modernen Autos erkennen Müdigkeitsassistenten, wenn der Fahrer schläfrig wird und warnen, um Unfälle durch Sekundenschlaf zu verhindern. In Cockpits von Verkehrsflugzeugen gibt es solche Systeme bisher nicht. Das liegt vor allem daran, dass eine technische Erkennung von Müdigkeit im Flugzeug deutlich schwieriger ist als im Auto. Piloten verhalten sich im Cockpit anders als Autofahrer: Sie müssen nicht ständig nach vorne blicken, sondern schauen auch nach unten auf die Instrumente, lesen zwischendurch oder unterhalten sich einander zugewandt, ohne dass unmittelbar Gefahr droht. Hinzukommt, dass Flugzeuge in einem dynamischeren Umfeld mit mehr Bewegung unterwegs sind als Fahrzeuge.
Unauffälliges System
Im Forschungs- und Entwicklungszentrum von Honeywell Aerospace im tschechischen Brünn arbeiten Wissenschaftler im Rahmen des europäischen SESAR-3-Projekts DARWIN (Digital Assistants for Reducing Workload & Increasing Collaboration) unter anderem an einem Pilotenüberwachungssystem, das Müdigkeit erkennt und die Piloten warnt. Das sei auch mit Blick auf mögliche künftige Ein-Mann-Cockpits sowie eine alternde Pilotengeneration wichtig, so Bohdan Blaha, Senior Software Engineering Supervisor bei Honeywell Aerospace in Brünn. An dem Projekt beteiligt sind zudem der slowenische Flugzeughersteller Pipistrel, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Eurocontrol und die europäische Luftfahrtbehörde EASA.

Das Pilotenüberwachungssystem von Honeywell Aerospace registriert zahlreiche Parameter, darunter geschlossene Augen, und klassifiziert den Zustand des Piloten.
Honeywells System nutzt eine monochromatische Kamera und Künstliche Intelligenz (KI), um Müdigkeit und Schlaf zu erkennen. "Aber wir haben auch mit zusätzlichen Sensoren gearbeitet, darunter Brustbändern, T-Shirts, Mikrowellen-Radare", sagt Blaha. Das Ziel sei, eine unauffällige Technologie zu entwickeln. Sogenannte "Wearables", beispielsweise Smart Watches oder oben genannte Brustbänder, könnten zwar auch Anhaltspunkte liefern. Aber die Piloten können vergessen, sie anzuziehen, der Akku kann leer sein und es gibt Datenschutzbedenken beim Teilen der Informationen. Die Kamerabilder werden hingegen nicht gespeichert oder an Dritte weitergegeben, es handelt sich um ein Echtzeitsystem, betont Blaha.
Das System legt eine Art Netz über das von der Kamera aufgenommene Gesicht und zeichnet verschiedene Parameter auf, zum Beispiel, ob die Augen geöffnet sind, wie oft geblinzelt wird, die Position des Kopfes und Bewegungen allgemein. Diese Parameter werden mit der Historie, also den vorhergehenden Aufnahmen verglichen, um den Status des Piloten zu erkennen und zu klassifizieren. Sollte das System zu dem Schluss kommen, dass der Pilot schläfrig ist, ertönt ein akustisches Warnsignal.
Im Airline-Test
Man habe im Verlauf des Projekts eine Vielzahl an Daten gesammelt, von Honeywell-Mitarbeitern in ihren Büros in Brünn, aber auch von Piloten im Simulator und in Honeywell-Testflugzeugen. "Wir haben Grenzfälle untersucht, was passiert zum Beispiel während Turbulenzen oder wenn die Piloten Sonnenbrillen oder Mützen tragen", so Blaha. Mit den Daten habe man ein KI-System trainiert, um Schläfrigkeit und Schlaf zu erkennen. Die Alarmfunktion wurde erfolgreich validiert. Honeywells Pilotenüberwachungssystem wird seit eineinhalb Jahren zudem bei einer großen Fluggesellschaft in einem Airbus A321 eingesetzt, um weitere Daten zu sammeln. "Die Piloten haben keine Einwände", sagt Blaha.
Bei der Müdigkeits- und Schlaferkennung hat Honeywell den Technologiereifegrad 6 (von 9) erreicht, das heißt, die Technologie wurde in einer relevanten Umgebung demonstriert. Schwieriger ist allerdings die Erkennung von Handlungsunfähigkeit, zum Beispiel durch einen medizinischen Notfall wie einen Herzinfarkt oder gar Tod. Denn natürlich kann man das schwer an echten Menschen testen und laut Blaha gibt es keine Puppen, die repräsentativ genug wären.
Honeywell hat stattdessen stark erschöpfte Piloten im Tiefschlaf herangezogen, die durch leichte Turbulenzen geflogen und dabei nicht aufgewacht sind. "Dabei konnten wir viele Daten aufzeichnen", sagt Blaha. Er geht davon aus, dass die Erkennung von Handlungsunfähigkeit 2026 den Technologiereifegrad 6 erreicht. Für den seltenen Fall, dass beide Piloten handlungsunfähig wären, könne das System mit dem Autopiloten gekoppelt werden. Wann ein Müdigkeitsassistent in der kommerziellen Luftfahrt in Dienst gehen könnte, ist allerdings noch unklar.