Hilfsgasturbine APU: Versteckte Kraftpakete für Flugzeuge

Hilfsgasturbine APU
Versteckte Kraftpakete für alle Fälle

Veröffentlicht am 20.05.2024

Dumpfe Schläge und Stöße, gefolgt von einem Rütteln. Dann ein hörbarer Rückgang des Triebwerksgeräuschs. So schildert die US-Flugunfalluntersuchungsbehörde NTSB die Aufzeichnungen des Stimmenrekorders von US-Airways-Flug 1549, kurz nachdem der Airbus A320 am 15. Januar 2009 in einen Schwarm Kanadagänse geflogen war und beide Triebwerke ausfielen. "Ich starte die APU", sagt Kapitän Chesley "Sully" Sullenberger nur etwa zehn Sekunden später. Diese Entscheidung stellte sich als wesentlich dafür heraus, dass eine Notwasserung auf dem Hudson River gelang und alle 155 Insassen überlebten. Dadurch, dass die 131-9A-APU von Honeywell Aerospace das Flugzeug mit Strom versorgte, blieb die Flight Envelope Protection aktiv, die unter anderem vor einem Strömungsabriss schützt.

Das "Wunder vom Hudson" ist der wohl einzige Rampenlicht-Moment für die Hilfsgasturbine, mit der die meisten Verkehrsflugzeuge ausgerüstet sind. Meist verrichtet sie ihren Dienst, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen. Sie versorgt das Flugzeug am Boden mit elektrischer Energie und Druckluft, wenn die Triebwerke noch nicht laufen und das Flugzeug nicht an den Bodenstrom, ein Bodenstartgerät und einen Klimawagen angeschlossen ist. Allerdings wird der Betrieb der Hilfstriebwerke auf Vorfeldern an Flughäfen aus Umwelt- und Lärmschutzgründen oft stark reglementiert.

British Airways

Wichtig für Langstrecken-Jets

Die Energie der APU wird für das Anlassen der Haupttriebwerke, für Klimaanlage und Heizung sowie für die Stromversorgung des Flugzeugs verwendet. Meist wird die APU ausgeschaltet, sobald mindestens eines der Haupttriebwerke läuft. Es gibt aber Ausnahmen, beispielsweise kann die Leistung des Hilfstriebwerks während der Startphase für den Betrieb der Klimaanlage genutzt werden, wenn die Haupttriebwerke maximalen Schub liefern sollen. Und natürlich dient die Hilfsgasturbine in Notfällen in der Luft als Energiequelle für Back-up-Systeme. Ein einsatzbereites Hilfstriebwerk ist Voraussetzung für den ETOPS-Betrieb (Extended Twin Engine Operations), der es zweistrahligen Flugzeugen erlaubt, sich bei Flügen über Wasser weiter als 60 Minuten vom nächstgelegenen Ausweichflughafen zu entfernen. "Die APU ist so zertifiziert, dass sie für die Hälfte der gesamten Flugstrecke eine volle Reservestromversorgung bietet und bei einem Ausfall eines Haupttriebwerks eine sichere Rückkehr ermöglicht", erklärt Ray Boyd, Senior Offering Management Director für APUs bei Honeywell Aerospace.

Dassault Aviation/S. Rande

Zivil und militärisch genutzt

Honeywell Aerospace ist der Marktführer im Hilfsgasturbinengeschäft. Aktuell sind rund 40 000 APUs des US-Technologiekonzerns weltweit im Einsatz, vom kleinen BusinessJet bis zum großen Widebody. Die oben genannte Hilfsgasturbine des Airbus A320 gehört zur 131-9-Familie für Standardrumpfflugzeuge. Sie ist auch in der A220, der Boeing 737NG und MAX sowie der COMAC C919 zu finden. "Honeywell produziert derzeit mehr als 1100 neue 131-9-APUs jährlich", sagt Boyd. Auch viele militärische Luftfahrzeuge, darunter Transporter wie die Lockheed Martin C-130, aber auch Jagdbomber wie die F-35 Lightning II und Hubschrauber wie die Boeing CH-47 Chinook, verfügen über eine APU. Dabei geht es weniger um Druckluft für die Klimaanlage und die Stromversorgung für den Passagierkomfort. "Militärische APUs bieten eine größere Unterstützung für Notstarts in großer Höhe und elektrische Energie zur Unterstützung der Flugzeugfunktionen", erklärt Boyd.

Triebwerk ohne Schub

Eine APU ist nichts anderes als ein Turbinentriebwerk, sie besteht aus denselben Komponenten: Lufteinlauf, Verdichter, Brennkammer und Turbine. "Obwohl beide auf der Gasturbinentechnologie basieren, haben APUs einen ganz anderen Zweck und eine geringere Leistung im Verhältnis zu ihren größeren Pendants, die für Flugzeugantriebe verwendet werden", sagt Irene Makris, Vice President Marketing and Customer Service bei Pratt & Whitney Canada, dem zweiten großen APU-Hersteller. Bei ihren Narrowbody-APUs setzen sowohl Pratt & Whitney Canada als auch Honeywell auf eine Einwellen-Architektur mit einem einstufigen Radialverdichter und einer zweistufigen Hochdruckturbine. Anders als ein Haupttriebwerk liefert eine Hilfsgasturbine keinen Schub. Stattdessen treibt die Turbine einen Ladekompressor zur Erzeugung von Druckluft und über ein Untersetzungsgetriebe einen oder zwei Stromgeneratoren an. Im Gegensatz zu Luftfahrtantrieben werden Hilfsgasturbinen bei einer konstanten Geschwindigkeit bzw. Umdrehungszahl betrieben. Gestartet wird eine APU mithilfe der Flugzeugbatterien. Der Lufteinlauf kann geschlossen werden, wenn die APU nicht in Betrieb ist. Typischer-weise ist in Verkehrsflugzeugen die APU im Heck untergebracht, abgetrennt vom Rest durch ein Brandschott. Gespeist wird sie aus den Kraftstofftanks des Flugzeugs. Abgase werden über ein Rohr am Flugzeughinterteil abgeleitet. APUs können aus Luftfahrtantrieben abgeleitet sein. Die PW901-APU der Boeing 747 beispielsweise basiert auf dem Pratt & Whitney Canada JT15-D, das Business Jets wie die Cessna Citation V antrieb. Es kann aber auch andersherum gehen: "Cliff Garrett entwickelte 1952 die erste Honeywell-APU, und viele der Honeywell-Antriebssysteme basieren auf einem APU-Kern, dem Hauptverdichter und Turbinenteil", sagt Boyd.

Pratt & Whitney Canada

Neu- und Weiterentwicklungen

Und es gibt auch komplette Neuentwicklungen. Das APS5000 von Pratt & Whitney Canada wurde eigens für die Boeing 787 entworfen. "Es ist die erste und bisher einzige rein elektrische APU der Luftfahrtindustrie", sagt Makris. Beim Dreamliner setzt Boeing komplett auf eine Systemarchitektur ohne Zapfluft. Viele normalerweise pneumatische Systeme wurden durch elektrische ersetzt. "Das APS5000 erzeugt deshalb keine Druckluft für das Anlassen der Triebwerke, sondern stellt viel elektrische Leistung zur Verfügung", so Makris. Es sei die leiseste und effizienteste APU in ihrer Klasse. Aber auch bestehende APUs werden stetig weiterentwickelt. Für das 131-9B (Boeing 737) hat Honeywell vergangenes Jahr das sogenannte HEM-Upgrade (High-Efficiency Mode) herausgebracht. Dabei handelt es sich um einen hocheffizienten Diffusor, der den Luftstrom zur APU-Verdichtersektion autonom und softwaregesteuert reguliert. Das Upgrade ermöglicht Treibstoffeinsparungen von ein bis zwei Prozent und erhöht die Zeit zwischen zwei Überholungen um 1200 Stunden. Bereits 2020 gab es das Upgrade für das 131-9A für die A320-Familie. Denn die Anforderungen an Hilfsgasturbinen haben sich in den vergangenen Jahren verändert. Zum einen müssen sie immer höhere elektrische Lasten unterstützen. Zum anderen sollen sie effizienter werden und dazu beitragen, die CO2-Emissionen zu reduzieren. APUs sind für rund zwei Prozent des Kraftstoffverbrauchs pro Mission verantwortlich. Wichtig sind deshalb Upgrades, aber auch durch die Nutzung von reinem SAF (Sustainable Aviation Fuel, nachhaltiger Flugkraftstoff). Bislang sind APUs, wie die Haupttriebwerke, für 50-prozentige Mischungen von konventionellem Jet-A1 und SAF zugelassen. Bei einem Testflug über den Atlantik im November 2023 wurden nicht nur die Rolls-Royce-Trent-1000-Turbofans des Dreamliners von Virgin Atlantic mit 100 Prozent SAF betrieben, sondern auch das APS5000.

Airbus

Die nächste APU-Generation

In Zukunft könnten Hilfsturbinen auch mit Wasserstoff betrieben werden. "Honeywell hat schon vor fast 20 Jahren erstmals Wasserstoff in einer APU verbrannt", sagt Boyd. Für kleinere sowie unbemannte Fluggeräte arbeitet der US-Konzern derzeit auch an Brennstoffzellentechnologien. Airbus geht einen Schritt weiter und will ein 500 kW starkes Brennstoffzellensystem an einer A330 erproben. Bei Pratt & Whitney Canada setzt man auch in Zukunft eher auf Gasturbinen, denn sie seien sehr gut an verschiedene Treibstoffarten, auch Wasserstoff, anpassbar. "APUs sind ein wesentliches Flugzeugsystem, und wir erwarten, dass sie auch in den kommenden Jahrzehnten eine Rolle spielen werden", sagt Makris. "Wasserstoff birgt zwar ein erhebliches Potenzial für einen Flug ohne CO2-Emissionen, aber die Anpassung der Flugzeugkonstruktion und der Treibstoffinfrastruktur an die Handhabung des Treibstoffs sowie seine Produktion in den von der Indus-trie geforderten Mengen stellen auch eine große Herausforderung dar."