Der Klügere weicht aus

Honeywell RDR-84K
Der Klügere weicht aus

Veröffentlicht am 15.03.2022

Über dem steppenartigen Niemandsland nördlich von Phoenix, Arizona, fliegt ein Quadrocopter vom Typ BFD SE8, in weniger als 100 Metern Flughöhe, gesteuert vom Autopiloten. Plötzlich kommt ein Hexacopter, eine DJI Matrice 600, mit hoher Geschwindigkeit direkt auf ihn zugeflogen. Es passiert, was passieren muss. Nichts. Die SE8 erkennt den "Eindringling" mit ihrem Radar an Bord, weicht aus und kehrt anschließend wieder auf ihre ursprüngliche Flugbahn zurück.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Was Honeywell Aerospace im Dezember 2021 bei Testflügen mit zwei Drohnen erprobt hat, nennt sich "Detect and Avoid" (DAA). Solche Technologien sind für künftige Flugtaxis oder Lieferdrohnen essenziell. Um außerhalb der Sichtweite ihres Betreibers oder sogar vollautonom fliegen zu können, müssen sie ohne menschliches Zutun zuverlässig anderen Objekten in der Luft ausweichen. Auch jenen Objekten, die keinen Transponder haben. Zu diesem sogenannten nicht-kooperierenden Flugverkehr gehören zum Beispiel Freizeitdrohnen, Drachen oder Vögel.

So groß wie ein Taschenbuch

Eine Möglichkeit, Objekte zu erkennen und ihnen auszuweichen, sind Kameras und Computer-Vision-Algorithmen, wie sie beispielsweise das US-Unternehmen Iris Automation seit einigen Jahren testet und kürzlich auch dafür eine FAA-Zulassung erhalten hat. Eine andere Möglichkeit sind Radarsysteme – entweder bodenbasiert, daran arbeitet der Hubschrauberhersteller Bell, oder an Bord des Fluggeräts, wie das RDR-84K von Honeywell.

"Der Vorteil von radarbasierten gegenüber Computer-Vision-Systemen ist, dass sie auch bei Nacht, über Schnee und Wasser funktionieren", erklärt Sapan Shah, Produktmanager Advanced Air Mobility bei Honeywell Aerospace. Allerdings gibt es auch bei radarbasierten DAA-Systemen einige technische Klippen. Radare für diesen Zweck müssen wegen der relativ hohen Fluggeschwindigkeiten eine große Reichweite haben. Sie müssen auch in niedrigen Flughöhen (kleiner als 122 Meter) funktionieren und den Luftverkehr von Bodenechos, einschließlich fahrender Autos, unterscheiden können. Nötig sind deshalb genaue Standortinformationen, damit die Geräte Radarechos richtig interpretieren. Für den Einsatz in Drohnen und Flugtaxis müssen sie zudem klein und leicht sein.

Honeywell begann vor gut fünf Jahren mit der Entwicklung des neuen K-Band-Radars. Es ist mit 22,6 x 12,4 x 3,6 cm etwa so groß wie ein Taschenbuch, wiegt 1,5 Kilogramm und hat ein Blickfeld von 110 Grad (horizontal) x 30 Grad (vertikal). Mit vier vernetzten Einheiten an Bord kann eine komplette 360-Grad-Sicht geschaffen werden. "Die größte Herausforderung bestand darin, die Anforderungen an Größe, Gewicht und Leistung unter einen Hut zu bekommen", sagt Larry Surace, leitender Systemingenieur für das RDR-84K.

Mehr als nur Detect and Avoid

Das kleine Radar braucht nur 60 Watt, benötigt keine zusätzliche Hardware und keine externe Kühlung. Der integrierte Prozessor berechnet bei nötigen Ausweichmanövern eine neue Flugbahn (nach dem Standard ACAS sXu) und übergibt diese zur Umsetzung an den Flugkontrollcomputer. Abhängig von der eigenen Position und jener des "Eindringlings" navigiert das RDR-84K nach links, rechts, oben, unten, oder hält die Position. Berücksichtigt werden bei der Berechnung des Ausweichmanövers beispielsweise auch andere äußere Faktoren wie der Wind.

"Es ist ein software-basiertes Radar, das heißt, dass wir weitere Funktionen bereitstellen können", sagt Shah. Dazu gehören beispielsweise Geländekartierung, alternative Navigation bei GPS-Ausfall, Anflughilfe auf einen Vertiport und auch die Funktion des Radarhöhenmessers bei der Landung. Das RDR-84K kann mehrere Objekte in bis zu drei Kilometern Entfernung erkennen, es kann aber auch den Fokus auf ein bestimmtes Objekt richten. Das RDR-84K ist ein Phased-Array-Radar mit einer Frequenz von 24 GHz. Es nutzt das Monopuls-Verfahren, ein System sich überlagernder Radarstrahlen. Die Strahlen werden elektronisch geschwenkt, es gibt also keine beweglichen Teile, was die Wartung vereinfacht.

Bei den Testflügen im vergangenen Dezember erhöhte das Honeywell-Team sukzessive den Schwierigkeitsgrad, beispielsweise durch Annäherungen des "Eindringlings" von unten und aus anderen stärker zum Radar versetzten Winkeln. Das Radar wurde auch angewiesen, vor einem Eingriff in die Flugbahn länger zu warten, um aggressivere Manöver zu erzwingen. "Das Radar hat alles gemeistert, was wir ihm vorsetzt haben", sagt Surace. "Es hat die Gefahr sofort erkannt und mehrere Ausweichmanöver erfolgreich durchgeführt."

Weitere Flugtests geplant

Derzeit arbeitet Honeywell an weiteren Verbesserungen des RDR-84K. Es soll leichter werden, mit einer geringeren Sendeleistung auskommen und Ziele noch genauer erkennen können. Mit der zweiten Version des Radars sollen dann die Flugtests wiederholt bzw. ausgedehnt werden. "Wir wollen die Reichweite der Tests erhöhen und auch mehrere Eindringlinge einsetzen", sagt Surace. Im Juli soll es dann erstmals an einem Kunden-Flugzeug erprobt werden. Um wen es sich handelt, wollte Honeywell noch nicht preisgeben. Zertifiziert ist das RDR-84K übrigens noch nicht. Das sei Teil der Musterzulassung eines Fluggeräts, in dem es zum Einsatz kommt.

Ende Oktober 2021 hatten Honeywell und Airflow bekannt gegeben, dass sie die Nutzung des RDR-84K an Bord des in der Entwicklung befindlichen kurzstart- und -landefähigen Elektroflugzeugs des US-Start-ups untersuchen wollen. Man sei auch in Gesprächen mit Hubschrauberherstellern, so Shah. Interessant ist das Radarsystem nach Angaben von Honeywell auch außerhalb der Luftfahrt, zum Beispiel für autonome Fahrzeuge oder Perimetersicherheit.