Vom Wasser in die Luft: Der Zeppelin LZ 1, das erste Luftschiff von Ferdinand Graf von Zeppelin, hebt am Abend des 2. Juli 1900 in der Bucht vor Manzell, westlich von Friedrichshafen, zu seiner Jungfernfahrt ab. Mehr als 10 000 Schaulustige verfolgen das Spektakel vom Bodenseeufer oder von Booten aus. Die erste Fahrt des 128 Meter langen Starrluftschiffs endet jedoch schon nach 18 Minuten. Wegen eines technischen Defekts muss das LZ 1 vor Immenstaad notwassern. Doch Graf von Zeppelin glaubt an seine Idee, nimmt weitere Rückschläge in Kauf und investiert fast sein gesamtes Vermögen in die Entwicklung von Luftschiffen. Im Volk ist der Adlige populär, fast liebevoll wird er der "Narr vom Bodensee" genannt.

Zeppelins Pioniergeist hat am Bodensee Spuren hinterlassen.
Pioniergeist hat Spuren hinterlassen
Auch wenn sich die fliegenden Zigarren am Ende weder als Verkehrsmittel noch als Militärgerät durchsetzen: Zeppelins Pioniergeist hat am Bodensee Spuren hinterlassen – bis heute. "Auf Zeppelin ist ganz viel Wirtschaftsstärke in der Region zurückzuführen", bestätigt Benedikt Otte, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Bodenseekreis. Die beliebte Feriengegend ist, neben Hamburg, Bremen, Berlin-Brandenburg und München, eine von fünf Schwerpunktregionen der Luft- und Raumfahrt in Deutschland. Das Portfolio reicht vom Satellitenbau über Lenkflugkörper und Flugzeugsitze bis hin zu Pilotenassistenzsystemen. Vor vielen Jahren hat die Wirtschaftsförderung Bodenseekreis ermittelt, dass rund 8000 Menschen in mehr als 100 Unternehmen tätig sind, die der Branche zugerechnet werden können. Ob die Zahlen noch stimmen, wisse man nicht. Nur so viel lässt sich sagen: "Die Mehrheit der in Baden-Württemberg in der Luft- und Raumfahrt Beschäftigten [rund 16 000 Menschen; d. Red.] sind am Bodensee beheimatet", so Otte. Das 2011 von der Wirtschaftsförderung initiierte Luft- und Raumfahrtcluster BodenseeAIRea zählt derzeit 21 Mitgliedsunternehmen und elf Partnerinstitutionen.
Was den Grafen von Zeppelin auszeichnete: "Zeppelin verstand es, gute Menschen zu finden, sie zu binden und an einer langen Leine zu führen", sagt Otte. Früh erkannte und förderte er das Talent seines damaligen Mitarbeiters, des jungen Ingenieurs Claude Dornier. Dornier sollte mit seinen Riesenflugbooten, Landflugzeugen und den Dornier-Werken die deutsche Luftfahrt prägen.

Im Dornier-Museum finden sich noch flugfähige Exponate und originalgetreue Nachbauten.
In Dorniers Fußstapfen
Den Dornier-Konzern gibt es nicht mehr, doch die Reste – Militärluftfahrt, Raumfahrt, Wehr- und Systemtechnik – sind heute Bestandteil von Airbus Defence and Space. Am Standort in Immenstaad (der offiziell als Airbus Friedrichshafen bezeichnet wird) sind etwas mehr als 2000 Mitarbeiter beschäftigt. Airbus DS entwickelt und baut Satelliten verschiedenster Art, darunter die Sentinel-Satelliten des Erdbeobachtungsprogramms Copernicus der EU, Forschungssatelliten wie EarthCARE, Raumsonden wie BepiColombo, die gerade auf dem Weg zum Merkur ist, oder die Galileo-Satelliten der zweiten Generation. In Immenstaad werden aber auch Kommando- und Kontrollsysteme, Sicherheitssysteme und mobile Systeme sowie Geoinformationsprodukte, hauptsächlich für militärische Anwendungen, entwickelt und produziert.

Airbus entwickelt und baut am Bodensee unter anderem Satelliten und Sonden.
Starke Militärluftfahrt
Am Bodensee finden sich weitere Unternehmen der Militärluftfahrt. Ebenfalls in Immenstaad ist Hensoldts Avionik-Kompetenzzentrum beheimatet, das aus ehemaligen Geschäftsbereichen von Airbus DS entstanden ist und damit auf Dornier zurückgeht. Rund 420 Mitarbeiter sind hier in der Entwicklung und Produktion von Avionik- und Missionsmanagementsystemen beschäftigt. Zum Angebot gehören auch Instrumente für Satelliten.
Diehl Defence aus Überlingen ist mit knapp 3200 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber in der Luft- und Raumfahrtregion Bodensee. Das Unternehmen ist Teil der familiengeführten Diehl-Gruppe – wie Diehl Aerospace, das benachbarte Joint Venture von Diehl und Thales. Das wohl bekannteste Produkt von Diehl Defence ist der Lenkflugkörper IRIS-T, der zusammen mit Hensoldt und Airbus DS entwickelt wurde. Deutschland lieferte das bodengestützte Flugabwehrraketensystem Iris-T SLM Ende 2022 in die Ukraine. Es verwendet eine Variante des IRIS-T-Luft-Luft-Lenkflugkörpers.
Ein weiterer großer Player in der Region ist Liebherr-Aerospace Lindenberg. Das 1960 gegründete Unternehmen entwickelt, fertigt und betreut im Allgäu Fahrwerke sowie Flugsteuerungs- und Betätigungssysteme. Im Werk Friedrichshafen werden Getriebekomponenten für Hubschrauber und Flugzeuge hergestellt. Rund 2850 Mitarbeiter sind an den beiden Standorten beschäftigt.

Das weltbekannte Unternehmen Liebherr-Aerospace-Lindenberg entwickelt Hochantriebssysteme und Fahrwerke.
Gemeinschaftsunternehmen
Hinzukommt mit Aerospace Transmission Technologies (ATT) in Friedrichshafen noch ein Gemeinschaftsunternehmen von Liebherr-Aerospace Lindenberg und Rolls-Royce mit rund 45 Mitarbeitern. Es wurde 2015 gegründet, um die Basis für die Produktion von Leistungsgetrieben für künftige Rolls-Royce-Triebwerke zu legen. Die Komponenten für die bisherigen Testgetriebe für das UltraFan-Programm des britischen Triebwerksherstellers wurden noch bei Liebherr in Friedrichshafen und Rolls-Royce in Dahlewitz hergestellt. Sollte das nächste Rolls-Royce-Triebwerk über ein Getriebe verfügen, soll eine eigenständige Fertigung in Friedrichshafen entstehen. Bisher bietet ATT Wärmebehandlungsverfahren zum Einsatz- und Durchhärten sowie hochpräzise Messverfahren an.
Neben den Branchengrößen haben sich am Bodensee auch viele kleinere und mittlere Unternehmen angesiedelt, die sich mit ihren Spezialprodukten und -anwendungen in der Luft- und Raumfahrtindustrie einen Namen gemacht haben. Viele davon seien aus der Dornier-Zerschlagung entstanden, erklärt Otte. Als Beispiele nennt er carbovation in Friedrichshafen, ASP Equipment in Salem und IHSE in Oberteuringen.

In Überlingen hat Diehl Aerospace einen Standort. Hier werden Avionik und Kabinensysteme entwickelt, gefertigt und getestet.
Tradition und Moderne
Ein "Hidden Champion" ist beispielsweise auch 8tree. Das 2012 gegründete Unternehmen aus Konstanz stellt tragbare 3-D-Scanner für die Inspektion von Oberflächen her. Das erfolgreichste Produkt heißt dentCHECK und hilft Wartungsunternehmen und Fluggesellschaften, Beschädigungen an Flugzeugen zu vermessen. Das dentCHECK-Tool wird auch von Boeing für die Qualitätssicherung in der Dreamliner-Endmontage in North Charleston genutzt.
2018 von ehemaligen Mitarbeitern der Airbus Group gegründet wurde LAKE FUSION Technologies (LFT). Das Unternehmen aus Markdorf entwickelt unter anderem das Assistenzsystem SitAwS für Hubschrauberpiloten. Das LiDAR-basierte Umfelderkennungssystem macht Hindernisse, zum Beispiel Stromleitungen, sichtbar und erhöht das Situationsbewusstsein der Piloten bei schlechter Sicht. LFT überträgt seine Umfeldabsicherungstechnologien auch in den Bereich des automatisierten Fahrens. Rheinmetall hat im Vorfeld der ILA eine strategische Beteiligung von 25,1 Prozent an dem Deep-Tech-Unternehmen vom Bodensee verkündet.
Das Erbe Zeppelins ist noch auf eine andere Art weithin sichtbar. Seit den 1990er-Jahren gibt es wieder Luftschiffe aus Friedrichshafen. Entwickelt und gebaut wird der Zeppelin NT von der ZLT Zeppelin Luftschifftechnik in Friedrichshafen, betrieben werden die modernen Luftschiffe seit 2001 von der Deutschen Zeppelin-Reederei. Anders als ihr Urahn LZ 1 starten sie vom Flughafen und nicht vom Bodensee.