Vernetzt, smart, intuitiv: Honeywell Aerospace und Garmin legen bei ihren Cockpitsystemen Anthem und G5000 PRIME eine neue Philosophie der Flugzeugbedienung zugrunde. Sie ist stark an die Smartphone-Nutzung angelehnt und bietet mit Touchscreens, Internetverbindung und Assistenzsystemen neue Funktionen. Zudem sollen die neuen Cockpits zu einer höheren Sicherheit beitragen und es den Piloten ermöglichen, sich schneller damit vertraut zu machen.

Anthem von Honeywell Aerospace verwendet große, berührungsempfindliche Displays.
Anthem von Honeywell
Anthem ist Honeywells erste von Grund auf neu entwickelte Cockpitarchitektur seit zwei Jahrzehnten. Sie soll ein würdiger Nachfolger der aktuellen Primus-Epic-Serie werden, die heute in rund 7000 bis 8000 Flugzeugen der Business und General Aviation fliegt und sich auch in den Regionalflugzeugen der Embraer-E-Jet-Familie findet. Anthem ist nach Angaben von Honeywell Aerospace für Flexibilität entwickelt – von der Allgemeinen über die Verkehrs- bis zur Militärluftfahrt. "Es ist ein technologischer Rahmen, der das Flugzeug optimiert, zukünftige Funktionen ermöglicht und sich in Cockpits jeder Größe integrieren lässt", sagt Bob Buddecke, President of Electronic Solutions bei Honeywell Aerospace. Anthem ist über das Internet mit einer Cloud verbunden. Das System tauscht Daten mit Servern am Boden aus und stellt sie autorisierten Benutzern zur Verfügung – darunter Piloten, Wartungsmitarbeiter, Flugdienstberater und Flugzeughersteller. Piloten können den Flugplan zuhause oder im Hotel mit ihrem Electronic Flight Bag (EFB) erstellen und an das Flugzeug schicken, wo sie ihn später nur noch bestätigen müssen. Das spart Zeit bei der Flugvorbereitung. Im Cockpit gibt es einen sicheren Browser, mit dessen Hilfe die Piloten auch Webanwendungen von Drittanbietern nutzen können, zum Beispiel die Flugplanungs- und Navigationssoftware ForeFlight. Im Flug kann die Airline-Betriebszentrale Flugplanänderungen direkt ans Cockpit senden. Die Crew muss alle Änderungen akzeptieren, bevor diese in Kraft treten. Die Datenübertragung kann über WLAN, UKW, Mobilfunk oder Satcom erfolgen. Sicherheitskritische Anwendungen laufen nicht auf den Servern, sodass ein Verbindungsabbruch im Flug keinesfalls Probleme bereitet.

Bei Anthem können Routen mithilfe kontextbezogener Kartensteuerungen schnell angepasst werden.
Cloud-Anbindung und flexible Nutzung
Zu Anthem gehört die neueste Hardware: Mehrkernprozessoren, berührungsempfindliche, kapazitive Bildschirme, deren Anzahl und Größe je nach Luftfahrzeug variiert, sowie Head-up-Displays. Die Piloten können die Anzeigen nach Belieben konfigurieren und auf den Displays platzieren, ihre Einstellungen werden in der Cloud gespeichert und dann beim nächsten Flug wieder aufgerufen. Das soll die Bedienung intuitiver machen und das Training vereinfachen. Anthem kann komplett über Touchscreens gesteuert werden. Es können aber auch herkömmliche Eingabegeräte oder ein Cursor Control Device (CCD) genutzt werden. Durch die neue Hardware soll Anthem 50 Prozent leichter als das Primus Epic sein. Insgesamt soll Anthem die Arbeitsbelastung der Cockpitcrew reduzieren und das Situationsverständnis erhöhen. Bei der Entwicklung legt Honeywell Aerospace viel Wert darauf, die Piloten mitzunehmen. Ein ganzes Team an Ingenieuren kümmert sich nur um das Thema menschliche Faktoren. Zudem sind Piloten als Berater involviert.

Boom Supersonic will seinen geplanten Überschall-Airliner Overture mit Anthem ausstatten.
Retrofit auch als Hybrid
Honeywell Aerospace ist bei Anthem mittlerweile von der Technologie- zur Produktentwicklung übergegangen. "Die Technologie ist sehr ausgereift. Wir haben Anthem mit unserer PC-12 im Flug getestet. Nun bewegen wir uns in Richtung Qualifikations- und Zulassungstests", sagt Buddecke. Man arbeite an der TSO-Zulassung (Technical Standard Order); die TSO definiert Lufttüchtigkeitsspezifikationen für Bauteile und Ausrüstung von zivilen US-Luftfahrzeugen), die für Ende 2026, Anfang 2027 angestrebt wird. Sie ist die Basis der eigentlichen Zulassung, die in den kommenden Jahren für das erste spezifische Luftfahrzeug erfolgen soll. Welches es sein wird, ist noch nicht öffentlich. Einige Partnerschaften mit Lufttaxi-Herstellern wurden in der Vergangenheit bereits angekündigt: mit dem britischen Unternehmen Vertical Aerospace, mit der südkoreanischen Hyundai-Tochter Supernal und dem mittlerweile insolventen deutschen Start-up Lilium. Boom Supersonic will Anthem für das Cockpit seines Überschall-Airliners Overture. Eine Zusammenarbeit mit dem kanadischen Business-Jet-Hersteller Bombardier gab Honeywell Aerospace im Dezember 2024 bekannt, nannte aber noch kein bestimmtes Flugzeug. Es gebe weitere Plattformen, die man noch nicht kommunizieren könne, so Buddecke. Anthem ist dabei nicht nur für neue Luftfahrzeuge gedacht, sondern auch als Retrofit. "Der Markt mag das Produkt", sagt er. Die Nachrüstung eines solch fortschrittlichen Cockpits sei nicht ohne Herausforderungen. "Nachrüstungen können jedoch von der Flexibilität von Anthem profitieren und sich einfach in die vorhandene Ausrüstung und Elektronik eines Flugzeugs integrieren. Dies ermöglicht ausgefeiltere Lösungen, wenn die besten Teile von Anthem mit bestehenden Systemen kombiniert werden", sagt Buddecke. Mit einem solchen Hybridsystem könne man die Kosten und Komplexität einer Änderung verringern.

Die großen Touchscreens des G5000 PRIME lassen sich gleichzeitig von beiden Piloten nutzen.
Garmin G5000 Prime
Während Honeywell die Entwicklung von Anthem 2021 öffentlich machte, hat Garmin still und leise an seinem neuen Avioniksystem G5000 PRIME gearbeitet und es Mitte Juni, kurz vor der Paris Air Show, vorgestellt. Das Cockpit ist für Part-25-Flugzeuge vorgesehen, darunter fallen auch große kommerzielle Jets von Airbus, Boeing und Embraer. Erste Anwendung wird aber das modernisierte Turboprop-Regionalflugzeug D328eco von Deutsche Aircraft. Bislang hatte sich Garmin vor allem auf die Allgemeine und die Geschäftsreise-Luftfahrt fokussiert. Die letzte "größere" Cockpit-Lösung war das G3000 PRIME, das 2024 eingeführt wurde und in der Pilatus PC-12 Pro verbaut ist. Der Schweizer Flugzeughersteller hatte zuvor auf Honeywell-Cockpits gesetzt. "Die G5000-PRIME-Avioniksuite ist vollständig für den Betrieb mit Besatzung optimiert und umfasst eine tiefere Systemintegration sowie fortschrittliche Automatisierungs- und Konnektivitäts-funktionen, die die Arbeitsbelastung der Crew verringern und die Arbeitsabläufe im Cockpit optimieren", so Carl Wolf, Vice President für Luftfahrt-Vertrieb, Marketing, Programme und Support bei Garmin. Das G5000 PRIME setzt auf berührungsempfindliche Bildschirme, die auch bei Sonneneinstrahlung gut lesbar sind und aus fingerabdruckbeständigem Glas bestehen. Die großen Primary Display Units (PDU) verfügen nach Angaben von Garmin über einen viermal größeren Speicher und eine 100 Mal schnellere Systemverbindung als Cockpits der Vorgängergeneration. Neue, schnellere Multi-Core-Prozessoren sorgen für eine mehr als doppelte Rechenleistung. Mit einer höheren Display-Refresh-Rate seien ruckelfreie Animationen und eine flüssige, responsive Bedienung möglich, so Garmin. Ergänzend können über Secondary Display Units (SDU) Daten eingegeben und die Systemsteuerung genutzt werden.

Mit Link 2000+ CPDLC können Piloten und Lotsen Nachrichten austauschen.
Unterstützung im Notfall
Die Display-Layouts sind nach Kundenwunsch konfigurierbar und sollen die Situationswahrnehmung der Crew verbessern. Die Multi-Touch-Bildschirme erkennen bis zu zehn Inputs gleichzeitig, sodass sowohl der Kapitän als auch der Co-Pilot mit demselben Display arbeiten können. Um auch während Turbulenzen eine sichere Eingabe zu ermöglichen, können die nicht genutzten Finger zur Stabilisierung auf dem Display abgelegt werden. Zudem können Eingabegeräte von Garmin oder Dritten an die Displays angeschlossen werden. Die herkömmlichen Sicherungen und Systemwarnungen können in das Bildschirmsystem integriert werden, wodurch die Overhead-Panels verzichtbar sind. Die Avionik-Suite umfasst verschiedene neue Funktionen. Mithilfe des Modified Flight Plan können sich die Piloten eine grafische Vorschau eines neuen Flugplans im Vergleich anzeigen lassen. Eine Notfall-Rückkehr-Funktion soll Piloten die Reaktion auf Notfälle kurz nach dem Start erleichtern. Zudem gibt es einen Notfall-Abstiegs-Modus, Autothrottle und weitere Anwendungen aus dem Garmin-AeroData-Portfolio, zum Beispiel zur Beladungsplanung. Neu ist auch die Runway-Occupancy- Awareness-Technologie, welche die Besatzung vor möglichen Kollisionen auf Rollwegen und Pisten sowie vor einem unerlaubten Eindringen auf eine Start- und Landebahn warnt. Eine offene Systemarchitektur soll dabei helfen, schnell neue Technologien einzuführen. Das G5000 PRIME ist vernetzt und kann Befunde und Zustandsinformationen des Flugzeugs für Wartungszwecke bereitstellen, ermöglicht es den Piloten aber auch, aktuelle Wetterinformationen via Satellit zu empfangen. Die Besatzung soll im Cockpit telefonieren, mailen sowie Textnachrichten senden und empfangen können.