Airbus und Boeing haben noch kein neues Standardrumpfflugzeug-Programm angekündigt, dennoch bringen sich die Triebwerkshersteller schon in Position: CFM International mit seinem im Juni 2021 angekündigten Forschungsprogramm RISE, Pratt & Whitney und seine Partner mit dem vor zwei Jahren gestarteten europäischen Clean-Aviation-Projekt SWITCH. Im Rahmen von RISE (Revolutionary Innovation for Sustainable Engines) arbeitet CFM International, ein Joint Venture von GE Aerospace und Safran Aircraft Engines, an Technologien für ein Triebwerk mit nichtummanteltem Bläser. Dieser Open Fan in der Schubklasse um 130 Kilonewton soll 20 Prozent sparsamer sein und ein Fünftel weniger CO2 ausstoßen als der erst 2016 in Dienst gestellte LEAP-Turbofan.

Der Open Fan von CFM International soll 20 Prozent sparsamer als das LEAP-Triebwerk sein und könnte um 2035 in Dienst gehen.
Tests in Frankreich und den USA
Das amerikanisch-französische Konsortium hat mittlerweile nach eigenen Angaben mehr als 250 Tests abgeschlossen (Stand Juli 2024). Nun gehen die Ingenieure vom Komponenten-Level zu Tests auf Modul-Ebene über, wie das Unternehmen im Sommer mitteilte. Zu den bereits abgeschlossenen Tests gehören beispielsweise die Windkanalversuche, die Safran Aircraft Engines zusammen mit der französischen Luftfahrtforschungsagentur ONERA durchgeführt hat. Mehr als 200 Stunden wurden Open-Fan-Modelle im Maßstab 1:5 in Modane seit Anfang des Jahres untersucht, darunter auch eine Version des Triebwerkmodells, die an einer Flügelsektion montiert war. Dabei ging es vor allem um die Aerodynamik und die Lärmentwicklung. In den kommenden zwei Jahren sollen weitere Windkanaltests im französischen Modane sowie in Anlagen der Deutsch-Niederländischen Windkanäle stattfinden, schließlich auch mit einem kompletten Flugzeugmodell. Zudem hat Safran eine Testkampagne mit einer schnelllaufenden Niederdruckturbine mit neuen Turbinenschaufeln sowie Einsaugtests mit Bläserschaufeln durchgeführt. Das Niederdrucksystem inklusive Bläser liegt traditionell in der Verantwortung der Franzosen. "Wir haben bedeutende Fortschritte in unserem Testplan gemacht, die die Vorteile des Open-Fan-Antriebssystems für die nächste Generation von Single-Aisle-Flugzeugen bestätigen", so Pierre Cottenceau, Executive Vice President of Engineering and Research & Technology bei Safran Aircraft Engines. In Villaroche bei Paris entsteht derzeit ein neuer Prüfstand. In der acht Meter breiten Kammer sollen von 2025 an Entwicklungs- und Zulassungstests für RISE stattfinden.
Auf der anderen Seite des Atlantiks hat GE Aerospace mit einer zweiten Testreihe mit Hochdruckturbinenschaufeln begonnen. Erste Versuche fanden 2023 am Hauptsitz in Evendale, Ohio, mit einem modifizierten F110-Triebwerk statt. "Das demonstrierte einen Generationswechsel in der Verbesserung unserer Kühltechnologie für Turbinenkomponenten", so Arjan Hegeman, General Manager für fortschrittliche Technologien bei GE Aerospace. Zudem werden neue Verdichter- und Brennkammertechnologien getestet. Der Fokus liegt dabei auf Materialeigenschaften sowie dem Einfluss des Triebwerksdesigns auf CO2- und Nicht-CO2-Emissionen.

Ein Modell des Open Fan von CFM International im Maßstab 1:5 wurde bereits mehr als 200 Stunden im Windkanal erprobt.
Hybrid-elektrische Technologie
Das RISE-Programm profitiert neben Fördergeldern aus dem europäischen Luftfahrtforschungsprogramm Clean Aviation auch von Arbeiten, die die NASA finanziell unterstützt. Kürzlich hat GE Aerospace einen Auftrag erhalten, im Rahmen der zweiten Phase des HyTEC-Projekts (Hybrid Thermally Efficient Core) einen hybrid-elektrischen Demonstrator zu entwickeln. Dafür soll ein Passport-Business-Jet-Triebwerk mit mehreren elektrischen Motorgeneratoren ausgestattet und bis 2028 am Boden getestet werden. Hybrid-elektrische Technologien sollen dabei helfen, das Kerntriebwerk zu verkleinern und mit großen Bläsern zu kombinieren, um so das Nebenstromverhältnis zu steigern. Ein kleineres Kerntriebwerk bedeutet aber höhere Temperaturen und Drücke, deshalb müssen hitzeresistente Materialien und neue Beschichtungen zum Einsatz kommen. Ziel von HyTEC ist es, den Treibstoffverbrauch um zehn Prozent zu reduzieren.

Mit einem modifizierten Passport-Business-Jet-Triebwerk will GE Aerospace hybrid-elektrische Komponenten für den Open Fan testen.
Flugerprobung am Supercomputer
Neue Partnerschaften sollen die Entwicklung des Open Fan weiter beschleunigen. GE hat beispielsweise mit dem Oak Ridge National Laboratory des US-Energieministeriums eine Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung getroffen, um neue Fähigkeiten in den Bereichen Rechner-Modellierung und Simulation zu erarbeiten. Oak Ridge verfügt über den schnellsten Supercomputer der Welt namens Frontier. Er kann mehr als eine Quintillion Berechnungen pro Sekunde durchführen. Damit können Komponenten in einer simulierten Umgebung digital geflogen werden, bevor die Hardware gebaut wird.

Der Getriebefan von Pratt & Whitney soll mit zwei Motorgeneratoren ausgestattet und Ende 2025 auf einem Prüfstand getestet werden.
Effizienter in allen Betriebsphasen
Pratt & Whitney hat derweil für seinen hybrid-elektrischen Getriebefan-Demonstrator im Rahmen des SWITCH-Projekts (Sustainable Water-Injecting Turbofan Comprising Hybrid-Electrics) die vorläufige Entwurfsüberprüfung abgeschlossen. Das hybrid-elektrische Antriebssystem besteht aus zwei elektrischen Motorgeneratoren vom Schwesterunternehmen Collins Aerospace, je einer auf der Niederdruck- (1 MW) und Hochdruckwelle (500 kW) in parallel-hybrider Konfiguration. Hinzukommen Motorsteuerung, Hochspannungsverkabelung und Batterien. Das System soll in Collins neuer Entwicklungsanlage für elektrische Systeme – The GRID – in Rockford, Illinois, getestet werden, bevor es in einen Getriebefan eingebaut wird und Ende 2025 auf einem Prüfstand bei Partner MTU laufen soll. Die Hybrid-Elektrifizierung soll, wie bei RISE, die Effizienz des Triebwerks über alle Flug- und Betriebsphasen hinweg verbessern. Pratt erwartet nach eigenen Angaben eine Verringerung des Treibstoffverbrauchs im mittleren einstelligen Bereich. Der Motorgenerator auf der Niederdruckwelle unterstützt zum Beispiel beim Rollen, Start und Steigflug. So könnte das künftige Kerntriebwerk für den Reiseflug optimiert und damit kleiner ausgelegt werden. Im Reiseflug könnte der Motorgenerator die Batterien aufladen, um den Sinkflug oder den Bodenbetrieb im Leerlauf zu ermöglichen. Der zweite Motorgenerator soll bei Bedarf die Hochdruckwelle beschleunigen. Der Hochdruckverdichter könnte dann mit einer geringeren Betriebsmarge und damit effizienter ausgelegt werden.

MTU Aero Engines forscht schon seit mehreren Jahren am Water-Enhanced-Turbofan-Konzept, das die Abgaswärme nutzt.
Water-Enhanced-Turbofan-Konzept
Zu SWITCH gehört auch das WET-Konzept (Water-Enhanced Turbofan) von MTU Aero Engines. Es sieht die Einspritzung von Wasserdampf in die Brennkammer vor. Das dafür nötige Wasser wird zum Teil aus dem Abgas über einen Wärmetauscher auskondensiert, über einen Wasserabscheider gesammelt und flüssig über eine Pumpe zu einem Dampferzeuger geführt. Dieser wandelt das flüssige Wasser in Dampf um, der zunächst in einer kleinen Dampfturbine an der Niederdruckwelle entspannt und schließlich in die Brennkammer eingespritzt wird. Das soll den thermodyna- mischen Wirkungsgrad verbessern und zudem das Abgas reinigen. Nach Angaben von MTU befindet sich der Water-Enhanced Turbofan in einer frühen Technologieentwicklungsphase. Dabei gehe es um die Optimierung der Konfiguration und die zugehörige Ertüchtigung der Methoden und Tools, aber auch um Integrationsstudien sowie die Vorauslegung von Verdampfer und Kondensator. Parallel dazu habe man mit Partnern Komponententests für die einzelnen Technologie-Bausteine definiert und durchgeführt. Collins Aerospace hat im britischen Wolverhampton Schlüsselelemente des Kondensators entwickelt. Die Muster würden derzeit gefertigt und im Anschluss für Test zur Aristoteles-Universität Thessaloniki geschickt. Der von GKN gefertigte Verdampfer wird an der Chalmers University of Technology in Göteborg untersucht. Am Institut für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt der Universität Stuttgart führt MTU Tests mit dem System zur Abscheidung von Wasser aus den Abgasen durch. Ebenfalls in Stuttgart, am Institut für Verbrennungstechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), haben Ingenieure von MTU und Pratt & Whitney mit der Erprobung einer Brennkammer begonnen, die mit Dampfeinspritzung arbeiten kann.
Zusammen sollen das WET-Konzept und die hybrid-elektrischen Technologien den Treibstoffverbrauch und den CO2-Ausstoß um 25 Prozent im Vergleich zum konventionellen Getriebefan reduzieren. Ziel ist zudem eine Verringerung der Stickoxidemissionen um 80 Prozent, auch soll das Triebwerk deutlich weniger Kondensstreifen erzeugen. Allerdings ist bei SWITCH das Gewicht eine große Herausforderung. Allein wegen des WET-Konzepts könnte der Getriebefan um bis zu 60 Prozent Gewicht zulegen und wäre sehr viel länger als das heutige A320neo-Triebwerk. Um das Nebenstromverhältnis weiter zu vergrößern, könnte der Bläserdurchmesser um etwa 25 Zentimeter auf 2,30 Meter anwachsen.

Rolls-Royce hat den Ultra Fan-Demonstrator im November 2023 bei maximalem Schub getestet, 378 Kilonewton
Rückkehr ins Narrowbody-Geschäft?
Auch Rolls-Royce setzt auf die nächste Generation von Standardrumpfflugzeugen: Auf der Farnborough Airshow 2024 kündigte Rolls-Royce an, eine kleinere Version seines UltraFan-Triebwerks zu entwickeln. Laut Medienberichten führen die Briten mit Flugzeugherstellern Gespräche über die Technologieinitiative. Für Rolls-Royce wäre das die Rückkehr in das lukrativste Marktsegment der Zivilluftfahrt. Von 1983 bis 2012 war Rolls-Royce Teil des Gemeinschaftsunternehmens International Aero Engines (IAE), das den Turbofan V2500 für Narrowbodies wie den Airbus A320 entwickelte. Wegen Unstimmigkeiten mit Pratt & Whitney zog sich Rolls-Royce zurück und konzentrierte sich im zivilen Bereich auf Business-Jet- und Großtriebwerke. Der UltraFan verfügt wie der Getriebefan über ein Untersetzungsgetriebe zwischen Niederdruckturbine und Bläser und neue Technologien wie Bläserschaufeln aus Kohlefaserverbundwerkstoffen, ein leichtes Composite-Gehäuse und eine Magerbrennkammer für möglichst geringe Emissionen. Damit soll das Triebwerk zehn Prozent sparsamer als das Trent XWB sein. Der bisher einzige Demonstrator wurde 2023 ausgiebig in Derby am Boden erprobt. Höhepunkt war ein Test bei maximalem Schub, mehr als 378 kN. Das Test-Triebwerk ist mit einem Bläserdurchmesser von 3,56 Metern der weltgrößte Turbofan. Laut Rolls-Royce ist die Technologie jedoch bis auf ein Schublevel von 111 bis 133 kN herunterskalierbar.