Vietnam Ende der 60er Jahre – es tobt einer der furchtbarsten Kriege des 20. Jahrhunderts. Die Tet-Offensive der Nordvietnamesen ist seit dem 30. Januar 1968 in vollem Gang und überrumpelt die amerikanischen Streitkräfte. Inzwischen auf über eine halbe Million Soldaten aufgestockt, erholen sich die GIs nur schwer von diesem, vor allem propagandistisch höchst erfolgreichen Schlag. Stellen die Folgen daraus und der teils überstürzte Rückzug der Amerikaner doch den Wendepunkt in den Köpfen der Zivilisten dar. Dieser Krieg kann nicht mehr gewonnen werden! In den Dschungeln Vietnams kämpfen die Truppen der US-Streitmacht gegen einen zahlenmäßig unterlegenen Gegner, doch die Bedingungen in Asien und die Guerillataktiken der Nationalen Volksarmee lassen keine Zweifel: Die Chancen stehen schlecht. Auch die Verwendung menschenverachtender Mittel wie Napalm und Agent Orange bringen keinen Vorteil.
Über dem Dschungel wird ein ganz anderer Konflikt ausgefochten: Luftschläge mit schweren B-52-Bombern, Duelle zwischen F-4 Phantoms und MiG-17 sowie die Nutzung von Propellermaschinen für verschiedene Zwecke erwecken den Eindruck einer Überlegenheit. Ein wichtiger Auftrag der United States Air Force (USAF) ist die Überwachung der Nachschubwege der Nordvietnamesen. Über den Ho-Chi-Minh-Pfad finden Nachschub an Material und Soldaten meist nachts den Weg an die Front. Die Überwachung und Auskundschaftung werden dabei von Maschinen wie der Cessna O-1 Bird Dog oder der Cessna O-2 (O für Observer/Überwacher) übernommen.
Push and Pull
Die O-2 war damals ein Novum am Himmel. Das Push-Pull-Prinzip (Druck und Zug) wurde zwar schon in den vierziger Jahren in der Dornier 335 verwendet, hatte sich jedoch nicht wirklich durchgesetzt. Bei der Cessna war es anders. Zwei IO-360-Motoren von Continental, einer im Bug und der andere im Heck des als Gondel konstruierten Rumpfs, versorgten die beiden Propeller mit jeweils 155 kW Leistung. Eine Besonderheit der O-2 war die Bauweise als Schulterdecker mit Doppelleitwerk. Die markanten doppelten Ausleger münden in zwei Seitenleitwerke. Ein Unterschied zwischen der O-2 und der seit 1963 im Bau befindlichen, zivilen Skymaster sind die großen Fenster im unteren Bereich der Türen und des Rumpfs. Dies erleichterte der Besatzung der „Oscar Deuce“ (Spitzname für die O-2) ihre Aufgaben bei Beobachtungsmissionen. Unter den Tragflächen waren Befestigungspunkte für Außenlasten angebracht. Die Vorrichtungen konnten wahlweise mit Leuchtkörpern, leichten Waffen oder Raketen bestückt werden.
Eine dieser „Oscar Deuce“ im Einsatz war die mit der Seriennummer 67-21300. Im Jahr 1967 verließ die Zweimot als sechste je gebaute O-2A das Cessna-Hauptwerk in Wichita, Kansas. Die vorherigen fünf wurden für Testzwecke sowie als Trainingsflugzeuge für die Kampfeinheiten genutzt.
Die Maschine wurde am 16. Mai 1967 an die US-Luftstreitkräfte übergeben und der 504. Taktischen Luftunterstützungsgruppe auf der Binh-Thuy-Basis in Vietnam überstellt. Bereits im Oktober desselben Jahres wurde die 504. Gruppe auf die thailändische Basis Nakhon Phanom verlegt. Von dort aus nahm die Cessna O-2 unterstützend an den Steel-Tiger-Missionen teil, welche die Überwachung und Zerstörung der Nachschubwege auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad beinhaltete. Ab Mai 1969 nahm sie, weiterhin innerhalb der 504. Gruppe, an der Invasion in Kambodscha teil. Nach Beendigung ihres Dienstes in Vietnam kam die O-2 zurück in die Vereinigten Staaten, wo sie bis August 1982 bei verschiedenen Einheiten der National Guard im Einsatz war. Die militärische Laufbahn sollte noch bis 1990 andauern. Nach der Zeit bei der Nationalgarde übernahm die US Navy den Veteranen 16 Jahre nach seiner Indienststellung. Im September 1990 wurde er dann mit 6320 Flugstunden aus dem Inventar der Navy gestrichen.
Zivile Nutzung als N590D
Zwei Jahre lang blieb der Schulterdecker eingemottet am Boden, bevor er in zivile Hände übergeben und an einen Warbird-Sammler aus Camarillo (Kalifornien) verkauft wurde. Um die Jahrtausendwende herum wurde er in seinen ursprünglichen militärischen Standard zurückversetzt, inklusive der Lackierung, die er bei seinem USAF-Einsatz in Vietnam getragen hatte. Im August 2007 erhielt die nun als N590D registrierte Maschine von der FAA ein neues Certificate of Airworthiness. Wenige Monate später fand sie eine neue Heimat in White Plains, New York.
Über den Atlantik
Im Jahr 2013 begab sich die O-2 erneut auf große Reise. Diesmal nicht in den Dschungel, sondern nach Europa. Genauer gesagt zu einem Privatmann in den Niederlanden. Goof Bakker und Erik Brouwer waren die treibende Kraft hinter dem Kauf des Flugzeugs. Dieses kam nicht etwa im Container, wie man es bei einer solch langen Reise erwarten könnte, vielmehr wurde die O-2 über den Atlantik geflogen.
Goof Bakker unternahm die große Reise von White Plains, New York, über Goose Bay in Kanada, Grönland, Island und Schottland bis in die Niederlande. Auf dem fünf Tage dauernden, 6850 km langen Überführungsflug verbrauchten die beiden Motoren 2700 Liter Avgas. Am Flugplatz Teuge kümmern sich heute die Mitglieder der Postbellum Foundation (Postbellum bedeutet: nach dem Krieg) liebevoll um den Neuzugang.
Ziel der Stiftung ist es, die O-2 auf möglichst vielen Veranstaltungen in ganz Europa zu zeigen. Mit ihrer Sammlung soll die Erinnerung an die vielen Konflikte nach dem Zweiten Weltkrieg, auch mit ihren faszinierenden luftfahrttechnischen Entwicklungen, aufrechterhalten werden. In ihren modernen Hangar in Teuge werden unter anderem Schulklassen und Firmen eingeladen, sich einen Einblick in die Geschichte des Kalten Kriegs zu verschaffen. Neben der O-2A hat noch ein F-104G Starfighter Platz gefunden, welcher nach und nach restauriert wird. Dabei handelt es sich um einen ehemaligen deutschen Starfighter, der zukünftig in niederländischer Lackierung präsentiert wird. Ein weiterer „kalter Krieger“ in der Sammlung ist die MiG-23 „Flogger“. Sie wird teilweise wieder in Betrieb genommen und Besuchern die Schwenkflügel in Aktion zeigen.
Den ersten Auftritt der O-2 in Deutschland gab es bei der Breitscheid Airshow 2015. Bereits am Vortag der Show setzte das markante Flugzeug mit drei Personen und viel Gepäck an Bord auf der Piste in Hessen auf. Aufgrund der Auslegung eignet sich die Cessna hervorragend als Reiseflugzeug. Und mit guten, geräuschunterdrückenden Headsets ist auch die Lärmbelastung durch die zwei Motoren erträglich.
Airshowdebüt in Deutschland
Am Veranstaltungswochenende zog die Maschine viele Blicke auf sich, präsentierte sie sich doch in voller Ausstattung inklusive Außenlastträgern mit Raketenattrappen. Die Crew beantwortete viele Fragen zu dem außergewöhnlichen Antriebskonzept und der Ausstattung. Der verantwortliche Pilot in Breitscheid war Christian Cocheret. Der 29-Jährige fliegt hauptberuflich Hubschrauber bei der Königlich-Niederländischen Marine. Als Besitzer der britischen Display-Berechtigung ist er einer der ersten Piloten, der die Zweimot auf Shows vorführen darf.
Versehen mit einer Rauchanlage am hinteren Motor, flog Christian Cocheret an diesem Wochenende mehrere sehr eindrucksvolle Vorführungen, die die Vorzüge der „Oscar Deuce“ deutlich hervorhoben. Wer selbst einmal Flugerfahrung auf diesem außergewöhnlichen Muster sammeln möchte, kann dies in den Niederlanden tun: Die Postbellum-Stiftung in Teuge in der Provinz Gelderland bietet interessierten Piloten die Möglichkeit dazu. Voraussetzungen dafür sind ein EASA- PPL mit FAA-Freigabe, eine Multi-Engine-Qualifizierung sowie 300 oder mehr Flugstunden auf Cessna oder vergleichbaren Typen. Nach einer Einweisung und Prüfung durch einen Prüfpiloten steht dem Flugvergnügen nichts mehr im Weg.
Militärische Stationen der Cessna 67-21300

Mai 1967: Als erste O-2 wurde die 67-21300 an die US Air Force ausgeliefert
Mai 1967: Einsatz bei der 504. Tactical Air Support Group auf der Binh Thuy Air Base, Vietnam
Oktober 1967: Verlegt auf die Nakhon Phanom RTAFB. Einsatz bei der 23. Tactical Air Support Squadron. Unterstützung der Steel-Tiger-Operationen über dem Ho-Chi-Minh-Pfad
Mai 1969: Verlegt auf die Bien Hoa Air Base, Vietnam. Einsatz bei der 19. Tactical Air Support Squadron. Unterstützung der US-, südvietnamesischen und australischen Armee bei der Vorbereitung zur Invasion Kambodschas im Jahr 1970
September 1970: Verlegt auf die Cam Ranh Bay Base, Vietnam
Februar 1971: Rückführung in die USA und Eingliederung in die 111. Tactical Air Support Group der National Guard auf der NAS Willow Grove. Weitere Stationen in Ontario, Wisconsin und Kalifornien
August 1982: Abgabe an die US Navy
1983 bis 1986: Einsatz als Range Controller bei der US Navy auf der NAS Lemoore
September 1990: Außerdienststellung auf der NAS Lemoore in Kalifornien
Klassiker der Luftfahrt Ausgabe 04/2016