Die RAF war spät dran mit der Einführung eines Überschall-Jagdflugzeugs. Das katastrophale Defence White Paper des damaligen britischen Verteidigungsministers Duncan Sandys vom März 1957 hatte mehreren vielversprechenden Überschallprojekten der britischen Flugzeugindustrie ein jähes Ende gesetzt. So fand einzig die English Electric Lightning – oder P1B, wie sie damals genannt wurde – den Weg zu den Einsatzgeschwadern. Die Tiger Squadron No. 74, stationiert auf dem Fliegerhorst Coltishall, wurde im Sommer 1960 mit der Einführung der English Electric Lightning beauftragt. Endlich hatte die RAF ein Mach-2-Jagdflugzeug. Die Lightning F1 war die erste Produktionsvariante, und es wurden nur 20 Exemplare gebaut (XM134-147 und XM163-168). Die No. 74 Squadron blieb die einzige Betreiberin dieser Version, bevor die Produktion auf die verbesserte Lightning F1A umgestellt wurde.

Eine Formation von vier Lightning F1 der No. 74 Squadron.
Ankunft der ersten Lightning
David Jones, der zur No. 74 Squadron gekommen war, als diese noch Hawker Hunter flog, stieg früh auf die Lightning um und erlebte diese ersten ereignisreichen Jahre. Er absolvierte 838 Flugstunden und diente bei der No. 74 Squadron und der No. 19 Squadron, bevor er als Ausbilder zur Lightning Operational Conversion Unit, No. 226 OCU, versetzt wurde. "Am 29. Juni 1960 traf die erste Lightning F1 [XM165], für die 74 Squadron auf der RAF Coltishall ein. Der neue ‚Chef‘ der Staffel war John Howe, und er erwies sich schon bald als der richtige Mann für diese Aufgabe. Er war ein sehr erfahrener Pilot, der hart war und keine Dummheiten duldete, aber er war auch sehr sympathisch und ein guter Anführer."
Der erste Flug
Die Aufgabe, die Piloten der No. 74 Squadron auf die Lightning F1 umzuschulen, fiel dem Lightning Conversion Unit in Coltishall zu – lange, bevor die ersten doppelsitzigen Lightning T4 zur Verfügung standen. Der erste Flug in der Lightning war auch der erste Alleinflug. "Als Vorbereitung darauf haben wir zuerst zehn Flüge im Simulator in Coltishall hinter uns gebracht. ‚Simulator‘ ist allerdings ein ziemlich großes Wort. Es handelte sich eher um ein Verfahrenstraining; es gab keine Bewegung und keine Sicht nach draußen, dafür aber ein bisschen Sound. Mein erster Lightning-Flug war am 23. September 1960 und dauerte knapp eine Stunde. Er wurde von Ken Goodwin beaufsichtigt, der in einer Hunter kurz vor mir startete und mir folgte, wobei er alle Kurven schnitt, um dranzubleiben. Wir starteten und stiegen auf 36 000 Fuß, die Standardflughöhe für die Lightning. Dann beschleunigte ich auf Mach 1.3, drehte ein paar Kurven, flog zurück zur Basis, machte einen Ground Controlled Approach, flog eine Platzrunde und schwebte danach zur Landung ein. Am nächsten Tag machte ich meinen zweiten Flug, der ähnlich verlief, nur dass ich auf Mach 1.6 beschleunigte. Das war meine Eintrittskarte in den ‚1000-Meilen-pro-Stunde-Club.‘"

Für die SBAC-Show in Farnborough im September 1960 verlegte die 74 Squadron sechs Lightning F1 nach Boscombe Down.
Lightning in Action
Alle Piloten der Staffel schafften die Umstellung auf die Lightning, ohne dass es während des Programms zu Todesfällen kam – eine beachtliche Leistung bei einem so hoch entwickelten Flugzeug. Im November 1960 hatte das Geschwader seinen vollen Bestand von zwölf F1 und 16 Piloten erreicht. Allerdings war die Einsatzfähigkeit gering, die Ersatzteile waren knapp und die Flugstunden waren begrenzt. "Sie sagten immer wieder, dass wir einsatzbereit sein müssten, aber gleichzeitig sagten sie: ‚Ja, aber wir wollen, dass ihr nach Farnborough oder zur Paris Air Show fliegt und so weiter‘. Wäre der Krieg ausgebrochen, wären wir über Nacht bereit gewesen, aber wir waren nie wirklich in Quick Reaction Alert (QRA) eingebunden, weil wir nicht genügend einsatzfähige Flugzeuge hatten."Im Juli 1960 erhielt die Staffel den Auftrag, vier Lightnings bei der SBAC-Show in Farnborough im September zu präsentieren – obwohl sie zum Zeitpunkt der Ankündigung gar nicht über vier flugbereite Flugzeuge verfügte! Dennoch flog das Team in Farnborough unter großem Beifall an allen Ausstellungstagen, außer am Dienstag, seine "Box Four"-Routine. So hatte die Öffentlichkeit zum ersten Mal die Gelegenheit, das neue Überschallkampfflugzeug der RAF in Aktion zu sehen. Der große Pressetag in Coltishall für die Staffel No. 74 und die Lightning F1 war der 22. Februar 1961, als die Staffel zwölf Flugzeuge ausstellte. Die Reporter und Fotografen von "Aeroplane" waren vor Ort, und einige ihrer Bilder, von Glasnegativen eingescannt, illustrieren diesen Beitrag.

Gruppenbild auf dem Fliegerhorst RAF Coltishall am 22. Februar 1961 – dem Pressetag, an dem alle zwölf Lightning F1 des Geschwaders im Einsatz waren.
Dramatischer Zwischenfall
Am 16. Mai 1961 ereignete sich ein dramatischer Zwischenfall mit der Lightning XM141. Jim Burns flog in enger Formation in einem Viererverband über Coltishall, als das Seitenleitwerk versagte und das Ruder abbrach, was auf die aerodynamische Belastung durch das benachbarte Flugzeug zurückzuführen war. "Ich erinnere mich, dass ich das gesehen habe. Ich stand am Boden und beobachtete den Vorbeiflug – eine Box Four, gerade und waagerecht, mit hoher Geschwindigkeit, wobei Jim Burns‘ Flugzeug das hintere in der Box war. Dann fielen Teile zu Boden und schlugen auf dem Platz ein. Auch der Chef war am Boden. Er sprang sofort in seinen Land Rover und fuhr hinüber, um zu sehen, wie groß die Teile waren, die da vom Himmel gefallen waren." Burns landete derweil sicher, das Flugzeug wurde anschließend repariert, aber eine aus dem Zwischenfall resultierende Anweisung schränkte die zulässigen Flugparameter ein – so lange, bis die Seitenruder der Lightnings nachträglich verstärkt waren. Burns erhielt in der Zwischenzeit den Spitznamen ‚Finless Jim‘.

Diese Air-to-Air-Aufnahme entstand mutmaßlich am 22. Februar 1961, anlässlich der großen Presseveranstaltung zur Vorstellung des neuen „Mach-2-Jagdflugzeugs“ der RAF.
Zwischen Flugshows und Einsatzstaffel
Dann begannen die ernsthaften Vorbereitungen für die Vorführung der Staffel in Farnborough 1961. Sie sollte deutlich spektakulärer sein als das Programm von 1960 – mit einer gemeinsamen Rolle in Neunerformation als Höhepunkt. "Unsere Vorführung dauerte sechs oder sieben Minuten, nicht so lang wie die der Red Arrows heutzutage. Es gab auch keine Lightning-Solovorführung bei uns, nur Formationsflug und die Nine-Ship-Rolle."Nach Farnborough kehrte die Staffel zu einer intensiveren Ausbildung zurück, die auch regelmäßige Nachtflüge umfasste. Aber wie brachte die Staffel ihre alltäglichen Einsätze mit all den anderen Verpflichtungen in Einklang, die ihm übertragen wurden? "Per Definition war das Geschwader einsatzfähig. Als im Dezember 1961 Pete Botterill Kommandant wurde und John Howe ablöste, verkündete er: ‚Gut. Wir werden jetzt ein richtige Einsatzstaffel sein. Vergessen Sie diese ganzen Schauflüge‘. Trotzdem wollte die Luftwaffenführung schon wenige Monate später, dass wir für Displays nach Schweden und Norwegen gingen und wieder in Farnborough vorflogen, also änderte sich alles." Im November 1961 war David laut Flugbuch 19 Stunden und 50 Minuten im Lightning-Cockpit in der Luft – so viele wie nie zuvor und niemals wieder in einem Monat. "In den anderen Monaten war es ziemlich mager", gibt er zu. "Im gesamten Jahr 1962 kam ich nur auf 67 Stunden und 30 Minuten."

Im Mai 1962 flog die No. 74 Squadron mit acht Lightnings zu einem Goodwill-Besuch nach Schweden.
Die "Tigers" kommen
Für die Staffel selbst markierte das Jahr 1962 eine kleine Zäsur: Am 26. April 1962 annoncierte das Fighter Command der Royal Air Force die No. 74 Squadron als offizielles RAF-Kunstflugteam "The Tigers". Die "Tigers" traten damit die Nachfolge der "Blue Diamonds" an, die mit ihren Hunter-Jets der No. 92 Squadron zugeordnet waren. Die Luftfahrtmesse in Farnborough im September 1962 sollte der Höhepunkt der Saison werden. Man beschloss, eine kombinierte, koordinierte Vorführung mit den Teams der Staffeln 74 und 92 zu veranstalten. Das gemeinsame Display begann daher mit einer Formation aus 23 Flugzeugen: 7 Lightnings, die zuerst abhoben, und 16 Hawker Hunter. "Pete Botterill flog als Leader, weil die Lightnings an der Spitze dieser großartigen 23er-Formation standen, die ein paar sanfte Manöver flog, bevor sie sich auflöste. Ich war der offizielle Kommentator und moderierte die Show zusammen mit John Vickery, dem Kommentator der 92 Squadron. Es war eine sehr spektakuläre Vorführung. Es lief rundum gut." Auch die erste zweisitzige Lightning T4 des Geschwaders, die am 3. August 1962 endlich eingetroffen war, nahm in Farnborough teil. Sie trug das Kennzeichen XM974/T.

Der finale Break mit sieben Lightnings am Ende der Vorführung der No. 74 Squadron in Farnborough am 8. September 1962 – auch bekannt als „Burner Burst“.
Die Lightning als Filmstar
David Jones trat 1962 anonym in dem Film "Streaked Lightning" des Luftfahrtministeriums auf. Der knapp fünfminütige Film umfasst dramatische Startaufnahmen der Lightning F1 "Alpha" aus Coltishall, Luftkampfmanöver über den Wolken und einen höchst beeindruckenden Start bei Dunkelheit mit drei Lightnings, deren Nachbrenner die Nacht erhellten. David flog am 19. Juni 1962 zwei Einsätze für den Film. Er spielte auch die Rolle des "Piloten" in seinem Cockpit (gedreht im Simulator) und zeichnete den Pilotenteil des Funkgesprächs zwischen der Lightning "Tiger 74" und dem Kontrollturm auf – auch wenn er den Inhalt des Drehbuchs schon damals für "ein bisschen zweifelhaft" hielt. Sechzig Jahre später lohnt es sich, fünf Minuten Zeit zu nehmen. Eine Internetsuche nach "Streaked Lightning" sollte den Farbfilm, der die Lightning als "weltbesten Fighter" adelt, ohne Probleme aufstöbern. Davids Zeit in der Staffel endete im Frühjahr 1963 nach fast fünf Jahren. Sein letzter Flug fand am 8. April statt, seine Versetzung erfolgte am 15. April. Zu dieser Zeit rüsteten weitere RAF-Geschwader auf die neue Lightning F2 um, und mit seiner Erfahrung und 217 Lightning-Stunden im Gepäck kam er zur No. 19 Squadron in RAF Leconfield.

Flight Lieutenant David Jones im Oktober 1963 mit dem „Tiger“-Abzeichen der No. 74 Squadron auf der Schulter seiner Fliegerkombi.
Bis heute eine der berühmtesten Jagdstaffeln
Auf die ersten Jahre mit der Lightning in Coltishall blickt er noch heute mit großer Dankbarkeit zurück. "Ich weiß, was für ein Glück ich hatte, diese aufregende Zeit miterleben zu dürfen, und ich werde nie vergessen, wie hart die Techniker der 74 Squadron arbeiten mussten, um das alles zu ermöglichen." Die No. 74 Squadron rüstete später auf die Lightning F3 (1964–1969) und dann auf die Lightning F6 (1966–1971) um. Obwohl sie bis heute als eine der berühmtesten Jagdstaffeln der RAF gilt, wurde sie im September 2000 aufgelöst.