Um nur wenige andere Kampfflugzeuge der 30er und 40er Jahre ranken sich Mythen, Halbwahrheiten und falsche Darstellungen als um Heinkels Bomber He 111. Erst jüngere Forschungen des Rostocker Luftfahrthistorikers und Heinkel-Spezialisten Dr. Volker Koos räumen mit einigen Ungereimtheiten auf, die sich seit Jahrzehnten durch die Literatur zur Heinkel 111 ziehen.
Bomber und Verkehrsflugzeug
Die Geschichte der He 111 geht auf den Anfang der 1930er Jahre zurück. Wie andere deutsche Kampfflugzeuge wurde auch dieser Bomber zunächst mehr oder weniger verdeckt entwickelt. Überraschend mag dabei sein, dass Heinkel entgegen weit verbreiteter Ansichten bereits 1932 vom Reichverkehrsministerium den Auftrag zur Entwicklung eines zweimotorigen Flugzeugs erhielt, das sowohl als Bomber als auch als Verkehrsflugzeug geeignet sein sollte. Die Order des Verkehrsministeriums erfolgte in enger Abstimmung mit der Reichswehr und diente wohl eher der Tarnung der Bomberentwicklung. Obwohl Lufthansa später die He 111 erprobte, sollte sie die Rolle als Verkehrsflugzeug allenfalls zweitrangig spielen.

Die Heinkel He 111 war Heinkels erfolgreichstes Flugzeug.
Entwicklung
Wohl niemand konnte beim Entwicklungsstart der He 111 ahnen, wie lang die Karriere dieses Bombers dauern würde, dessen Produktion erst im Herbst 1944 auslief, weit nach der ursprünglich vorgesehenen Zeit. Zunächst sollten drei Prototypen gebaut werden. Als Antrieb sollten BMW VI 6.OZ mit je 660 PS/485 kW Startleistung dienen. Klar war, dass dieser schon damals veraltete Motor aus dem Jahr 1926 nur eine Übergangslösung sein würde, bis leistungsfähigere Antriebe zur Verfügung stehen würden. An denen mangelte es Anfang der 1930er Jahre als Auswirkung des Versailler Vertrages. Unverkennbar trug der Entwurf der He 111 mit ihren elliptischen Flügeln und Leitwerken die Handschrift der Zwillingsbrüder Siegfried und Walter Günter. Sie stützten sich bei der Konstruktion der neuen Zweimot auf die gerade erst fertig gewordene Heinkel He 70 Blitz. Im April 1934 war ein Ingenieurmodell der He 111 fertig. Am 17. November des gleichen Jahres, so ergaben die Forschungen von Dr. Koos, und nicht erst im Februar 1935, wie immer wieder kolportiert, startete die He 111 V1 (D-ADAP), ein zunächst unbewaffneter Bomberprototyp, zum Erstflug. Sie soll bei einer Startmasse von 7,6 Tonnen bereits 350 Kilometer pro Stunde erreicht haben. Auffällig ist, dass das schwere Flugzeug zunächst nur einen Hecksporn besaß, der erst beim zweiten Prototypen gegen ein halb einziehbares Rad ersetzt wurde. Ebenfalls eine Bomberversion war die V3 (D-ALES), die eine 20-mm-Kanone als Abwehrbewaffnung besaß. Drei Monate nach der V1 kam die He 111 V2 (D-ALIX) in die Luft. Äußerlich unterschied sie sich vom ersten Prototypen unter anderem durch ihren strömungstechnisch verbesserten Flügel-Rumpf-Übergang. Sie war die erste He 111 für die Lufthansa, die das Flugzeug nach der Ersterprobung übernahm. Erst ein Jahr später wurde die He 111 der Öffentlichkeit vorgestellt. Am 10. Januar 1936 präsentierte man in Tempelhof die V4, die ebenfalls in Lufthansa-Farben flog. Dieser vierte Prototyp besaß bereits einen neuen Metallflügel, der auch für die Vorserienflugzeuge vorgesehen war.

Bei einem Unfall ging die D-AHAO (V4) bereits im April 1936 verloren.
Auftrag für sieben Vorserienflugzeuge
Heinkel hatte den Auftrag zur Fertigung von sieben Vorserienflugzeugen erhalten. Ein Exemplar, noch mit dem BMW-Motor ausgerüstet, wurde A-0 benannt. Die anderen sechs erhielten Daimler-Benz DB 600C und bildeten den Auftakt der B-Reihe. Die ersten drei He 111 dieser Vorserie starteten im März 1936 zum Erstflug. Die A-Version besaß als Abwehrbewaffnung drei MG 15. In Vertikalmagazinen sollte sie 1000 Kilogramm Bombenlast mitführen können. Die Erwartungen der Luftwaffe an den neuen Bomber erfüllte sie indes nicht. Mit den BMW-VI-Motoren und bei 8,2 Tonnen Startmasse erreichte sie im Horizontalflug maximal 310, im Reiseflug nur 285 Stundenkilometer. Damit war sie zu langsam, um den meisten Jägern dieser Zeit einigermaßen ausweichen zu können. Das Reichsluftfahrtministerium (RLM) gab diese Version schließlich für den Export frei und Heinkel soll früheren Angaben zufolge zehn He 111 A nach China geliefert haben. Luftfahrthistoriker Dr. Koos recherchierte allerdings, dass nur sechs He 111 A für China produziert wurden.

Die erste in Großserie produzierte Version war die He 111 B. Zu den ersten Verbänden, die diese erhielten, zählte das Kampfgeschwader Boelcke.
Stärkere Leistung mit der B-Version
Vielversprechender war die B-Version. Mit dem wesentlich stärkeren Zwölfzylinder DB 600C, der eine Startleistung von etwa 1000 PS/785 kW hatte und in 4000 Metern Höhe immer noch 910 PS abgab, kam diese Variante immerhin schon auf 375 km/h Höchst- und etwa 340 km/h Reisegeschwindigkeit. Bei 2000 Kilogramm Bombenlast besaß sie etwa 650 Kilometer Reichweite. Wurden nur 1500 Kilogramm Bomben geladen, erhöhte sich ihre Reichweite auf 1150 Kilometer. Die Defensivbewaffnung bestand ebenfalls aus drei MG 15. Das vordere war in einer Kugellafette gelagert, ein Drehkranz auf dem Rumpfrücken bildete den B-Stand, mit dem der obere Luftraum abgedeckt werden konnte. Unter dem Rumpf befand sich der ausfahrbare C-Stand. Der tonnenförmige, nach hinten offene Stand, produzierte ausgefahren erheblichen Widerstand und reduzierte so die Geschwindigkeit der He 111. Deshalb wurde er nur aktiviert, wenn er zur Verteidigung gebraucht wurde. Später erhielt die He strömungsgünstigere Waffenstände unter dem Rumpf. Keineswegs ungewöhnlich für eine Neuentwicklung, zeigte auch die He 111 bei der Erprobung Probleme. Bei Tests in Rechlin traten sie unter anderem bei der Quersteuerung zutage. Doch mit Änderungen des Rudermassenausgleichs und an den Flügelrandbögen wurden sie behoben. Ein sichtbares Kennzeichen der B-Serie war ihr Kühlersystem. Dieses beschränkte sich nicht nur auf die recht großen Bauchkühler unterhalb der Motoren. Zusätzlich befanden sich jeweils zwei Oberflächenkühler beiderseits der Triebwerke unter der Flügelnase. Die B-Serie wurde die erste in größerer Stückzahl produzierte He-111-Version. Ende 1936 lief die Serienfertigung bei Heinkel in Rostock-Marienehe an. Nur wenige Kilometer weiter westlich, in Wismar, bauten die Norddeutschen Dornier-Werke 283 Exemplare der He 111 B-2 in Lizenz. Zu den ersten Verbänden, die die He-111 erhielten, zählte das Kampfgeschwader Boelcke. Seine ersten Einsätze flog der Bomber, wie so manches andere damals neue Kampfflugzeug, während des Bürgerkrieges in Spanien in den Jahren 1936 bis 1939 bei der Legion Condor. Damals erschien sie den meisten anderen Kampf- und Jagdflugzeugen überlegen. Sie konnte ohne Jagdschutz operieren. Später, bei der Luftschlacht um England, als man der leistungsfähigeren Hurricane und der Spitfire gegenüberstand, musste man jedoch von dieser Taktik abgehen.

Zur Entwicklung der He-111-Versionen setzte Heinkel zahlreiche, immer wieder umgebaute Versuchsflugzeuge ein. Im Bild die D-AQUO – sie war die V8.
Mit der E-Serie kam der Jumo 211 zum Einsatz
Eine wichtige Station in der Entwicklung des Heinkel-Bombers war die He 111 E. Sie markierte den Umstieg auf einen neuen Antrieb und trug eine noch weiter verglaste Rumpfnase. Daimler-Benz litt wegen des ständig steigenden Bedarfs der Luftwaffe an Hochleistungsmotoren unter Kapazitätsengpässen. Das Technische Amt forderte für den Bomber ein gleich starkes Triebwerk, das über ähnliche Anschlussmaße wie der DB 600 verfügen sollte. Zum Einsatz sollte der Junkers Jumo 211A kommen. Der Motor bot eine Startleistung von 960 PS/705 kW und gab in 5000 Metern Höhe immer noch 880 PS/647 kW ab. Ein Vorteil des Jumo 211 war sein Kühlsystem mit ausfahrbaren Kühlern. Das widerstandsärmere System ermöglichte der He 111 nun eine Höchstgeschwindigkeit von 390 km/h. Die ersten He 111 E-1 mit 2000 Kilogramm Bombenkapazität wurden Anfang 1938 ausgeliefert und bei der Legion Condor eingesetzt. Aus den Einsatzerfahrungen soll die Standardvariante E-3 hervorgegangen sein. Weitere Varianten waren die E-4 und E-5, die jeweils eine Tonne Bomben in Vertikalmagazinen und an Außenlaststationen mitführen konnten. Der frei gewordene Raum im Rumpf nahm einen zusätzlichen Tank für 835 Liter Kraftstoff auf. Insgesamt 210 Exemplare der He 111E sollen gebaut worden sein. Bei Dornier in Wismar wurden 80 gefertigt, 50 bei Arado in Brandenburg. Jeweils 40 produzierten das Junkers-Zweigwerk in Bernburg und ATG in Leipzig.

Mit der He 111 E wurde der Jumo 211 zum Standardmotor. Die Aggregate wurden einbaufertig an die Montagelinie geliefert.
Neue Flügel
Schon früh war klar, dass der elliptische Flügel der He 111 wegen des hohen Fertigungsaufwandes für eine Massenproduktion nicht tauglich war. Schon Anfang 1936 begann Heinkel deshalb mit der Entwicklung eines neuen, trapezförmigen Flügels. Die neue Tragfläche zeichnete sich durch gerade Nasen- und Endkanten aus und war deshalb wesentlich schneller und kostengünstiger zu fertigen. Als Erprobungsträger diente die He 111 V12. Doch erst die He 111 F wurde später serienmäßig mit diesem Flügel ausgerüstet. Eine Sonderversion der He 111 war das sogenannte Führungsflugzeug. Bereits im Oktober 1935 erging die Order zur Entwicklung dieser später als He 111 D bezeichneten Variante. Sie war mit speziellen Navigations- und Funkgeräten ausgerüstet, um die Bomberverbände über das Ziel zu führen und war damit praktisch ein Gegenstück zu den "Pathfinder" der Alliierten. Ihre Besatzung bestand aus sechs bis acht Mann. Für das erste Testexemplar nutzte Heinkel eine He 111 B, die He 111 V14, die im Juli 1936 erstmals flog. Nach den erfolgreichen Tests bei der Erprobungsstelle in Rechlin bestellte das RLM insgesamt 30 He 111 D, von denen bis 1939 erst 20 ausgeliefert worden sein sollen.
Lufthansa erhielt zwölf He 111
Wenn die He 111 auch primär als Bomber konzipiert war, so erhielt die Lufthansa dennoch insgesamt zwölf Flugzeuge. Wie bereits erwähnt, waren die ersten beiden dieser Flugzeuge die He 111 V2 und V4. Geplant war, beide Flugzeuge ab Frühjahr 1936 im Postzubringerdienst der Südatlantikroute zu erproben. Doch zwei Monate, nachdem die V4 in Tempelhof der Öffentlichkeit vorgestellt worden war, wurde sie bei einem Unfall am 4. April zerstört. Im Laufe des Jahres 1936 lieferte Heinkel noch sechs He-111 C an die Lufthansa, die auf die Namen Nürnberg, Leipzig, Köln, Königsberg, Breslau und Karlsruhe getauft wurden. Mit ihrem elliptischen Flügel und den BMW-VI-Motoren entsprachen sie der V2. Laut früherer Angaben flogen die "Nürnberg" (D-AMES) und "Breslau" (D-AQUA) im Postzubringerdienst der Atlantikroute. Den zuverlässiger erscheinenden Recherchen von Dr. Koos zufolge handelte es sich allerdings um die "Breslau" und die "Karlsruhe" (D-ATYL). Die anderen He-111 C soll Lufthansa bis zum Kriegsbeginn im innerdeutschen Passagierverkehr und auf der Route Berlin – Warschau eingesetzt haben. Weitere Zivilversionen waren die He 111 G und L, die beide schon den weiter entwickelten Metallflügel besaßen. Während die "G" noch mit dem BMW VI flog, erhielten die "L" die stärkeren BMW-132-Sternmotoren mit 880 PS/647 kW Startleistung.

Die D-ABYE war einer von zwölf He 111, die bei der Lufthansa flogen.
Abgabe an eine Aufklärungsgruppe
In vielen früheren Veröffentlichungen ist zu lesen, dass die Lufthansa zwei ihrer He 111 an eine Aufklärungsgruppe abgeben musste, die diese Flugzeuge vor Kriegsausbruch für Spionageflüge über England, Frankreich und der Sowjetunion nutzte. Tatsächlich flogen He 111, ausgerüstet mit vier Luftbildkameras, derartige Einsätze beim so genannten Kommando Roehl. Dabei könnte es sich nach jüngeren Erkenntnissen jedoch um drei He 111 F gehandelt haben, die am 22. November 1937 eigens bei Heinkel geordert wurden. Sie sollten für ihre Aufgabe kameratechnisch entsprechend ausgerüstet und in den Farben der Lufthansa lackiert werden. Dafür, dass diese Flugzeuge beim Kommando Roehl eingesetzt wurden, spricht laut Koos auch, dass die He 111 V2 (D-ALIX), nicht, wie bisher behauptet, bei einem Spionageflug Bruch machte, sondern am 12. März 1937 beim Anflug auf Bathurst in Gambia abstürzte. Als Belege dafür dienen zeitgenössische gambische Zeitungsberichte.
Karriereweg
Selbst wenn der Zweite Weltkrieg die Karriere der He 111 als Verkehrsflugzeug nicht beendet hätte, wäre sie wohl nie zu einem Standardflugzeug der Lufthansa geworden. Im Bau zu aufwändig, wegen ihrer eigentlichen Auslegung als Bomber zu schwer und ohne ausreichende Passagierkapazität, war sie zivil nicht wirtschaftlich einsetzbar. Noch etwa zwölf weitere zivile He 111 sollen als Transport- und Kurierflugzeuge geliefert worden sein, einige davon an die Türkei. Ob He 111 aus diesem Los wirklich dorthin gelangten, scheint fraglich. Belegt ist, dass 1937 und 1938 insgesamt 24 He 111 J samt einigen DB-600-Ersatzmotoren nach Eskisehir überführt wurden. Diese J-Version entsprach bis auf ihre DB-600-Motoren mit nicht einziehbarem Kühler der He 111 F. Nach einer Bestandsaufnahme des Oberkommandos der Luftwaffe vom 19. September 1938 verfügte die Luftwaffe zu dieser Zeit über 1235 zweimotorige Bomber der Muster Ju 86, Do 17 und He 111. Das Gros stellte der Heinkel-Bomber mit 570 Flugzeugen. Doch die eigentliche Massenproduktion stand erst noch bevor. Wurden die bisher genannten He-111-Varianten noch in eher überschaubaren Stückzahlen gebaut, sollten erst die ab 1937 gebaute H-Version und die P-Serie die höchsten Produktionszahlen erreichen.

Der hier zu sehende elliptische Flügel der He 111 war wegen des hohen Fertigungsaufwandes für eine Massenproduktion nicht tauglich war. Anfang 1936 begann Heinkel deshalb mit der Entwicklung eines neuen, trapezförmigen Flügels.
Technische Daten
Heinkel He 111 B-2
Stand: August 1938
Verwendung: Bomber
Besatzung: 4 Mann
Motoren: 2 x DB 600CG mit je 950 PS/698 kW Startleistung
Spannweite: 22,60 m
Länge: 17,60 m
Höhe: 4,40 m
Flügelfläche: 87,60 m2
Rüstmasse: 5840 kg
Flugmasse: 8600 kg (normal, 10 000 kg (maximal)
Höchstgeschwindigkeit: 370 km/h in 4000 m Höhe
Reichweite: 1660 km mit 750 kg Bombenlast, 910 km mit 1500 kg Bombenlast
Dienstgipfelhöhe: 7000 m
Bewaffnung: drei MG 15, Bombenlast 1500 kg