Graf Ignatiewo in der Oblast Plowdiv, Mitte September: 20 Jahre NATO-Mitgliedschaft wollten sie hier feiern, die Bulgaren. Und 35 Jahre MiG-29 bei der bulgarischen Luftwaffe. Doch der geplante "Open Day" Mitte September auf dem Fliegerhorst im Herzen des Landes findet kurzfristig nicht statt – weil bei der Generalprobe am Vortag ein L-39-Jettrainer mit zwei Piloten abstürzt. Als Zaungäste werden wir Zeugen der Tragödie – und stehen, nach dem ersten Schock, plötzlich vor der recht grotesken Frage, was wir denn am Folgetag mit dem unverhofft offenen Zeitfenster anstellen sollen.
Plan B: ab in die Berge!
Man hätte sich natürlich irgendwo nahe des Flughafens Sofia einigeln und dort nasebohrend dem Heimflug entgegen dämmern können. Aber das hätte die Stimmung nur noch weiter gen Keller befördert. Beim Genuss diverser geistiger Getränke kommt uns am Abend vor der abgesagten Airshow eine bessere Idee: "Irgendwo in den Bergen gibt's hier doch dieses alte Kommunistendenkmal, Busludscha oder so, lass uns doch da hinfahren", schlage ich dem Kollegen vor. "Gute Idee!", entgegnet dieser – um triumphierend zu ergänzen: "Und auf dem Weg dahin suchen wir Flugzeugwracks." Unsere Laune hebt sich spürbar – und das nicht (allein) wegen der erwähnten Getränke: Wir haben einen Plan! Mit einem tiefen Schluck aus dem halbvollen Bierglas besiegeln wir das Vorhaben.

Unsere Route durchs Herz Bulgariens: einmal von Plowdiw aus über das Balkangebirge und dann nördlich der Berge nach Sofia.
Wracks und Relikte via App
Noch am selben Abend klamüsern wir die Route aus. Von unserem Hotel in Kalekowez bis zum Berg Chadschi Dimitar, auf dem das 70 Meter hohe Denkmal der Kommunistischen Partei Bulgariens thront, sind es knapp 150 Kilometer. Die von Google Maps präferierte Wegstrecke – erst ein gutes Stück gen Norden und dann ostnordöstlich ins Balkangebirge – gleichen wir mit Angaben der App "Wrecks & Relics" ab. Dort sind – weltweit, für fast jedes Land – abertausende Orte markiert, an denen alte Flugzeuge ruhen. Manche als Denkmäler und Teil von Monumenten, andere eher als welkende Blechhaufen.
Was die Mitmach-App, die vom Input der Schwarmintelligenz lebt, an am Wegesrand schlummernden aviatischen Schätzen zutage fördert, ist in der Tat beeindruckend. Das gilt auch für Bulgarien: Jede Menge MiGs und eine Su-22 pflastern unseren Weg, das Wetter soll auch mitspielen. Beste Voraussetzungen also für einen gelungenen Luftfahrtarchäologie-Roadtrip.

Die MiG-23BN mit der roten 06 am Rumpf ist das erste Flugzeug unserer Tour. Sie steht mitten in Plowdiw.
MiGs und Suchois am Wegesrand
Da "Wrecks & Relics" mit Google Maps verknüpft ist, nutzen wir jeden Eintrag, den wir in mittelbarer Nähe unserer Route bis zum Ziel entdecken, als Wegpunkt. Für die ersten Zwischenstopps müssen wir nicht lange fahren: In der Innenstadt von Plowdiw, im Industrieviertel Thrakia, thront am Rand des vielbefahrenen Zar Simeon Boulevard die MiG-23BN mit der Markierung 06, auf drei Betonwürfeln stehend, vor einem maroden Blechzaun. Die Schwenkflügler-Schönheit mit der Seriennummer 0393215766 flog seit 1981 für die bulgarische Luftwaffe und zeigt sich heute, mit silbergrauem Farbkleid, in einem durchaus ansehnlichen Zustand.
Das kann man von der MiG-19, die wir im Dörfchen Zarimir nahe der Airbase Graf Ignatiewo aufstöbern, nicht behaupten. Der elegante Zweistrahler, NATO-Code "Farmer", sieht ordentlich zerfleddert aus: Kein Cockpitdach, kein Fahrwerk mehr, die Hoheitszeichen abgewetzt. Die fehlenden Wartungsklappen wecken Assoziationen mit einem gammeligen Stück Schweizer Käse. Laut Internetrecherche handelt es sich allerdings nicht um ein solches, sondern um die MiG-19P mit der Seriennummer 62210544. Wie lange sie schon an Ort und Stelle verrottet, bleibt unklar. Die bulgarische Luftwaffe flog die MiG-19 bis 1973.

Ziemlich zerfleddert und eher traurig anzusehen, schmückt diese MiG-19P die Ortsmitte des Dörfchens Zarimir.
Die MiG-21 dominiert
Erst seit Ende 2015 im Ruhestand befinden sich dagegen Bulgariens MiG-21. Dass die zuvor in Graf Ignatiewo der Platzhirsch war, merkt man noch heute, denn rund um den Fliegerhorst residieren gleich mehrere ausrangierte Exemplare. Eins davon hat seinen Alterssitz in Stroevo gefunden, einem sympathischen Dorf knapp zehn Kilometer südlich ihrer früheren Wirkungsstätte. Es handelt sich um die MiG-21bis SAU mit der Kennung 427, die bis mindestens 2010 noch für die Luftwaffe im Einsatz stand. Heute schaut sie, auf drei Betonsäulen geschraubt, von oben auf das Treiben rund um den Dorfplatz herunter.
Etwas schüchterner parkiert ist die "weiße 388", ebenfalls eine MiG-21bis SAU, die am Rande des kleinen Flugplatzes Mariza in der Wiese steht. Fabrikneu ausgeliefert im Jahr 1983, gehörte sie anscheinend zu den letzten aktiven MiG-21 der bulgarischen Luftwaffe. Fliegen kann sie jetzt zwar nicht mehr, denn ihr fehlt das Triebwerk. Aber auch als statisches Objekt weiß die nach wie vor im Originallack gekleidete MiG, Seriennummer 75094388, durchaus zu gefallen.

Die MiG21bis SAU mit der Kennzahl 388 hat ihre Altersruhestätte am Rande des Flugplatzes Mariza gefunden.
Kampfjets zwischen Bäumen
Zufrieden mit der Ausbeute im Dunstkreis des Fliegerhorsts, nehmen wir anschließend Kurs auf unser nächstes Zielobjekt: Eine halbe Stunde nördlich von Graf Ignatiewo finden wir in Banja, rechts der Republikstraße 64, eine alte Su-22M-4, inmitten von Bäumen neben einem – offensichtlich dauerhaft geschlossenen – Café. Was der ausrangierte Jagdbomber mit der Seriennummer 23501 in dem 4.000-Einwohner-Nest macht, wie und wann er dort hingekommen ist, darauf finden wir leider keine Antwort. Wir wissen nur, dass er mal wieder eine Grundreinigung nötig hätte.
Derweil stöbern wir, wieder eine halbe Stunde näher an den Bergen, in Gabarewo in einem Wäldchen eine weitere MiG-19 auf, die hoch über unseren Köpfen auf einer Säule sitzt. Bis auf die Triebwerke scheint diese Vertreterin ihrer Spezies, die Seriennummer 65210933 weist sie als MiG-19PM aus, immerhin weitgehend komplett erhalten. Warum der einstige Überschalljet heute in Gabarewo sein Zuhause hat, wissen aber nicht einmal die Nachbarn, die uns aus sicherer Entfernung neugierig beobachten.

Die einzige Nicht-MiG auf unserer Tour, eine Su-22M-4, schmiegt sich in Banja an die Wand eines geschlossenen Cafés.
MiG-21 ohne Fahrwerk
Allmählich nähern wir uns unserem Ziel. Etwa 40 Kilometer trennen uns noch von dem berüchtigten Busludscha-Denkmal im Balkangebirge. Die ersten Höhenmeter hochwärts haben wir schon hinter uns. Weitere zehn Kilometer und einige Kurven später sehen wir das gigantomanische Monument, umweht von Nebelschwaden, zum ersten Mal von Weitem auf dem Bergrücken Chadschi Dimitar thronen. Aber noch sind wir mit unserer Wracktour nicht am Ende. Für die nächste MiG-21 nehmen wir sogar einen Umweg in Kauf, lassen Busludscha und die Berge noch einmal links liegen und fahren zum Flugplatz Kasanlak. Dort finden wir eine MiG-21bis, mutmaßlich einst im Dienst als "weiße 21", die laut Internet seit 2017 vor Ort schlummert und Anfang 2022 als Spende der Gemeinde ins Inventar des Flugplatzes gelangte. Eigentlich hätte sie wohl restauriert und in der Gemeinde Kasanlak als Denkmal platziert werden sollen – aber dieses Vorhaben scheiterte aus Geldmangel. Nun wartet die MiG, ohne Fahrwerk, auf Böcken lagernd darauf, dass sich jemand ihrer annimmt.

Restaurierungsprojekt in der Warteschleife: Diese MiG-21 wartet auf dem Flugplatz Kasanlak seit Jahren auf bessere Zeiten.
Das "Kommunistendenkmal"
Dann schlägt für unser schwachbrüstiges Mietauto die Stunde der Wahrheit: Erbarmungslos prügeln wir den kleinen weißen Hyundai durch die steilen Serpentinen, die uns die finalen Kilometer bis Busludscha ebnen. Wobei "ebnen" ein wenig übertrieben ist, denn mindestens das letzte Wegstück besteht aus feinster bulgarischer Buckelpiste, jeder Schlag von unten drückt sich beinahe ungefiltert in die Bandscheiben.
Oben angekommen, saugen wir die frische Bergluft ein, bestaunen das Versteckspiel des Nebels, der das steingewordene Phallussymbol der längst aus dem Amt gejagten Kommunisten zeitweise komplett in seine dichten Arme schließt, genießen den Panoramablick ins Tal – und beschließen nach rund einer Stunde Pause, für den rund dreistündigen Rückweg nach Sofia nicht dieselbe Route wie zuvor zu nehmen, sondern stattdessen über die Nordflanke der Berge in weitere, für uns neue Gefilde vorzustoßen.

Wie ein riesiges Ufo aus Beton sitzt das verlassene "Busludscha-Denkmal" auf dem Gipfel des Berges Chadschi Dimitar.
Talwärts in den Regen
Allerdings, das merken wir sehr schnell: Nördlich der Berge ist das Wetter richtig mies. Es regnet ohne Pause, Temperatur im einstelligen Bereich. Aber hey, eine MiG-21 geht trotzdem noch! Eine gute Stunde nach unserem Start am Busludscha-Denkmal machen wir in Sewliewo Station, wo wir im üppig angelegten Stadtpark die wohl besterhaltene Flugzeugrentnerin unserer Tour erblicken: Selbst im strömenden Regen macht die herausgeputzte "weiße 41" eine wortwörtlich glänzende Figur. Einst war hier an Ort und Stelle ein Artillerie-Bataillon der bulgarischen Armee zu Hause. Heute erinnert die aufgesockelte MiG, zusammen mit einem T-55-Panzer und einer Tafel aus Marmor, auf der die Namen jener Männer prangen, die "für die Freiheit, Ehre und Ruhm des Mutterlandes" starben, an das militärische Erbe der Stadt.

Gepflegtes Ambiente in Sewliewo: Das Kriegerdenkmal für gefallene bulgarische Soldaten mit einer "fliegenden" MiG-21 im Zentrum.
Die MiG-Reihe wird vollständig
MiG-19 hatten wir, MiG-21 hatten wir, MiG-23 auch. Was fehlt noch? Richtig: MiG-15 und MiG-17. Gut, dass exakt diese beiden Muster noch auf unserem Weg zum Flughafen Sofia liegen, wo wir unseren Mietwagen am Abend abzugeben haben. Okay, sie liegen nicht wirklich direkt auf unserem Weg. Aber auf die paar Kilometer extra kommt es uns jetzt auch nicht weiter an. Deshalb arbeiten wir uns über verschlungene Pfade und scheinbar vergessene Schlaglochstraßen durchs spärlich bewohnte Hinterland Zentralbulgariens, stoppen im Dorf Sennik an der MiG-17 "69 rot" mit der Seriennummer 0309, bevor wir schlussendlich – es dämmert bereits stark – in der Oblast Lowetsch, im Herzen der Ortschaft Golyam Izvor die MiG-15UTI mit der Kennung 134 aufspüren. Die kleine, alte MiG steht dort auf einem erhöhten Grundstück an der Hauptstraße – "in Erinnerung an den Kampfpiloten Marin Marinow Stefanow", der wohl aus dem Ort stammte und am 18. März 1982 "bei der Ausübung seiner offiziellen Pflicht" verstarb. So zumindest beschreibt es eine kleine Gedenktafel, die vor dem Flugzeug aufgestellt ist.

Letztes Zwischenziel: Diese MiG-15UTI erinnert im Dorf Golyam Izvor an den Piloten Marin Stefanow.
Feierabend in Sofia
Unsere "offizielle Pflicht", so man denn davon sprechen kann, ist damit für den Tag erfüllt. Mit den letzten Lichtfetzen, der Regen hat längst aufgehört, nehmen wir auf der Autobahn die letzten Kilometer nach Sofia unter die Räder. Als wir den Airport erreichen, ist es bereits finster – aber wir haben gut kalkuliert und können unser Mietvehikel pünktlich, unversehrt und vollgetankt zurückgeben.
Über 400 Kilometer haben wir bei unserer improvisierten Schatzsuche zurückgelegt. Und dabei einiges gesehen – nicht nur alte Flugzeuge, sondern ebenso viel vom Land selbst. An die meisten Orte unseres Trips wird es uns aller Voraussicht nach kein zweites Mal verschlagen, auch wenn Bulgarien im Fazit als Reiseziel durchweg positiv wegkommt.
Den Tag jedenfalls, der gänzlich anders hätte laufen sollen, haben wir bestmöglich genutzt.