XC-142A – Transporter für die US-Streitkräfte

Propelloplane
XC-142A – Transporter für die US-Streitkräfte

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Zuletzt aktualisiert am 26.07.2018

Realisierung der XC-142A erforderte kühne Lösungen

Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts war im internationalen Flugzeugbau ein bedeutender Trend in Richtung senkrecht startender und landender Luftfahrzeuge zu beobachten, an dem sich praktisch alle bedeutenden Unternehmen der Luftfahrtindustrie beteiligten. Den Militärs offerierten sie eine breite Auswahl an Kampf- und Transportflugzeugen, die künftig ohne riesige, verwundbare Betonflächen auskommen, in jedem Waldstück versteckt und von jeder Lichtung oder sonstigen freien Fläche aus ins Gefecht starten könnten.

Zivilen Betreibern hingegen boten sie Passagier- und Transportflugzeuge aller Klassen und Größen, vom Citytaxi bis zum Regionalflugzeug, mit denen ein schneller und reibungsloser Punkt-zu-Punkt-Verkehr möglich sein sollte. Diese Flugmaschinen sollten den Betrieb von Hubschraubern ergänzen, bei denen vor allem die niedrige Geschwindigkeit bemängelt wurde. Kein Wort von Lärm und Abgasen oder von der Flugsicherheit am Himmel über den Städten – aus heutiger Sicht einfach Science Fiction vom Feinsten.

Damals aber waren die Begeisterung und auch die gesellschaftliche Akzeptanz derartiger Projekte sehr groß. Die Vorstellung, vom Dach des eigenen Wohnhauses direkt zur Arbeitsstelle zu fliegen oder Supermärkte direkt vom Lieferbetrieb aus der Luft zu versorgen, war einfach zu verlockend. Dementsprechend wurden auch allerhand futuristische Pläne veröffentlicht, von denen eine große Zahl sogar das Erprobungsstadium erreichte.

1961 beispielsweise veröffentlichten die US-Streitkräfte die Ausschreibung SS478-A für ein senkrecht startendes und landendes Transportflugzeug (VTOL – vertical take-off and landing). Die Truppe war auf der Suche nach einem allwetterfähigen, schnellen Transporter für die Verlegung von Kampfeinheiten und Versorgungsgütern von Schiffen oder Flugplätzen aus auf unvorbereitete Landeplätze direkt im Kampfgebiet. Zur gleichen Zeit hatte die NATO-Ausschreibung MMBR.4 ein ähnliches Flugzeug gefordert, für das sogar identische taktisch-technische Daten angegeben wurden. Also beteiligte sich das Konsortium aus Vought, Hiller und Ryan mit seinem Entwurf VHR-447 an beiden Wettbewerben und schloss mit Hinblick auf den europäischen Markt sogar Kooperationsverträge mit Fiat (Italien) sowie Sud Aviation (Frankreich) ab. Im September jenes Jahres wurde als Gewinner ein Firmenkonsortium bekannt gegeben, das aus den Unternehmen Chance Vought (später LTV), Hiller und Ryan bestand, und das mit seinem Projekt VHR-447 offenbar genau den Nerv der Militärs getroffen hatte.

Vorarbeiten zu einem Kippflügler hatten alle drei Unternehmen schon viel früher geleistet, so zum Beispiel Hiller mit dem Modell 1035 aus dem Jahre 1953. Bei diesem zweimotorigen Entwurf sollten allerdings nur jene Flügelsektionen geschwenkt werden, welche direkt im Einflussbereich des Propellerluftstrahls lagen; Flügelwurzeln und -spitzen hingegen blieben starr. Stanley Hiller höchstpersönlich, der Chef des gleichnamigen Unternehmens, warnte indessen schon 1955 vor einem bald ausbrechenden, harten Konkurrenzkampf zwischen der Helikopterindustrie und den Herstellern von Starrflüglern, denn die allgemeine Fixierung  der Streitkräfte auf senkrecht startendes und landendes Fluggerät in dieser Zeit schien tatsächlich auf eine Entscheidung hin zu drängen.

Dass man dabei die Rolle der Hubschrauber unterschätzte, lag noch an den Erfahrungen des gerade erst beendeten Koreakrieges, in dem Hubschrauber wegen ihrer geringen Größe nur in enormen Stückzahlen die angepeilten Transportleistungen erbringen konnten. Kein Wunder, dass die Streitkräfte den Helikoptern noch nicht mehr zutrauten und auf taktische Transportfliegerkräfte setzten – nur, dass diese eben senkrecht eingesetzt werden sollten. Ende 1960 beklagte John B. Nichols von der Hiller Aircraft Company noch auf einer luftfahrtwissenschaftlichen Tagung, dass die finanziellen Mittel allein für die Entwicklung der Propeller des strategischen Bombers B-36 weitaus höher gewesen seien, als alle Forschungsgelder zur Optimierung von Hubschrauber-Rotorblättern zusammen.

Im Übrigen muss man berücksichtigen, dass die Begriffe STOL oder VTOL in den 1950er Jahren eigentlich noch gar nicht gebräuchlich waren. Die Navy zum Beispiel forderte in ihrer ersten Spezifikation für den neuen Transporter noch nicht einmal die Fähigkeit zu Senkrechtstart oder -landung, sondern nur eine 150-Meter-Startstrecke über ein 15 Meter hohes Hindernis. Nach allen bisherigen Erkenntnissen war dies wohl die erste Definition für ein STOL-Fluggerät, und die 150/15-Regel gilt noch heute für entsprechende Luftfahrzeuge dieser Kategorie. Hiller reagierte darauf mit dem Entwurf des Modells 1048A, das dem späteren „Propelloplane“ schon ziemlich ähnlich war, damals aber noch als „Helicoplane“ bezeichnet wurde.

„Propelloplane“

Das Konsortium aus Vought, Hiller und Ryan präsentierte ihren Auftraggebern einen knapp 18 Meter langen, viermotorigen Kippflügler, für den sie eigens die Bezeichnung „Propelloplane“ erfunden hatten und der in der Lage sein sollte, 32 voll ausgerüstete Soldaten oder 3,6 Tonnen Fracht auf 24 Paletten über eine Entfernung von bis zu 750 Kilometer zu befördern. Auch die Reisegeschwindigkeit von 460 Stundenkilometern sagte den Militärs zu, zumal die Maschine mit einer Heckladerampe ausgerüstet sein sollte, über die eine leichte Be- und Entladung am Boden sowie der Abwurf von Lasten aus verschiedenen Höhen möglich wäre.

In den USA war nach Annahme des Projekts der drei verbündeten Firmen zunächst das Bureau of Weapons der US Navy für die Projektbetreuung zuständig, während ab Herbst 1961 die Air Force die Führung übernahm. Alle drei Teilstreitkräfte stellten zunächst jeweils sieben Millionen Dollar als Entwicklungskostenbeihilfe zur Verfügung, wobei die Navy auf Sonderwünsche verzichtete, wie zum Beispiel auf den Einsatz des Musters von Flugzeugträgern aus. Zu diesem Zeitpunkt ging man auch noch davon aus, dass die drei Unternehmen die gesamten Programmkosten – geschätzte 70 Millionen Dollar – zu gleichen Teilen bezahlen würden. 

Im Januar 1962 erhielt das Konsortium einen Auftrag über die Lieferung von fünf Prototypen und einer statischen Testzelle an die US Air Force, die das Programm auch für alle Teilstreitkräfte managte. Die militärische Bezeichnung des Musters lautete fortan „Tilt-Wing Tri-Service V/STOL Transport XC-142A“. Dabei bezog sich der Begriff „Tri-Service“ auf den in der US-amerikanischen Militärgeschichte äußerst seltenen Umstand, dass tatsächlich Air Force, Army und Navy ein Interesse an diesem Fluggerät zeigten. Hauptauftragnehmer für das Programm war Chance Vought bei gleichzeitiger Verantwortlichkeit für den Bau der Zelle und die Endmontage. Ryan baute das Rumpfheck, das Leitwerk, die Tragflächen sowie die Motorgondeln, während Hiller das Klappensystem, die Kraftübertragung und die Propeller zulieferte.

Zweieinhalb Jahre nach Unterzeichnung des Auftrages, am 29. September 1964, startete der erste Prototyp des Kippflüglers zum Jungfernflug, der noch konventionell durchgeführt wurde. Am 29. Dezember folgten der erste Senkrechtstart mit anschließender, ebenfalls vertikaler Landung und zwischenzeitlichem Hovern, und am 11. Januar 1965 schließlich gelangen die ersten beiden Transitionsflüge mit Übergang in den Horizontalflug und zurück. Schon am 4. Februar waren zwei Exemplare des Propelloplanes in einer öffentlichen Vorführung zu sehen, wo sie unter anderem auch mit Rückwärtsflügen und 360-Grad-Wendungen im Schwebeflug zu überzeugen wussten.

Nach den ersten Werkserprobungen bei Vought in Dallas, Texas, wurden alle fünf Prototypen zur Edwards Air Force Base in Kalifornien überführt und dort am 9. Juli 1965 einer 150 Mann umfassenden „Tri-Service Test Force“ überlassen, deren Angehörige den Maschinen nichts schenkten. Sie ermittelten während der Testflüge erhebliche Probleme mit dem Querwellensystem und den Getrieben, sorgten aber auch dank einiger grober Pilotenfehler für Unruhe im Programm. So war jedes der Flugzeuge wenigstens einmal in einen schweren Unfall verwickelt.

Bis Mai 1966 hatten alle fünf bis dahin fliegenden Prototypen der XC-142A bei 301 Flügen rund 240 Flugstunden absolviert. Eine Katastrophe ereignete sich schließlich im Mai 1967 in der Nähe von Dallas, als bei einer Rettungsübung das Flugzeug abstürzte und die drei Besatzungsmitglieder das Leben verloren. Dennoch folgte im Juli/August 1967 eine Testphase zur Feststellung der operationellen Einsatzfähigkeit mit insgesamt 113 Flügen, die allerdings nur wenig Begeisterung bei den Auftraggebern auslöste.

Dennoch erzielten Flugzeuge und Piloten während der Tests einige beeindruckende Leistungen: Eine der Maschinen hatte beispielsweise während der Testphase eine Gipfelhöhe von 7620 Metern erreicht, während eine andere rückwärts mit 56 km/h und vorwärts gar mit 644 km/h flog. Eine dritte absolvierte allein am 18. Mai 1966 nicht weniger als 44 Kurzstarts und -landungen sowie sechs Senkrechtstarts an Bord des Flugzeugträgers USS „Bennington“ (CV 20). Damit war die XC-142A der größte und schwerste Senkrechtstarter, der jemals von einem Flugzeugträger aus eingesetzt wurde. Schließlich wurden noch Abwürfe von Frachtpaletten aus verschiedenen Höhen und bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten durchgeführt, wobei auch das „Dump-drop-Verfahren“ erprobt wurde, bei dem die Fracht auf Rollen aus der geöffneten Heckluke gleitet, wenn das Flugzeug die Nase um einige Grad hebt.

Technik der XC-142A

Bis auf den schwenkbaren Flügel war die XC-142A ziemlich konventionell ausgelegt. Halbschalenbauweise mit sechs unter dem Kabinenboden verlaufenden Längsholmen kennzeichnete den kastenförmigen Rumpf in Ganzmetallausführung, an dem das Tragwerk in vier Schwenklagern aufgehängt wurde. Deren Anordnung hatte sich bereits beim Jagdflugzeug Chance Vought F8U Crusader und dem VTOL-Versuchsflugzeug Hiller X-18 bewährt. Der gesamte Flügel ließ sich einschließlich der Antriebe um 100 Grad schwenken, so dass der Schwebeflug sogar bei Rückenwind möglich war. Die für das Schwenken zuständigen Betätigungs¬zylinder waren redundant angelegt und sehr genau synchronisiert. Weil sie einerseits mit großer Steifigkeit den elastischen Flügel stabilisieren, andererseits aber einen beträchtlichen Hub aufweisen sollten, wies ihre Entwicklung eine ganze Reihe technologischer Probleme auf.

Über die gesamte Spannweite reichende Doppelspaltklappen an der Flügelhinterkante erhöhten im ausgefahrenen Zustand den Auftrieb und erleichterten die Transition, also den Übergang vom Horizontal- in den Vertikalflug und umgekehrt. Dabei wirkten die äußeren Klappen gleichzeitig als Querruder. Da in der Transitionsphase der Abwind der vier Luftschrauben an der Flügelvorderkante eine stark nach oben gerichtete Strömung ergab, bestand die Gefahr des Strömungsabrisses in diesem Bereich. Dem wirkten Nasenklappen entgegen, die auch im Langsamflug sowie bei horizontalen Starts und Landungen den Auftriebsbeiwert merklich erhöhten.

Weil die Verbindungswellen zwischen den Propellern mit einer Eigenfrequenz schwangen, sorgten selbstschmierende Stützlager dafür, dass diese weit über der Betriebsdrehzahl der Wellen lag und somit keine kritischen Schwingungen zu erwarten waren. Zudem wurden die Ausgleichswellen an jedem Lager mit elastischen Kupplungen ausgestattet, womit auf die Durchbiegung des Flügels in den verschiedenen Betriebszuständen reagiert werden konnte. Besonders leichte Getriebe sowie die Fertigung der großen Luftschrauben in Leichtbauweise ergaben allerdings ein verhältnismäßig niedriges Gewicht der kompletten Transmissionsanlage.

Das Anlassen der Motoren erfolgte hydraulisch, und um ein Ansaugen von Fremdkörpern zu vermeiden, waren die Lufteinläufe mit im Fluge einziehbaren Schutzgittern versehen. Eine spezielle Schmier- und Kraftstoffvorheizung erleichterte den Flugbetrieb auch bei extrem niedrigen Umgebungstemperaturen. Beim Rollen am Boden und damit bei niedriger Motorendrehzahl sorgte ein Ejektorkühler für die Ölkühlung. Die Startleistung aller vier Motoren ließ sich mittels einer Wassereinspritzanlage kurzzeitig auf 2120 kW (2880 PS) erhöhen.

Das Leitwerk der XC-142A verfügte über eine normale Seitenflosse, deren obere Hälfte sich allerdings seitlich wegklappen ließ. Damit sollte die Stauhöhe beim Einsatz auf Flugzeugträgern verringert werden. Unterhalb der Scharniere des Seitenruders war das ruderlose Höhenleitwerk angesetzt, hinter dem sich ein kleinerer Rotor waagerecht drehte. Er verfügte über verstellbare Blätter und diente der Längsstabilisierung des Flugzeugs in der Schwebeflugphase.

Alle Steuerorgane waren mit doppelt-hydraulischen Kraftverstärkern gekoppelt. Ein integrierendes mechanisches Ausgleichsgestänge übertrug die Steuerbewegungen der Piloten auf Landeklappen und Querruder und berücksichtigte dabei den jeweiligen Anstellwinkel des Flügels. Das Stabilisierungssystem war doppelt redundant ausgeführt und übernahm den Ausgleich der Roll-, Gier- und Stampfbewegungen im Instrumentenflug. Gleichzeitig sorgte es für die Einhaltung der gewählten und programmierten Flughöhe über Grund. Während des Schwebefluges und der Transition übernahm die Anlage zugleich die Stabilisierung um die Längs- und Querachse beziehungsweise die Steuerung der Auslenkbewegungen um diese beiden Achsen. Schließlich gewährleistete sie eine wirksame Gierdämpfung und das Aussteuern von unbeabsichtigten Höhenänderungen.

Programmende

Trotz der bereits erwähnten Schwierigkeiten während der Erprobung erteilte die USAF dem Hersteller im April 1966 den Auftrag, eine Studie über die Konfiguration einer möglichen Serienversion des Flugzeuges zu erarbeiten, doch bereits Ende des Jahres gaben die Streitkräfte das Programmende bekannt. Als Begründung wurden ökonomische Schwierigkeiten ohne nähere Erläuterung genannt. Auch an einer Weiterentwicklung mit neuem Rumpfquerschnitt und stärkeren Antrieben zeigte das Militär kein Interesse, und auch zivile Kunden winkten ab.

Man kann davon ausgehen, dass pragmatisch denkende Kräfte im Beschaffungsamt erkannt hatten, dass der überwiegende Teil der von der XV-142A durchgeführten Transportaufgaben genauso gut von Hubschraubern oder taktischen Kampfzonentransportern gelöst werden konnten. Immerhin war der Kraftstoffvorrat des Typs auf 5300 Liter beschränkt, was für die vier Antriebsanlagen mit einem erheblichen Eigengewicht nur eine begrenzte Flugzeit und damit relativ niedrige Reichweite ergab. Nur wenn die Maschine leer war und im Frachtraum Zusatztanks installiert wurden, lag die Überführungsreichweite bei 6100 Kilometern. Zudem gelang es nie wirklich, die technischen Probleme in den Griff zu bekommen. Die Hubschrauberhersteller hatten die von Stanley Hiller prophezeite Auseinandersetzung schließlich gewonnen. Bis zur Einstellung der Prüfungen hatten insgesamt 39 Piloten rund 420 Flugstunden auf den Kippflüglern absolviert.

Der einzige noch flugfähige der einstmals fünf Prototypen wurde später an die NASA übergeben, die ihn noch bis 1970 beim Langley Research Center intensiven Erprobungen zu den verschiedensten Themen der Flugforschung unterzog. Heute steht die letzte XC-142A im National Museum of the USAF.

Technische Daten

XC-142A (VHR-447)

Verwendung:
taktisches Transportflugzeug
Besatzung: 2 bis 3
Antrieb: vier Gasturbinen General Electric T64-GE-1
Startleistung: jeweils 2125 kW
Länge: 17,71 m
Spannweite: 20,57 m
Höhe: 7,82 m
maximale Startmasse: 17 000 kg
Nutzlast: 32 Soldaten oder 3630 kg Fracht
Reisegeschwindigkeit: 460 km/h
Höchstgeschwindigkeit: 690 km/h in 6100 m Höhe
Dienstgipfelhöhe: 7620 m
Einsatzradius: bis 750 km
Überführungsreichweite: 6100 km

Klassiker der Luftfahrt Ausgabe 03/2012