B-52 Stratofortress fliegt trotz abgerissenem Leitwerk

Vor 60 Jahren: Spektakulärer Bomber-Unfall
B-52 Stratofortress fliegt ohne Seitenleitwerk

Veröffentlicht am 22.02.2024

Ursprünglich hatte Boeing die B-52 für Angriffe aus großen Höhen entworfen. Aufgrund der verbesserten Luftabwehrsysteme musste die US Air Force jedoch in den 60er Jahren ihre Strategie ändern und auf Tiefflugmissionen umschwenken. Konnte der große Bomber allerdings die Belastungen überhaupt aushalten? Darüber sollte ein spezielles Testprogramm Aufschluss geben. In diesem Rahmen startete am 10. Januar 1964 die B-52H Stratofortress mit der Nummer 61-0023 in Wichita, Kansas, zu einem Testflug. Die US Air Force hatte dazu die Maschine eigens an Boeing verliehen. Die Crew des Flugzeugbauers bestand aus drei Piloten (einer davon Fluglehrer) und einem Navigator. Der Flug sollte zur Erfassung der strukturellen Belastungen bei einem Einsatz in niedrigen Flughöhen von bis zu 500 Fuß (ca. 150 Meter) und einer Geschwindigkeit von bis zu 400 Knoten (ca. 740 km/h) dienen. Dazu statteten die Ingenieure den Bomber mit mehr als 200 Sensoren und 20 Beschleunigungsmessern aus.

Boeing

Zu viel Turbulenzen im Tiefflug

Wie der Pilot Richard Curry in einem offiziellen Dokumentarfilm der USAF schildert, verlief der Flug bis zur sechsten Etappe normal. Erst als die B-52 in der Gegend von Wagon Mound, New Mexico, in Richtung Norden parallel zu einer Bergkette steuerte, zeigten die Messinstrumente starke Turbulenzen und große Belastungen auf der Hecksektion an. "Wir entschieden uns, den Tiefflugteil des Einsatzes abzubrechen, und das Flugzeug stieg auf 4360 Meter über Meereshöhe, wo die Luft relativ ruhig war."

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Böen wie Explosionen

Die Besatzung entschloss sich, trotzdem mit dem Testprogramm fortzufahren. Da das Gelände konstant anstieg, befand sich das Flugzeug schließlich rund 300 Meter über dem East Spanish Peak bei Aguilar, Colorado. Der Wind wehte mit 62 Knoten von Westen, aber laut Curry waren keine Turbulenzen spürbar. Beim Beschleunigen auf 350 Knoten stieß die Maschine plötzlich auf ein Gebiet mit extremen Turbulenzen, die neun Sekunden anhielten. "Die Turbulenzen kamen in Form von schnellen, explosionsartigen Böen. Das Flugzeug scherte nach links, unmittelbar gefolgt von einem sehr schnellen Gieren nach rechts. Daraufhin rollte der Bomber nach rechts." Der Fluglehrer Charles Fisher drehte das Steuerhorn um 80 Prozent nach links. "Eine hochfrequente Vibration war in den Ruderpedalen spürbar, und bei der Verstellung der Pedale gab es keinen Widerstand mehr. Auch die Rückmeldung der Höhenruder war sehr schlecht", erinnerte sich Curry. Daraufhin bereitete sich die Crew auf das Verlassen des Bombers vor. "Aber wir stellten schnell fest, dass das Flugzeug noch eine marginale Steuerbarkeit besaß."

Boeing B-52H ohne Leitwerk im Flug seitlich
Boeing

Leitwerk einfach weg

Den Piloten der zur Unterstützung herbeigerufenen B-52 und F-100 Super Sabre bot sich ein desaströses Bild: rund 83 Prozent des Seitenleitwerks der B-52 waren weggerissen. Der Bomber nahm Kurs auf Wichita. Die Piloten fuhren auf Anweisung der Testabteilung von Boeing das hintere Fahrwerk aus, da jeglicher Luftwiderstand hinter dem Schwerpunkt half, die Maschine zu stabilisieren. Mit dem sorgfältigen Einsatz der Schubregelung und der Luftbremsen gab es minimale Steuermöglichkeiten. Auch das Umpumpen des Treibstoffs half, den angeschlagenen Bomber zu stabilisieren. So "humpelte" die B-52 mit knapp 210 Knoten (390 km/h) zurück nach Kansas. Da sich das Wetter dort verschlechtert hatte, fiel die Entscheidung, stattdessen zum Luftwaffenstützpunkt Blytheville nach Arkansas zu fliegen. Mit 160 Knoten (knapp 300 km/h) begann die Stratofortress einen langen, flachen Anflug auf die B-52-Basis – mit eingefahrenen Landeklappen. Schließlich setzte sie sicher auf der Piste auf. Sie flog insgesamt fünf Stunden ohne ihr Seitenleitwerk.

Boeing B-52H ohne Leitwerk Detail
Boeing

Orkan-artige Windgeschwindigkeiten

Da die Besatzung das Flugzeug retten konnte, sind wertvolle Erkenntnisse und einzigartige Aufnahmen erhalten geblieben. Die Ergebnisse der späteren Untersuchung zeigten höhere Belastungswerte aufgrund von Windböen, als bisher bei Großflugzeugen gemessen worden waren. Die Windgeschwindigkeit lag bei rund 130 km/h.

Absturz im Schneesturm

Tragischerweise hatte eine B-52D nur drei Tage später weniger Glück. Während eines Schneesturms brach in einer Höhe von rund 9000 Metern aufgrund von Turbulenzen ebenfalls das Leitwerk weg. Der Bomber stürzte über Maryland ab, nur zwei der fünf Besatzungsmitglieder überlebten. Zu allem Überfluss überführte die Stratofortress zwei Mk.-53-Atombomben, die jedoch relativ intakt aus dem Wrack geborgen werden konnten.

Boeing B-52H in der Wüste
Patrick Hoeveler

Mit Leitwerk in der Wüste

Die 61-0023 existiert übrigens noch. Sie flog bis 2008 im aktiven Dienst auf der Barksdale AFB und ist heute auf der Davis-Monthan AFB eingelagert. Sie war die erste B-52H bei der 309th Aerospace Maintenance and Regeneration Group in Arizona.