Europäische Gemeinschaftsprogramme haben so ihre Tücken, aber ohne sie geht es nicht. "Wir müssen die unterschiedlichen (Firmen-)Kulturen verstehen" und "Vertrauen aufbauen", um "einen Punkt zu erreichen, an dem es kein Zurück mehr gibt", gab Bruno Fichefeux, Leiter des FCAS-Programms (Future Combat Air System) bei Airbus im Dezember 2022 zu bedenken. Denn Europa hat schon die Entwicklung von Kampfflugzeugen der fünften Generation verpasst und kann es sich nicht erlauben, "einen weiteren Zug zu verpassen". Es geht um nichts weniger als die Souveränität Europas in der militärischen Luftfahrt, und "da müssen wir das Tempo beibehalten", denn in den USA passiert hinsichtlich Fightern der sechsten Generation eine Menge, so Fichefeux.
Der Vertrag steht
Ob für das deutsch-französisch-spanische FCAS-Projekt nach etwa eineinhalb Jahren Kleinkrieg zwischen den Beteiligten, in denen ein Scheitern immer im Raum stand, nun eine solide Grundlage geschaffen wurde, wird sich erst noch zeigen. Jedenfalls konnten alle erst einmal aufatmen, als am 15. Dezember 2022 die federführende französische Direction Générale de l’Armement (Generaldirektion für Rüstung) im Namen der drei beteiligten Länder den Vertrag für die nächste Phase 1B an Dassault Aviation, Airbus Defense and Space GmbH (Deutschland) und Airbus Defense and Space SAU (Spanien), Indra und Eumet (Joint Venture zwischen Safran Aircraft Engines und MTU Aero Engines) vergeben hat.
Der Vertrag in seiner Gesamtheit hat die Vorbereitung und Durchführung von Demonstrationen der verschiedenen Komponenten des FCAS zum Gegenstand. Diese Aktivitäten sollen insbesondere durch den Erstflug des Demonstrators des Kampfflugzeugs der neuen Generation (NGF = New Generation Fighter) gekennzeichnet sein. Es werden die Konzepte und Technologien des operationellen FCAS-Systems validiert. Die erste Tranche dieses Vertrags mit einer Laufzeit von etwa 36 Monaten beläuft sich auf 3,2 Milliarden Euro, wobei der Gesamtauftragswert mit der optionalen Phase 2 fast acht Milliarden Euro beträgt.

Organisierte Arbeitsteilung
Was die industrielle Arbeitsverteilung betrifft, fungieren Airbus, Dassault Aviation und Indra als nationale Koordinatoren, um die Gesamtsteuerung des Programms sicherzustellen. Die Phase 1B ist nach Bereichen wie folgt organisiert:
■ System der Systeme ist der Oberbegriff für die Koordination des gesamten Programms mit Airbus, Dassault Aviation und Indra Sistemas als Co-Vertragspartnern, um die "Konsistenz" der Arbeiten zu gewährleisten und die Definition der operationellen Architektur eines Waffensystems der nächsten Generation (NGWS, Next Generation Weapon System) weiter voranzutreiben
■ Simulation mit Airbus, Dassault Aviation und Indra Sistemas als Co-Vertragspartner, um das NGWS virtuell weiterzuentwickeln
■ Gemeinsame Arbeitsumgebung mit Airbus, Dassault Aviation, Indra Sistemas und Eumet als Co-Vertragspartner. Hier geht es darum, ein sicheres, digitales Netz zu schaffen, das eine nahtlose Zusammenarbeit der Industrie ermöglicht
■ New Generation Fighter (NGF) mit Dassault Aviation für Frankreich als Hauptauftragnehmer und Airbus als Hauptpartner für Deutschland und Spanien. Dies ist das Herzstück des Projekts und war bis zuletzt offenbar Brennpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Airbus und Dassault. Wer bei dem Poker um Zuständigkeiten und intellektuelles Eigentum letztlich die Oberhand behielt, ist unklar.
Export ist wichtig
Dassault-Chef Éric Trappier sagte jedenfalls in einem exklusiven Interview mit "Le Figaro" (seit Juni 2004 gehört die Zeitung der Familie Dassault), die Einigung bekräftige die Führungsrolle Frankreichs sowie die Rolle von Dassault Aviation als Hauptauftragnehmer und Architekt des NGF. Außerdem schütze sie das geistige Eigentum an französischen Technologien und Know-how. Zudem bekräftigte Frankreich seinen Anspruch, den NGF auch exportieren zu wollen. Es gab "Druck von allen Seiten. Wir haben ihn ausgeübt. Wir waren ihm ausgesetzt", so Trappier. "Das Eigentum an den gemeinsam zu erledigenden Arbeiten wird geteilt, aber die Technologien und das Know-how, die uns gehören, werden nicht geteilt."

Features
Durch den verzögerten Beginn der Phase 1B wird sich der Erstflug eines Demonstrators laut Trappier auf 2029 verzögern, viel später als 2026/27, wie es bisher kommuniziert worden war. Das Forschungsflugzeug wird voraussichtlich vor allem auf Systeme aus der Rafale aufbauen, wie die M88-Triebwerke oder die Flugsteuerungselektronik. Wie groß der New Generation Fighter wird, ist noch nicht voll definiert, aber Eckpunkte wie sehr gute Stealth-Eigenschaften (auch im Infrarotbereich) und die Fähigkeit zum Betrieb auf Flugzeugträgern stehen natürlich bereits fest.
■ NGF-Triebwerk mit dem 50/50-Joint-Venture Eumet (European Military Engine Team aus Safran Aircraft Engines für Frankreich und MTU Aero Engines für Deutschland) als Hauptauftragnehmer und ITP Aero für Spanien als Hauptpartner. Hier geht es um die Optimierung der Triebwerksarchitektur und Entwicklung der zugrunde liegenden, bahn- brechenden Technologien, vermutlich insbesondere der Einführung eines variablen Nebenstromverhältnisses. Auch Schubvektordüsen und eine gesteigerte Fähigkeit zur Stromerzeugung sind im Visier. Im Rahmen von EUMET wird Safran Aircraft Engines die Gesamtkonstruktion und -integration des Triebwerks leiten, während die MTU Aero Engines für die Triebwerksinstandhaltung zuständig sein wird. ITP Aero wird vollständig in die Konstruktion des Triebwerks eingebunden sein und unter anderem die Niederdruckturbine und die Düse entwickeln.
■ Unbemannte Systeme, Remote Carrier (RC) mit Airbus für Deutschland als Hauptauftragnehmer, MBDA für Frankreich und Satnus für Spanien als Hauptpartner. Dies ist ein weites und noch nicht besonders exakt definiertes Feld. Vorstellbar sind unbemannte Jets diverser Größen, die Aufgaben wie Vorausaufklärung und Störung der gegnerischen Flugabwehr übernehmen, als Täuschflugkörper operieren oder mit eigener Bewaffnung Ziele am Boden angreifen. Gestartet werden sie nicht unbedingt von einem Fighter, vielmehr könnten Transporter, wie die A400M, als "Mutterschiff" fungieren und 40 bis 50 kleine oder acht bis zwölf große Remote Carrier zugleich im Flug absetzen und so für eine Überlastung der gegnerischen Systeme sorgen. Entsprechende Versuche mit der A400M laufen. Der Einsatz von unbemannten Fluggeräten muss natürlich entsprechend koordiniert werden, was wohl ohne künstliche Intelligenz schwierig wird. Vorteil jedenfalls: UAVs können viel schneller entwickelt und angepasst werden als bemannte Kampfflugzeuge.
■ Combat Cloud (CC) mit Airbus für Deutschland als Hauptauftragnehmer, Thales für Frankreich und Indra Sistemas für Spanien als Hauptpartner. Hier geht es darum, entsprechende Kommunikationsarchitekturen und Datenlinks zu entwickeln, sodass alle an einer Mission beteiligten Einheiten auf dem gleichen Informationsstand sind.
■ Sensoren mit Indra Sistemas als Hauptauftragnehmer für Spanien und Thales für Frankreich und FCMS für Deutschland (Future Combat Mission System) als Hauptpartner. Im FCMS- Industriekonsortium bündeln Hensoldt Sensors, Diehl Defence, ESG Elektroniksystem- und Logistik-GmbH und Rohde & Schwarz ihre Kernkompetenzen für das FCAS/NGWS-Programm, um international stärker auftreten zu können.
■ Enhanced Low Observability (Stealth) mit Airbus als Hauptauftragnehmer für Spanien, Dassault Aviation für Frankreich und Airbus für Deutschland als Hauptpartner. Hier müssen die Erfahrungen in den verschiedenen Ländern in diesem äußerst sensiblen Feld gebündelt werden, die zum Beispiel mit Dassaults Neuron oder dem LOUT-Modell von Airbus in Manching gemacht wurden.

2500 Mitarbeiter
Für die Phase 1B werden die beteiligten Firmen nun verschiedene Entwicklungszentren einrichten, wie in Manching (Fighter und Stealth), Friedrichshafen (Cloud und Remote Carrier), in Saint Cloud (Fighter) und Élancourt (Systemarchitektur und Combat Cloud) sowie in Getafe (Fighter und Stealth). Die Zahl der beteiligten Ingenieure wird sich allein bei Airbus von derzeit etwa 200 auf rund 800 erhöhen, insgesamt dürften in allen Firmen 2500 Mitarbeiter beschäftigt sein. Eine weitere Verdoppelung wird für die Phase 2 erwartet, wobei man eine gute Mischung aus erfahrenen und neuen Ingenieuren anstrebt.
Insgesamt wird FCAS somit ein extrem komplexes Programm mit vielen Beteiligten und hohen Kosten, bei dem man heute noch nicht sagen kann, was wirklich gebaut wird. Aber schließlich geht es darum, dass die europäische Industrie ihr Know-how weiterentwickeln beziehungsweise neues erwerben kann, um ein "führender Entwickler von Luftkampfsystemen zu bleiben", so das spanische Verteidigungsministerium. Ähnlich wird bestimmt in Großbritannien, Italien und Japan argumentiert, die sich zur Entwicklung eines vergleichbaren Systems, insbesondere des Tempest-Kampfjets, verbündet haben. Vergeudung von Ressourcen eigentlich, aber eine Fusion kommt in der aktuellen Phase nicht mehr in Betracht – wenn überhaupt, irgendwann nach 2030, wenn die Grundlagenarbeit geleistet ist.
Dieser Text stammt aus FLUG REVUE 3/2023 vom 6. Februar 2023!