Il-212: Russisches Superflugzeug oder Akt der Verzweiflung?

Projekt Iljuschin Il-212
Russisches Superflugzeug oder Akt der Verzweiflung?

Zuletzt aktualisiert am 13.03.2024

So richtig passt das alles nicht zusammen, was man aus Russland über die Iljuschin Il-212 hört. Es wirkt vor allem ein wenig verzweifelt. Denn wie russische Medien nach wie vor verlautbaren, soll die geplante Il-212 weitgehend dem auf Eis gelegten Turboprop-Flugzeug Il-112W entsprechen – nur eben mit Jet-Antrieb. Bei der Flugzeugbau-Holding UAC laufen laut Verteidigungsminister Sergei Schoigu schon die Entwicklungsarbeiten. Ende 2026, so die Prognose des Ministers, soll ein Prototyp fertig sein.

UAC

Kein stimmiger Ansatz

Wenn man die Erfahrungen mit vorangegangenen Projekten der russischen Luftfahrt zum Vergleich nimmt, ist allein dieser Zeitrahmen schon eine große Hürde. Interessanter aber wirkt der Ansatz selbst, den die Russen bei der Il-212 verfolgen. Denn der ist zwar pragmatisch, weil er sich auf das konzentriert, was man schon hat – ein Flugzeug und ein Jet-Triebwerk, namentlich das PD-8 von Awiadwigatel. Aber er ist eben nicht wirklich stimmig.

Denn das PD-8, konzipiert für den Regional-Airliner Suchoi Superjet, ist mit 78 kN Schub mehr als doppelt so stark wie die bisher bei der Il-112W verwendete Klimow-Propellerturbine TW7-117ST, die 3.100 PS leistet. Dafür wiegt das PD-8 trocken aber auch 2,3 Tonnen, gegenüber gut 500 Kilogramm Gewicht beim TW7-117ST. Dass ein Turbofan dieser Größe deutlich mehr Sprit braucht als der Turboprop, ist gleichfalls eine Binsenweisheit. Russischen Quellen zufolge schluckt das PD-8 etwa dreimal so viel Kerosin wie das TW7-117ST.

Rostec

Ein Triebwerk würde reichen

Im Klartext heißt das also: Das PD-8 ist, wenn die Il-212 wirklich so klein bleiben soll wie die Il-112W, für das Projekt völlig überdimensioniert. Theoretisch würde ein einziges PD-8 ausreichen, um dem neuen Flugzeug vergleichbare Leistungen wie der Il-112W zu verleihen. Gleichzeitig versprach Minister Schoigu in seiner jüngsten Erklärung, die Il-212 werde als Jet weiter fliegen und mehr Nutzlast tragen können als die Turboprop-Version Il-112W. Wo bei diesem Konzept der dafür notwendige zusätzliche Sprit unterkommen soll, bei einer gleichzeitigen Steigerung der Nutzlast, die eigentlich nur Sinn ergibt, wenn der Frachtraum auch eine Vergrößerung erfährt, präzisierte Schoigu nicht.

Ein größeres Flugzeug

Bei Lichte betrachtet läuft somit alles auf ein größeres und – in weiten Teilen – völlig neues Flugzeug hinaus. Auch wenn die offiziellen Stellen in Russland genau das nicht aussprechen. Aber zwei PD-8 als Antrieb wirken schlicht nur dann sinnvoll, wenn man die Zelle der Il-212 auf den besagten Antrieb zuschneidet. Das wiederum bedingt – neben neuen Tragflächen, einem neuen Kraftstoffsystem und weiteren Modifikationen – auch einen neuen, üppiger dimensionierten Rumpf.

Kombiniert mit dem avisierten Ansatz, die Triebwerke oberhalb des Flügels zu montieren, um sie einerseits möglichst weit weg vom Boden zu bekommen und ihren Abgasstrahl andererseits für mehr Auftrieb zu nutzen (Stichwort Coandă-Effekt), kämen die Russen wohl bei einem Entwurf heraus, der in Größe und Gestalt der Antonow An-72/74 ähnelt. Diese ist für den Betrieb von unbefestigten Pisten optimiert und punktet mit ausgeprägten STOL-Eigenschaften. Qualitäten, mit denen auch die Il-212 punkten soll.

Russische Luftwaffe, An-72 beim Start.
Patrick Zwerger

Anders als bestellt

Die An-72 besitzt eine maximale Nutzlast von 10 Tonnen – das Doppelte dessen, was für die Il-112W im Lastenheft stand. Gesetzt den Fall, die Il-212 wäre (mindestens) in ähnlichen Sphären unterwegs wie die altehrwürdige Antonow, bekämen die russischen Transportflieger zwar ein neues Flugzeug mit hervorragender Kurzstart-Performance – aber eines, das in Größe und Leistung eine Klasse höher angesiedelt ist als das, was sie eigentlich beauftragt hatten, um ihre veralteten Antonow An-26 zu ersetzen. Ein wirklich "leichter Militärtransporter", wie ursprünglich gefordert, wäre die Il-212 jedenfalls nicht mehr.

Ladoga als Militärfrachter?

Es ist wahrscheinlich, dass die russische Luftwaffe mangels Alternativen diese Kröte schluckt. Tatsächlich lautet das neue Wording aus Moskau jetzt folgerichtig, die Il-212 solle "die An-26 und die An-72 ersetzen". Parallel wird in Russland über die Idee spekuliert, dem Militär eine Transporter-Variante des geplanten Regional-Turboprops TWRS-44 Ladoga zu bauen, die den Leistungsbereich der An-26 eher abdecken könnte. Die TWRS-44 aber existiert generell noch gar nicht, der Fokus des Musters liegt auf der zivilen Nutzung und eine militärische Variante mit Laderampe im Heck würde sicher einige Jahre Entwicklungszeit in Anspruch nehmen. Außerdem ist für die Ladoga ebenfalls das TW7-117ST als Antrieb eingeplant – wie bei der gescheiterten Il-112W.

Uraler Zivilflugzeugwerk TWRS-44.
USGA

Kleinere Triebwerke bauen?

Damit die als Jet ausgelegte Il-212 doch noch in das ursprüngliche Beuteschema passt, wäre auch eine neue, maßgenau skalierte Version des PD-8-Turbofans für das neue Flugzeug denkbar. Schließlich ist das PD-8 selbst auf diese Weise aus dem Awiadwigatel PD-14 entstanden, das am Airliner Jakowlew MS-21rus zum Einsatz kommt und 137 kN Schub liefert. Der Umbau eines Turboprop-Flugzeugs zu einem Jet ist prinzipiell keine allzu große Sache – wie in Deutschland etwa Dornier mit der Do 328 und dem Do 328Jet in den 90er-Jahren bewies. Allerdings braucht es dazu eben ein in Leistung, Größe und Gewicht passendes Triebwerk, was das für andere Zwecke entwickelte PD-8 augenscheinlich nicht ist. Ein solches Triebwerk besitzt Russland derzeit nicht, es müsste erst aus dem PD-8 entwickelt werden. Da selbst Letzteres noch immer nicht serienreif ist, würde eine solche Entwicklung wohl ebenfalls mehrere Jahre beanspruchen.

Fehlende Kapazitäten

Zu allem Überfluss schwebt über sämtlichen Optionen noch ein anderes Damoklesschwert. Denn die russischen Flugzeugbauer, die Triebwerksbauer und die Zulieferer sind kapazitätsmäßig vollkommen ausgelastet – um nicht zu sagen überlastet. Der Plan der russischen Regierung, bis Ende 2030 mehr als 1.000 einheimische Passagierflugzeuge zu bauen, bindet Knowhow und Produktionsslots. Alle relevanten Projekte liegen aktuell hinter dem Zeitplan. Und das bei der Il-212 in Betracht gezogene PD-8 wird vor allem für den Hochlauf der russifizierten Superjet-Produktion benötigt. 20 Superjets sollen plangemäß bis 2030 jedes Jahr entstehen. Macht jährlich 40 Triebwerke – und da sind auf Halde produzierte Ersatzmotoren noch nicht eingerechnet. Und Triebwerke für das Amphibium Berijew Be-200, das ebenfalls PD-8 erhalten soll, auch nicht.

UAC

Abwarten und An-26 fliegen

Es ist also nicht ganz so trivial, wie der Verteidigungsminister und die verantwortlichen Stellen mit ihren bisherigen Aussagen suggerieren. Vermutlich werden die russischen Transportflieger mit der Il-212 in der Tat irgendwann ein sehr potentes Flugzeug erhalten, mit dem sie buchstäblich auf jedem Acker landen können. Aber bis es soweit ist, werden sie wohl das machen müssen, was sie schon seit 20 Jahren machen: sich in Geduld üben und ihre alten Antonows weiterfliegen.