Der türkische Außenminister Hakan Fidan sorgte jüngst in seinem Heimatland mit einer kontroversen Aussage für Aufsehen. Im Nachgang des Staatsbesuchs von Präsident Erdogan im Weißen Haus in Washington monierte der Chefdiplomat öffentlich, dass der US-Kongress nach wie vor keine Exportlizenzen für die benötigte Anzahl von GE F110-Triebwerken erteilt habe, mit denen die Türkei plangemäß die erste Serie ihrer Kaan-Kampfjets ausrüsten möchte. "Die Triebwerke von Kaan warten im US-Kongress, ihre Lizenz wurde ausgesetzt", so der Minister. Der Exportprozess befinde sich derzeit in einer "Sackgasse". Die US-Blockadehaltung erschwere die Bemühungen, das ehrgeizige Kampfflugzeugprogramm ohne Verzug voranzutreiben und entspreche "nicht dem Geist der Allianz und der strategischen Partnerschaft" zwischen den USA und der Türkei.
Mittelfristig planen die Türken, ihren Fighter der fünften Generation mit einheimischen Triebwerken auszustatten. Doch das dafür vorgesehene TF35000 ist noch viele Jahre von der Marktreife entfernt – es existiert bis dato nicht einmal ein Prototyp. Erst für 2029 ist der Einbau in ein Kaan-Testflugzeug geplant. Vor 2032, das betonen selbst die Verantwortlichen des Projekts, wird es wohl nichts mit einem Serienbau des Motors.
Muss die Türkei nach Alternativen suchen?
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Türkei und Kaan-Hersteller Turkish Aerospace Industries (TAI) bis auf Weiteres auf Triebwerke von ausländischen Zulieferern angewiesen sind. "Die Einschränkungen in unseren Beziehungen zu den Vereinigten Staaten werden uns unweigerlich zu anderen Zielen innerhalb des internationalen Systems drängen", schlussfolgert Außenminister Fidan – wobei es unklar bleibt, welche Alternativen er im Falle eines Ausfalls der erwarteten US-Lieferungen im Auge hätte und wie diese – technisch wie geopolitisch – tatsächlich umgesetzt werden könnten.

Die Prototypen und ersten Vorserienexemplare des Kampfjets Kaan heben plangemäß mit F110-GE-129-Turbofans ab. Auch das erste Kaan-Exemplar (Foto) fliegt mit diesem Triebwerkstyp.
Der "Triebwerksfahrplan" für den Kaan-Kampfjet
Womöglich wird die ganze Sache aber auch wieder einmal heißer gekocht als gegessen. Jedenfalls beschwichtigte der Chef der türkischen Verteidigungsindustrie, Prof. Dr. Haluk Görgün, seinerseits in einer Stellungnahme, dass zumindest gegenwärtig im Kaan-Entwicklungsprozess dadurch keine Verzögerungen zu erwarten seien. Tatsächlich hat TAI für die insgesamt sechs geplanten Kaan-Prototypen, von denen einer bereits abhob, die benötigten GE-Triebwerkspaare bereits geliefert bekommen. Das Gros der Serienflugzeuge soll später mit dem türkischen TF35000-Motor ausgerüstet werden. Darunter fallen laut Vertrag auch die von Indonesien bestellten 48 Kaan-Exemplare. Theoretisch geht es also "nur" um die Block 10-Vorserienjets für die türkische Luftwaffe, deren Auslieferung 2028 starten soll.
Der Außenminister sieht "ein systemisches Problem"
Bis diese Maschinen in die Endmontage gehen, fließt ohnehin noch jede Menge Wasser durch den Bosporus. Es bleibt also noch etwas Zeit. Türkische Analysten betonen zudem, dass GE aktuell Komponenten für den F110-Turbofan, der unter anderem auch die Boeing F-15EX Eagle II und die F-16 antreibt, in der Türkei produzieren lässt. Das könnte den Entscheidungsprozess im US-Kongress – aus Sicht der Türkei – ebenfalls positiv beeinflussen. Für Außenminister Fidan ist der Fall dennoch klar: Die von den USA Ende 2020 gegen den NATO-Partner Türkei verhängten Sanktionen, die nach dem sogenannten CAATSA-Gesetz beschlossen wurden (Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act) und die Türken für deren Einkauf des russischen S400-Flugabwehrsystems abstrafen sollten, stehen einer echten Partnerschaft beider Nationen generell im Weg: "Die Existenz einer rechtlichen Beschränkung zwischen zwei NATO-Verbündeten, die sie daran hindert, irgendetwas voneinander zu kaufen, ist ein systemisches Problem", so Fidan.