ESA-Satellit EarthCARE: Über den Wolken

ESA-Satellit EarthCARE
Über den Wolken

Zuletzt aktualisiert am 24.05.2024

Die Sonneneinstrahlung beeinflusst maßgeblich unser Wetter und das Klimageschehen auf der Erde – und doch wissen wir erstaunlich wenig darüber. Denn die Vorgänge in unserer Atmosphäre sind vielschichtig: Die Strahlung ist ungleich verteilt und interagiert mit Wolken und Aerosolen, das sind Schwebeteilchen aus kleinsten festen und flüssigen Partikeln, beispielsweise Vulkanasche oder Saharastaub. Der Satellit EarthCARE (Earth Cloud Aerosol and Radiation Explorer) soll helfen, diese Dynamiken zu verstehen. Er soll Daten für die Klimaforschung bereitstellen sowie die Genauigkeit von Klimamodellen und die Wettervorhersage verbessern. Voraussichtlich am 28. Mai bringt ihn eine Falcon 9 von Vandenberg aus in einen niedrigen Erdorbit, wo er mindestens drei Jahre lang forschen soll.

EarthCARE ist die nach ESA-Angaben größte und komplexeste Mission unter den sogenannten "Earth Explorers" (Erdforscher) der europäischen Raumfahrtagentur. Es ist der sechste von zehn geplanten Forschungssatelliten und wird gemeinsam mit der japanischen Raumfahrtagentur JAXA realisiert.

Technische Probleme, Covid, Wechsel der Trägerrakete

Auf der ILA 2008 unterschrieben die ESA und Airbus, damals noch Astrium, den Vertrag für Entwicklung und Bau des Satelliten. Der Start war für 2013 geplant. Doch technische Probleme mit den Instrumenten, die Zusammenarbeit von unzähligen Akteuren, Corona und ein kurzfristiger Wechsel der Trägerrakete sorgten für Verzögerungen und hohe Kosten von 852 Millionen Euro (davon 800 Millionen aus Europa und 52 Millionen Euro aus Japan). Regelmäßig wurde überprüft, ob das Projekt nicht doch besser eingestellt werden sollte. Die Forschungsgemeinde machte sich aber immer für eine Weiterführung stark. "Die Entscheidung war zu jedem Zeitpunkt: Macht weiter, wir brauchen das Ding", sagt Maximilian Sauer, EarthCARE-Projektmanager bei Airbus, bei einem Medienevent in Friedrichshafen am 1. Februar. Sauer ist seit 2012 in verschiedenen Funktionen bei Airbus für den Erdbeobachtungssatelliten zuständig.

EarthCARE ist mit vier Instrumenten ausgestattet: einem Wolkenprofilradar der JAXA (Cloud Profile Radar, CPR), einem Atmosphären-Lidar (ATLID) und einem Multispektral-Imager (MSI) von Airbus sowie einem Breitband-Radiometer (BBR), das von einem britischen Konsortium unter der Führung von SEA entwickelt wurde. Das CPR ist ein Doppler-Radar, das Radiowellen zur Erde sendet und die von Wolkenpartikeln gestreuten Echosignale empfängt. Mithilfe der Signallaufzeit lässt sich berechnen, wie hoch sich die Wolkenpartikel befinden. "Aber man analysiert auch die Veränderungen im Ergebnis des Radiosignals und kann so etwas über Eiskristalle und Geschwindigkeiten erfahren", erklärt Dirk Bernaerts, EarthCARE-Projektmanager der ESA. Somit lassen sich Wolkenprofile erstellen, die Aufschluss über die vertikale Struktur und Bewegung, die Partikelgrößenverteilung und den Wassergehalt geben. "ATLID, das europäische Lidar, macht dasselbe [wie CPR; d. Red.], nur mit Licht", sagt Bernaerts. Das Instrument, an dem auch die Airbus-Tochter Tesat aus Backnang beteiligt ist, sendet mittels eines Lasers kurze UV-Lichtimpulse. Die reflektierten Signale werden analysiert, dann wird ein vertikales Profil von Aerosolen und Wolken in der Atmosphäre erstellt.

ESA/ATG medialab

Alle Instrumente auf einem Satelliten

CPR und ATLID betrachten ein schmales Band unterhalb des Satelliten. Der Multispektral-Imager MSI hat dagegen ein breiteres Sichtfeld von rund 120 Kilometern. Er macht hochauflösende Aufnahmen in mehreren Spektralbändern im sichtbaren und Infrarot-Bereich. Das hilft Forschern bei der Unterscheidung von verschiedenen Arten von Wolken und Aerosolen sowie der Analyse ihrer Zusammensetzung.

Das Breitband-Radiometer BBR misst die Strahlungsflüsse am oberen Ende der Erdatmosphäre. Es blickt aus drei Richtungen auf die Atmosphäre und kann die Menge der reflektierten Sonnenstrahlung und die von der Erde ausgehende Wärmestrahlung genau bestimmen. "Das Besondere an EarthCARE ist, dass wir die vier Instrumente gleichzeitig benutzen können", erklärt Björn Frommknecht, EarthCARE-Missionsmanager der ESA. Es gab vor EarthCARE bereits andere Missionen, die sich mit Wolken und Aerosolen beschäftigt haben, beispielsweise die A-Train-Konstellation mit US-amerikanischen, japanischen und französischen Beiträgen. Aber bisher sind die Instrumente auf einzelnen Satelliten platziert. Das Wetter und die Wolkensituation ändern sich jedoch schnell. Selbst ein paar Minuten, die zwei Satelliten beim Überflug über ein Gebiet trennen, können einen Unterschied für die Messungen machen.

Wenig Luftwiderstand

Besonders ist auch die Form von EarthCARE: Unter anderem wegen des Lasers von ATLID fliegt der Satellit in einem niedrigen sonnensynchronen polaren Orbit in knapp 400 Kilometern Höhe. Dort ist eine Rest-Atmosphäre vorhanden, die den Satelliten abbremst. "Deswegen haben wir ein schlankes Design, mit einem, wenn man es in Flugrichtung anschaut, relativ geringen Querschnitt", erklärt der Airbus-Projektmanager Sauer. Das führte dazu, dass Computer, Massenspeicher, Drallräder, Instrumente und Zubehör sehr eng im Zentralkörper gepackt werden mussten. Den hohen Strombedarf für Laser und Radar deckt ein elf Meter langes Solarpaneel, das nach hinten zeigt. Wegen der niedrigen Flughöhe ist EarthCARE zudem mit dem Spezialstoff "Betaglove" bekleidet. Das soll ihn vor dem hochreaktiven atomaren Sauerstoff in der Rest-Atmosphäre schützen.

EarthCARE ist nicht nur eine der wichtigsten Missionen des Jahres für die ESA, sondern auch für Deutschland – und das nicht nur, weil der Satellit bei Airbus in Friedrichshafen gebaut wurde. "Deutschland und das DLR nehmen den Klimawandel sehr ernst", sagt René Kleeßen, Direktorat Organisationen und Infrastruktur der deutschen Raumfahrtagentur im deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). "Deshalb investiert Deutschland sehr viel in das ESA-Erdbeobachtungsprogramm [FutureEO; d. Red.], weil wir noch mehr zum Thema Klimawandel verstehen wollen."

Flugkampagne mit DLR-Forschungsflugzeug

Bis heute hat sich Deutschland mit mehreren Hundert Millionen Euro an FutureEO beteiligt und ist damit der größte Beitragszahler. Hinzukommen mehrere Millionen Euro aus dem nationalen Raumfahrtprogramm, um die Nutzung der EarthCARE-Daten vorzubereiten und den Betrieb zu unterstützen. Zudem wird das DLR-Forschungsflugzeug HALO (High Altitude and Long Range Research Aircraft), eine modifizierte Gulfstream G550, mit einer Flugkampagne einen wichtigen Beitrag zur Validierung von EarthCARE leisten. Denn die im Weltraum gewonnenen Daten müssen immer wieder mit Messungen aus der Luft und vom Boden verglichen werden, um sicherzugehen, dass EarthCARE und seine Instrumente richtig funktionieren. "Flugkampagnen sind ein sehr wichtiger Teil des Ganzen, weil nur sie die Möglichkeit bieten, direkt unter EarthCARE zu fliegen und eine gewisse Zeit oder in einem gewissen Bereich die gleichen oder zusätzliche Messungen vorzunehmen", sagt Dr. Silke Groß vom DLR-Institut für Physik der Atmosphäre, die diese Kampagnen leitet.

HALO wurde für die Validierungsflüge mit vier Instrumenten ausgestattet, die denen des Satelliten entsprechen. Geplant sind drei Flugkampagnen: im August und September sieben Wochen von den Kapverden und von Barbados aus sowie im Herbst drei bis vier Wochen von Oberpfaffenhofen aus. Parallel dazu werden Bodenmessungen vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung und dem Max-Planck-Institut für Meteorologie durchgeführt.

Wolken und Aerosole in 3-D

Ende 2024, Anfang 2025 werden der Forschung erste Daten von EarthCARE zur Verfügung gestellt. "Es ist das erste Mal, dass wir als Wissenschaftler mit einer einzigen Einrichtung alles gleichzeitig sehen: Aerosole, Wolken, Eispartikel und die Wärmestrahlung. Wir hoffen, dass das unser Verständnis davon, wie das Klimasystem funktioniert, weiter verbessern wird", sagt Thorsten Fehr, EarthCARE-Missionswissenschaftler der ESA.

Die jahrelange Verspätung von EarthCARE hat am Ende auch ihr Gutes: Aus den Daten der Instrumente lässt sich ein dreidimensionales Foto von Wolken und Aerosolen mit einer Kantenlänge von zehn auf zwölf Kilometer berechnen. Erst die heutigen Klimamodelle sind von der räumlichen Auflösung her für einen Abgleich mit den Daten geeignet. Zudem hat die Rechenleistung deutlich zugenommen. "Jetzt können die Daten direkt so, wie sie rauskommen, auch verwendet werden", erklärt Frommknecht. "Es war sehr visionär, wie die Mission konzipiert worden ist."