Josef Aschbacher (62) ist seit März 2021 Generaldirektor der europäischen Weltraumorganisation ESA. In dieser Zeit hat ihn die Ariane 6 viel beschäftigt. Der gebürtige Österreicher und promovierte Naturwissenschaftler geht im Gespräch mit der FLUG REVUE auf die Bedeutung des Erststarts am 9. Juli ein und kontert die Kritik an der neuen europäischen Trägerrakete.

ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher
Der wog ungefähr 540 Tonnen – das ist das Gewicht der Ariane 6, die wir gestartet haben. Das war eine Riesen-Erleichterung. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Erststart gut geht, ist fast 1:1. Ich habe die Statistiken vorher genau studiert. Seit 2020 sind von den Erststarts neuer Raketen etwa 47 Prozent nicht geglückt. Es ist also bei weitem nicht gegeben, dass der Start erfolgreich verläuft. Dass der Erststart erfolgreich war, ist wirklich wichtig und etwas Außergewöhnliches.
Wir haben den Flug in zwei Phasen eingeteilt: die Launcher-Phase und eine technische Experimentierphase. Die Launcher-Phase war 100 Prozent erfolgreich, nämlich bis ungefähr eine Stunde und sechs Minuten nach dem Start. Dazu gehörte das Abtrennen der Booster, der Nutzlastverkleidung der Oberstufe, das zweimalige Zünden des Vinci-Triebwerks, das einmalige Zünden der APU [Auxiliary Propulsion Unit; d. Red.]. Das alles hat perfekt funktioniert, inklusive dem Aussetzen der Satelliten. In der zweiten Phase, der Experimentierphase, hat es ein Problem gegeben. Als die APU das zweite Mal gezündet wurde, hat sie sich nach ein paar Sekunden wieder abgeschaltet. Wir wissen mittlerweile, was das Problem ist. Ich werde das demnächst auch kommunizieren. Es ist nichts, was mich sehr beunruhigt. Wir müssen das natürlich beheben. Aber der Start an sich war 100 Prozent erfolgreich. Das ist eine wichtige Errungenschaft für Europa. Es ist eines der europäischen Großprojekte, an dem viele tausend Menschen zusammengearbeitet haben und das war erfolgreich.
Die Krise ist jetzt vorbei. Natürlich müssen wir den Hochlauf schaffen und auch die Vega-C sowie die Microlauncher müssen starten, um ein vielseitigeres Ökosystem aufbauen zu können. Aber der Erststart der Ariane 6 war mit Abstand der größte Schritt, um aus dieser Krise herauszukommen. Es ist wichtig, dass wir wieder zurück im Weltraum sind mit einer eigenen Rakete.
Ich kenne die Kritik sehr gut. Aber man muss die Ariane 6 danach bewerten, wofür sie gebaut wurde: für einen europäischen Markt, wo es etwa fünf, sechs Starts von Schwerlastraketen pro Jahr gibt. Wir sind nicht in Amerika, wo man 50 Starts braucht oder mit Eigenbedarf, wie zum Beispiel Starlink, sogar 150 Starts durchführen kann. Wir sind in einem anderen Kontext, und der Grund ist einfach: Europa investiert weniger in den Weltraum. In Europa wird etwa ein Fünftel ausgegeben im öffentlichen Bereich. Dadurch entwickelt sich der kommerzielle Bereich entsprechend langsamer. Für Europa ist die Ariane 6 genau die richtige Trägerrakete, auch von der Dimensionierung her.
Der internationale Markt wird derzeit leider nicht von Europa abgedeckt, wie es in der Vergangenheit zu einem guten Teil der Fall war. Aber der kommerzielle Markt ist limitiert. Die meisten Nationen, die eigene Trägerraketen haben, verwenden diese für ihre Starts. So sehr ich es mir wünschen würde, ich kann mir nur schwer vorstellen, dass amerikanische, öffentlich finanzierte Missionen auch in Europa gestartet werden. Natürlich werden wir daran arbeiten, die Kadenz zu erhöhen, um auch einen Teil des kommerziellen Marktes abzudecken. Wir haben auch schon damit begonnen, die Nachfolgerakete von Ariane 6 zu entwickeln. Durch die Launcher Challenge sind wir dabei, diesen Prozess zu beschleunigen. Aber man muss es immer im richtigen Kontext sehen: Europa ist nicht Amerika, was die Unterstützung im Trägerraketen- und Weltraumbereich betrifft.
Das ist schwer vorauszusagen. Das hängt sehr von der Geschwindigkeit der Entwicklungen der einzelnen Firmen ab. SpaceX wurde 2002 gegründet und die erste wiederverwendbare Rakete wurde mehr als zehn Jahre danach gestartet. Das ist die Größenordnung, die es braucht. Aber wir haben schon seit Jahren an einem wiederverwendbaren Triebwerk gearbeitet: Prometheus. Hier sind wir in der Mitte der Entwicklungen. Wie schnell das weitergeht, liegt in der Hand der privaten Firmen. Wir unterstützen sie durch den Wettbewerb, die European Launcher Challenge. Wir können nur den Prozess fördern und als Ankerkunde auftreten.
Sie fragen mich, ob es sinnvoll ist, Wettbewerb zu erzeugen und dadurch verschiedene Firmen an ähnlichen Produkten arbeiten zu lassen. Die Frage lässt sich dadurch beantworten, dass wir gerade dabei sind, von einer Monopolsituation im Schwerlastbereich wegkommen zu wollen. Die Antwort ist klar: Ich will diesen Wettbewerb unterstützen, damit wir zu einer optimierten Lösung für Europa kommen.
Europa entwickelt trotz der Komplexität, die wir mit 22 Mitgliedsländern haben, mit dem Georeturn-Prinzip und ähnlichen Prozessen, einige der wettbewerbsfähigsten Infrastrukturen weltweit: Copernicus, Galileo, meteorologische Satelliten zum Beispiel. Es ist nicht so, dass Georeturn keinen Wettbewerb fördert. Im Gegenteil: Die Industriepolitik der ESA ist so ausgerichtet, dass wir stets Wettbewerb als treibende Kraft verwenden. Aber wir müssen immer wieder unsere Industriepolitik überprüfen. Deshalb haben wir erste Beschlüsse gefasst, dass wir das Georeturn-Prinzip anpassen wollen. Wir werden einzelne Fälle auswählen, wo wir den sogenannten Fair Return anwenden. Das heißt, dass wir die Industrie im freien Markt ein Produkt entwickeln lassen und dann nachher die Mitgliedsstaaten die Kosten dafür tragen, entsprechend den tatsächlichen Anteilen ihrer Industrie.