Am 13. August 2015 hatte Tschuri den sonnennächsten Punkt seiner Bahn, das sogenannte Perihel, erreicht. Fortan bewegt er sich wieder weg in die äußeren Bereiche unseres Sonnensystems, und es wird rund sechseinhalb Jahre dauern, bevor er der Sonne wieder nahe kommt. Doch Nähe ist ein relativer Begriff. Immerhin liegt das Perihel mit einem Abstand von mehr als 185 Millionen Kilometern noch weit hinter der Erdbahn. Dennoch wurde es zu diesem Zeitpunkt auf der Kometenoberfläche heißer als auf der Erde, denn der kosmische Vagabund hat wegen seiner fast schwarzen Färbung nur eine geringe Rückstrahlung, und eine Atmosphäre besitzt er auch nicht.
Nun sollte man als Laie annehmen, dass solch ein Komet in der Nähe der Sonne eine voluminöse Koma samt beeindruckendem Schweif ausbildet, aber – weder noch. Was unterscheidet also Tschuri von anderen Kometen, die uns ansonsten am Himmel begeistern? „Wir müssen vor allem den größeren Abstand berücksichtigen“, sagt Dr. Ekkehard Kührt, als Abteilungsleiter beim DLR-Institut für Planetenforschung zuständig für Asteroiden und Kometen. „Die Aktivität eines Kometen hängt sehr stark vom Sonnenabstand ab, und dieser Klumpen aus Eis und Staub ist so weit weg, dass man ihn mit bloßem Auge von der Erde aus gar nicht sehen kann.“ Anders als beim berühmten Halleyschen Kometen (siehe Kasten unten) also dampft und gast Tschuri, der wie ein Quietscheentchen aus der Badewanne aussieht, eher im Dunkeln, und außerdem ist er mit 4 x 3,5 x 3,5 Kilometern viel kleiner als Halley, der es immerhin auf 15,3 x 7,2 x 7,2 Kilometer bringt.
Ganz untätig ist der Komet indessen nicht. Immer wieder schießen aus dem Untergrund helle Staub- und Gasfontänen, sogenannte Jets, hervor. „Wir müssen zum derzeitigen Zeitpunkt zugeben, dass wir dafür noch keine befriedigende wissenschaftliche Erklärung haben“, sagt Dr. Kührt, „nur Spekulationen über die möglichen Ursachen. Ich bin aber optimistisch, dass wir Antworten finden werden.“ Die Experten sind gerade dabei, die Messergebnisse aller wissenschaftlichen Geräte zu einem Gesamtmodell zusammenzuführen, und das kann noch Monate dauern. Da ist es von Vorteil, dass die finanziellen Mittel für die Forschungsarbeit bis 2018 reichen und Rosetta zudem sehr sparsam mit dem Treibstoff des Bordtriebwerkes umgegangen ist. Ergebnis: Die Mission konnte um weitere neun Monate verlängert werden. Wenn der Komet also schon längst wieder weit weg ist, wird die Raumsonde noch immer Daten zur Erde schicken und das Bild der eisigen „Ente“ vervollständigen.
Bis dahin ist allerdings noch etwas Zeit. Im August erreichten die Oberflächentemperaturen des kosmischen Vagabunden, zumindest im Süden, rund 80 Grad Celsius! Zum Vergleich: Der Hitzerekord auf der Erde wurde im amerikanischen Death Valley mit 56,7 Grad gemessen.
Diese Erwärmung des dunklen Körpers, dessen Oberfläche vor allem mit Staub und Schutt bedeckt ist, sorgt für einen kräftigen Masseverlust, der auf bis zu 1000 Kilogamm pro Sekunde geschätzt wird. Das klingt sehr viel, ist es aber eigentlich gar nicht, wenn man sich einmal die Größe des Kometen vor Augen führt.
Die Verluste entstehen infolge des Verdampfens des Eises, und die dabei entstehenden Jets reißen eine Menge Staub mit sich. Diese Ausbrüche können so heftig sein, dass sie sogar den auf den Kometen auftreffenden Sonnenwind für einige Minuten zurückdrängen. Analysen solcher „Geysire“ zeigten große Anteile an Wasserdampf, Kohlendioxid, Methan und Schwefelwasserstoff, Kurz gesagt: Der Komet stinkt gewaltig!
Heftige Jets reissen Staub mit sich fort

Als Rosetta vor einem Jahr Tschuri erreichte, war dieser in rund 500 Millionen Kilometern Entfernung von der Sonne praktisch nicht aktiv. Die nachfolgende Entwicklung versetzt die Wissenschaftler erstmals in die Lage, das „Erwachen“ eines Kometen, seine Aktivität und schließlich den langsamen Übergang zurück zur Ruhephase hautnah zu verfolgen. Ekkehard Kührt jedenfalls geht davon aus, dass die Ausstöße von Gasen und Materie noch eine ganze Weile anhalten werden, zumindest konnte man das bei früheren Perihel-Durchgängen des Himmelskörpers von der Erde aus beobachten.
Die Staubgeysire machen es der Raumsonde und ihren Instrumenten nicht gerade leicht, ihre Aufgaben zu erfüllen, geschweige denn näher an Tschuri heranzufliegen. Mindestens 300 Kilometer Sicherheitsabstand braucht der Flugkörper, damit die winzigen Teilchen nicht die Sternsensoren verwirren und daraus resultierend Probleme bei der Navigation verursachen. Manche der Messinstrumente brauchen sogar größere Entfernungen, um ein Gesamtbild zu erzielen, während man die Kameras natürlich so nahe wie möglich an die Oberfläche heranführen würde. Die Sicherheit lässt das jedoch nicht zu, wie die Erfahrungen der Giotto-Sonde zeigten.
Noch in der Anflugphase, genauer gesagt rund sieben Sekunden vor der größten Annäherung an den Halleyschen Kometen, geriet Giotto in ein derart starkes Teilchenbombardement, dass die Kamera und andere Bordinstrumente unverzüglich zerstört wurden. Allerdings war Giotto mit einer Relativgeschwindigkewit von rund 70 km/h unterwegs, was die Einschlagenergie der Staubteilchen vervielfachte. Einen derartigen „Beschuss“ hat Rosetta nicht zu fürchten.
Nicht aufgegeben haben die Wissenschaftler unterdessen die Hoffnung, noch einmal Funkkontakt zum Lander Philae aufnehmen zu können. Der war nicht dort niedergegangen, wo er sollte, und hüllte sich nach 60 Stunden Arbeit wegen Energiemangels in Schweigen. Mit zunehmender Annäherung an die Sonne hoffte man auf eine Erhöhung der Innentemperatur und mehr Strom, worauf sich das Landegerät von selbst melden sollte. Das tat es dann auch mehrmals (zuletzt am 9. Juli), aber leider immer nur kurz. Jetzt konzentrierten sich die Experten auf die Arbeit der Sondeninstrumente, doch die fand nun einmal über der Zone der stärksten Aktivitäten auf der südlichen Hemisphäre statt. Das war die entgegengesetzte Richtung des vermuteten Landepunktes, und vor Mitte August gab es keine Chance für einen erneuten Versuch der Kontaktaufnahme. Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe jedenfalls war kein Piep zu hören.
Wenigstens besteht die Möglichkeit, dass Philae die ihm zugewiesenen Messungen direkt auf der Kometenoberfläche durchgeführt hat und ihm bislang nur die Gelegenheit fehlte, die gesammelten Daten an die Relaisstation Rosetta und von da aus zur Erde zu übertragen. Vielleicht geschieht ja noch ein Wunder und plötzlich treffen ganze Datenströme vom Lander ein.
Eines ist allerdings sicher: Philae steht irgendwo tief im Schatten, sodass es ihm selbst bei der größten Annäherung des Kometen an die Sonne nicht zu warm werden konnte. Er ist darauf ausgelegt, selbst bei Außentemperaturen von 50 Grad noch zu funktionieren, und wenn auch anderswo 80 Grad erreicht wurden, so war Philae doch gut gekühlt. Wenn sich also die Sonde nach dem Abklingen der Kometenaktivitäten, wenn er also keine Jets mehr abfeuert, wieder der Oberfläche nähert, könnten Wiedersehenstelefonate zwischen den beiden durchaus möglich sein.
Blick zurück: Der Halleysche Komet

1P/Halley, so der offizielle Name, ist einer der bekanntesten Schweifsterne. Etwa alle 76 Jahre gelangt er in die Nähe der Erde und entfaltet hier sehr lichtstark einen gewaltigen Schweif. Er war bereits im Altertum bekannt und wurde Anfang des 14. Jahrhunderts von dem italienischen Maler Giotto Di Bondone als „Stern von Bethlehem“ in seinem Fresko „Anbetung der Heiligen Drei Könige“ verewigt. Seinen Namen erhielt der Komet allerdings nach dem britischen Astronomen Edmond Halley, der die Bahn des Himmelskörpers berechnete und seine Wiederkehr exakt vorhersagte. Als Halley 1986 der Erde wieder einmal nahe war, wurde er von den Raumsonden Giotto (ESA), Vega 1 und 2 (UdSSR) sowie Sakigake und Suisei näher erforscht, wobei der europäische Raumflugkörper dem Kometen am nächsten kam, dabei aber wegen des Teilchenbombardements praktisch „blind“ wurde.
FLUG REVUE Ausgabe 10/2015