Plötzlich geht das Licht aus. Internet, Telefon und Navigationsdienste sind ebenfalls ausgefallen. Was ist passiert? Ein Terroranschlag? Nein, die Bedrohung kam aus dem All. Es waren allerdings keine Außerirdischen, die uns heimsuchen, sondern intensive Teilchenschauer und Strahlung, die hauptsächlich von der Sonne ausgehen, denn sie versorgt uns nicht nur mit Licht und Wärme. Teilchen und Strahlung interagieren mit dem die Sonne umgebenden interplanetaren Medium, was zu zeitweilig starken Beeinflussungen der Erdmagnetosphäre, -ionosphäre und -atmosphäre führt.

Polarlichter sind die schöne Seite des Weltraumwetters. Diese Aufnahme gelang dem NASA-Astronauten Scott Kelly 2016.
Weltraumwetter als globale Gefahr
Für diese Phänomene wurde der Begriff "Weltraumwetter" geprägt. Sie bekommen unserer hoch technisierten und elektrifizierten Welt gar nicht. Im Gegensatz dazu sind die besonders in den Polregionen zu beobachtenden Polarlichter ein schöner Nebeneffekt. Glücklicherweise ist es zu dem oben beschriebenen heftigen Szenario noch nicht gekommen, aber die Gefahr ist real. 2012 wäre es fast soweit gewesen. Und für das Wochenende vor Weihnachten hatte das Space Weather Prediction Center aus den USA vor Sonnenstürmen gewarnt, die zu Flugfunkausfällen führten. Deshalb ist die Erforschung des Weltraumwetters zu einem der wichtigsten Forschungsgebiete in der Raumfahrt geworden. Das Ziel ist die Aufklärung der physikalischen Phänomene, die zu den Teilchenschauern führen, um genauere Vorhersagen treffen zu können.
Ungeheure Mengen Material
Bekannt ist, dass die äußeren Schichten der Sonne, die Sonnenkorona, von Zeit zu Zeit große Mengen Materie ausstoßen (sogenannte koronale Massenauswürfe mit mehreren Milliarden Tonnen), deren Teilchen wie beim Sonnenwind hauptsächlich elektrisch geladene Elektronen und Protonen sind. Sie bilden enorme Stoßwellen des Sonnenwindes, die das Erdmagnetfeld schwächen und verformen, dann unter bestimmten Bedingungen entlang der magnetischen Feldlinien in die Erdmagnetosphäre bis zur Erdoberfläche eindringen und so unser Leben beeinflussen.

Bei einer Sonneneruption wird so viel Energie freigesetzt wie bei der Explosion von Millionen Wasserstoffbomben.
Das Gift der Sonne
Die Häufigkeit der Auswürfe variiert mit der Sonnenaktivität. Die Sonnenaktivität beschreibt die Auswirkungen von Turbulenzen extrem heißer Gase in der Sonne und die damit verbundenen laufenden Veränderungen ihres Magnetfeldes. Äußeres Merkmal der Aktivität ist die Anzahl der Sonnenflecken. Das sind kühlere Stellen der Sonnenphotosphäre, die nach Materieauswürfen entstehen. Sie können sich zyklisch und azyklisch verändern. Am bekanntesten ist der elfjährige Sonnenfleckenzyklus. Koronale Massenauswürfe können nur mit speziellen Instrumenten, den Koronographen auf Satelliten, untersucht werden. Sie wurden deshalb erst 1974 entdeckt.

Wunderschön anzusehen und gleichzeitig ein Kampf weit oberhalb des Bodens: Polarlichter entstehen vor allem beim Auftreffen von Solarwinden und anderem Weltraumwetter auf das Erdmagnetfeld und Teilchen der oberen Atmosphäre.
Ein Lichtblitz – und nichts funktioniert mehr
Ein weiteres Phänomen sind Sonneneruptionen, auch Flares genannt, die mit kurzzeitig heftiger Röntgen- und Teilchenstrahlung verbunden sind, die wiederum besonders die Ionosphäre der Erde beeinflussen und so zu Störungen des Funkverkehrs führen. Außerdem werden die oberen Atmosphärenschichten der Erde erwärmt und dehnen sich aus. Einen besonders starken Flare beobachtete der britische Astronom Richard Carrington zufällig an seinem Teleskop am 1. September 1859, da Flares einen Lichtblitz hervorrufen. Knapp 20 Stunden später spielten auf der Erde die Kompassnadeln verrückt und durch den magnetischen Sturm induzierte Ströme richteten im neuen Telegrafennetz große Schäden an. Es war der erste beobachtete Flare, das Carrington-Ereignis. Aber auch die galaktische kosmische Strahlung aus der Milchstraße macht sich besonders in Zeiten geringer Sonnenaktivität bemerkbar. Die hochenergetischen Teilchen ionisieren Atome und Moleküle in der Stratosphäre und Troposphäre, was zu erhöhter Strahlenexposition in etwa 10 bis 20 Kilometern Höhe führt und damit Flugzeugpersonal und Passagiere trifft. Aber auch Astronauten sind bei längeren Aufenthalten im All betroffen. Sehr selten können extragalaktische Ereignisse wie eine Supernova das Weltraumwetter beeinflussen.

Effekte und Ursachen des Weltraumwetters grafisch dargestellt. Die Auswirkungen auf die Raum- und Luftfahrt sowie das Leben am Boden könnten gravierend sein.
Gibt es Schutz?
Normalerweise wird die Erde durch Magnetosphäre und Atmosphäre gut geschützt, sonst würde es unter dem Teilchen- und Strahlenbombardement kein höheres Leben auf diesem Planeten geben. Aber die außerordentlichen Phänomene des Weltraumwetters führen zu vielfältigen Störungen auf der Erde sowie bei Satelliten im erdnahen Raum. US-Experten gehen von 150 Satellitenausfällen pro Jahr allein bei amerikanischen Satelliten aus. Deren Elektronikkomponenten werden durch die Teilchenströme und schwankenden Magnetfelder zerstört, vor allem wenn die elektronischen Bauteile nicht strahlungsgehärtet sind. In Hochspannungsleitungen und Pipelines können hohe Ströme induziert werden, die zu Stromausfällen oder Korrosion an Erdöl- oder Gasleitungen führen. Die Industrie hat festgestellt, dass die Ausschussrate bei der Fertigung hochintegrierter Elektronikchips beim Auftreten geomagnetischer Stürme signifikant erhöht ist. Und Wissenschaftler warnen vor den Folgen eines durch Magnetstürme bedingten Ausfalls des Internets und fordern die Entwicklung von Schutzmaßnahmen. Ein massiver Magnetsturm könnte vor allem die Repeater – das sind elektronische Zwischenverstärker – von Unterwasserkommunikationskabeln lahmlegen.

Um die Sonnenaktivität besser beobachten zu können, plant die ESA die Vigil-Mission.
Mehrere Milliarden Dollar Schaden pro Tag möglich
Experten haben abgeschätzt, dass der Schaden durch einen Tag Ausfall allein in den USA sich auf sieben Milliarden Dollar belaufen würde. Die Beseitigung der Schäden könnte Wochen oder gar Monate dauern. Und die Ausdehnung der Atmosphäre beim Auftreten von Flares führt zur schnelleren Abbremsung von Satelliten und großen Strukturen wie der ISS, was durch Bahnänderungen ausgeglichen werden muss. Das sind nur einige Beispiele der negativen Phänomene des Weltraumwetters und von deren Auswirkungen. Bisher gibt es kaum Schutzmaßnahmen, und die Vorgänge auf der Sonne werden bisher nur unvollständig verstanden. Deshalb beschäftigen sich weltweit Forschungseinrichtungen mit dem Weltraumwetter, in Deutschland zum Beispiel das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen und das DLR-Institut für Solar-Terrestrische Physik in Neustrelitz.
Mehr Forschung nötig
Bei der ESA arbeitet das Space Weather Working Team (SWWT), das die Daten des Sonnenforschungssatelliten SOHO auswertet. Auf Basis dieser Daten wurde eine Software entwickelt, die Vorwarnzeiten von bis zu 74 Minuten ermöglicht. Sie wird bei Weltraumwettervorhersagen genutzt, wie sie die amerikanische Ozean- und Atmosphärenbehörde NOAA anbietet, die aber aufgrund der Forschungslage noch ungenau sind. Auch andere Industrieländer haben Warnzentren eingerichtet, so das DLR am Neustrelitzer Institut. Der nächste Schritt nach Vorhersage und Warnung ist die Entwicklung von Schutzmaß- nahmen, um Schäden zu vermeiden oder mindestens zu minimieren. Hier stehen wir aber erst am Anfang.