737 MAX 10X
Die Zukunft der Boeing 737

Während die erste 737 MAX 9 in Renton aus der Halle rollt, bringt Boeing schon die nächste Version ins Gespräch: Projektname 737 MAX 10X, die längste 737 aller Zeiten.

Die Zukunft der Boeing 737

E ine 737 MAX 10X wäre kein direkter Ersatz für die einstige Boeing 757“, stellt Keith Leverkuhn, Boeing-Vorstand und Programmchef der 737 MAX, Anfang März klar. „Es geht hier eher um maßgeschneiderte Effizienz, um die niedrigsten Kosten pro Sitzplatz auf genau definierten Strecken“, erläutert der Programmchef Boeings neuestes Vorhaben, die schon einmal verlängerte 737 MAX 9 nochmals um 1,68 Meter Rumpflänge zu strecken. Bei typischer Zweiklassenbestuhlung würden dann 189 Passagiere in die 737 MAX 10X passen. Das angehängte X bedeutet, dass dieser Entwurf bei Boeing noch nicht endgültig abgesegnet ist.

„Wir wollen so viele Gleichteile wie möglich mit der restlichen 737-Familie, deshalb behalten wir die maximale Startmasse bei, nehmen aber mehr Passagiere mit und lassen dafür die Reichweite fallen. Wir schaffen aber immer noch transkontinentale Strecken in den USA. Das ist auch für Flüge von den chinesischen Küstenstädten ins Inland Westchinas und in Indien wichtig. In Europa sind die typischen Strecken dagegen eher kürzer.“ Die volle Nutzbarkeit auch bei Hitzebedingungen und auf hoch gelegenen Flughäfen gehöre ebenfalls zu Boeings Anforderungsprofil, bestätigt Keith Leverkuhn auf Nachfrage der FLUG REVUE.

Mindestens 5700 Kilometer Reichweite ohne Zusatztank im Frachtraum und „ein paar hundert Kilometer“ mehr mit Zusatztank gelten als Zielwert. Rechnerisch wäre die 737 MAX 10X damit sogar dem Erzrivalen A321neo überlegen, wirbt Boeing. Man läge „bei gleicher Passagierzahl“ jeweils fünf Prozent unter den Sitzmeilenkosten und den Tripkosten einer A321neo. Die Europäerin kann allerdings mit maximal 240 Fluggästen zehn Passagiere mehr als die Amerikanerin befördern. Der Airbus A321neo bereitet Boeing derzeit vermutlich das meiste Kopfzerbrechen unter allen Konkurrenzmodellen, denn Boeing hat kein gleich großes Muster im Angebot. Die A321neo fährt derzeit dreimal so viele Neubestellungen ein wie die bisher größten 737-Versionen 737-900ER und 737 MAX 9 und ist auf Jahre ausverkauft.

Im Mittelfeld, bei 737 MAX 8 und A320neo, liegen die beiden Flugzeughersteller dagegen deutlich dichter beieinander. Die 737 MAX 9 noch einmal zu strecken, wäre nicht ganz einfach, denn die kompletten Rümpfe aller 737 werden bei Spirit Aero Systems in Wichita, einer früheren Boeing-Tochter, gebaut, vormontiert und von dort per Breitspur-Flachwagen zum 737-Endmontagewerk Renton bei Seattle geliefert. Noch längere Rohrümpfe als die schon fast 42 Meter lange 737-900 galten bisher als zu lang für diesen Bahntransport über gut 2000 Kilometer.

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Wie viel Rumpflänge verträgt das Muster?

Auch die Geometrie der 737 macht eine Verlängerung schwierig: Die 737 hat ein kurzes, leichtes und robustes Fahrwerk, aber nur wenig Bodenfreiheit. Wenn eine verlängerte 737 beim Abheben rotiert – je schwerer sie beladen ist, desto mehr Anstellwinkel braucht sie dabei –, kommt ihr Heck der Startbahn sehr nahe. Auch für die immer größer werdenden Turbofan-Triebwerke mit immer höherem Nebenstromverhältnis reicht der Raum unterhalb des 737-Flügels nur noch knapp aus. Schon musste Boeing beim hochmodernen LEAP-1B der 737-MAX-Familie den Triebwerksdurchmesser gegenüber der bei der A320neo verwendeten Version leicht verringern lassen. Mit einem beschleunigten Gasstrom will man etwaige Effizienzverluste gegenüber der A320neo ausgleichen. Durch eine weit nach oben und nach vorne verschobene Anordnung der neuen Antriebe wahrt die 737 MAX immerhin den gleichen Abstand zwischen Triebwerksgondel und Boden wie die 737NG.

„Der Wettbewerber hat zu viel Triebwerk mit zu großen Gondeln“, geht Keith Leverkuhn zum Gegenangriff über. „Die sind schwerer und haben mehr Luftwiderstand. Wir schaffen es mit weniger. Unsere MAX ist für den Low-Cost-Verkehr wie geschaffen.“ Laut aktueller Boeing-Werbung soll die 737 MAX 10X sogar das „profitabelste Standardrumpfflugzeug, das die Welt jemals gesehen hat“ werden.

Kurz vor dem Jahreswechsel hatte der Boeing-Vorstand die „Angebotsfreigabe“ für die 737 MAX 10X erteilt. Seitdem darf die Verkaufsabteilung den Kunden das Projekt mit verbindlichen Leistungswerten schmackhaft machen. „Wir reden mit den Kunden und holen deren Meinungen ein. Manche würden am liebsten direkt bestellen, andere zögern noch. Das ist in dieser Phase normal“, berichtet der Programmchef von den laufenden Gesprächen. Als frühestmöglichen Liefertermin einer 737 MAX 10 sieht er das Jahr 2020. Dazu bräuchte er spätestens Anfang 2018 grünes Licht. „Die Kunden mögen die Größe“, sagt Leverkuhn. Die größte MAX ziele vor allem auf große Flotten bestehender 737-Betreiber.
Als größte technische Änderung der 737 MAX 10 erwägt der Hersteller, ein teleskopartig ausfahrbares Fahrwerk einzubauen, um mehr Bodenfreiheit zu erhalten. Dieses Gesamtsystem wird noch in diesem Jahr auf Prüfständen getestet. „Das neue Fahrwerk muss in die vorhandenen Fahrwerksschächte passen“, erläutert Keith Leverkuhn die Vorgabe. „Wir testen die Kinematik dafür. Vielleicht fügen wir auch noch einen zusätzlichen Stoßdämpfer hinzu. Es gibt mehrere Varianten.“

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Renton schafft noch Höhere Produktionsraten

Boeings 737-Programm läuft derzeit auf Hochtouren: Erst am 7. März rollte die erste 737 MAX 9 in Renton feierlich aus der Endmontagehalle. Sie soll Mitte April zum Erstflug starten. Nur zwei Tage später erteilte die FAA dem ersten MAX-Familienmitglied, der 737 MAX 8, die Musterzulassung. Malindo Air in Malaysia wird wohl die ersten Liniendienste fliegen, noch vor Norwegian, die ab Mitte Mai beliefert werden. „13 MAX 8 sind schon fertig, Nummer 14 ist im Bau und auch die nächste 737 MAX 9“, sagt Leverkuhn. „Hier steht alles voller MAXen, es sieht schon aus wie bei voller Serienproduktion.“

Auf den drei Taktstraßen in Renton baut Boeing derzeit 42 Boeing 737 pro Monat, überwiegend 737NG. Bis Jahresende soll die Rate auf 47 steigen. Die Hallen würden auch für die Fertigung von 52 Flugzeugen im Monat reichen. „Renton kann physisch alles schaffen“, sagt Leverkuhn. „Wir prüfen, ob es noch irgendwo Flaschenhälse gibt, und dazu blicken wir auch nach außen“, spielt er auf die Zulieferer an. Beim ehrgeizigen Produktionshochlauf der 737NG hatte Boeing seinerzeit Lieferprobleme, die sich bei der MAX nicht wiederholen sollen. Jetzt seien aber alle Zulieferer bereit, sagt der Programmchef.

„Unser 737-MAX-Team bringt uns pünktlich zu allen Meilensteinen“, lobt Leverkuhn die Boeing-Mitarbeiter. Die ab Mitte April anstehende Flugerprobung und Zulassung der 737 MAX 9 könne Testergebnisse der MAX 8 nutzen. Es gehe nur noch um die veränderten Systeme der verlängerten Version und um deren Flugstabilität, Flugeigenschaften und Leistungswerte. 2018 soll das neueste Familienmitglied ausgeliefert werden. Bis dahin beginnt der Bau der ersten 737 MAX 7, der kürzesten MAX-Version. Nach dieser ist dann die MAX 200 an der Reihe, eine mit zusätzlichen Notausgangstüren für 200 Fluggäste ausgelegte Unterversion der neuen 737 MAX 8 für Ryanair.

„Bei der jetzigen Boeing 737 MAX 9 geht es um hohe Passagierkapazität bei sehr hoher Reichweite, für die unser Wettbewerber Zusatztanks braucht. Bei der künftigen 737 MAX 10 dagegen um noch niedrigere Sitzkosten und noch niedrigere Tripkosten. Bei diesen Werten kriegt man feuchte Augen“, schwärmt der Boeing-Ingenieur. „Ich bin optimistisch, dass wir die bauen werden.“

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FLUGREVUE 06 / 2023

Erscheinungsdatum 05.05.2023