Wenn Antonow-Chefpilot Dmytro Antonow über die An-22 Antei spricht, kommt er ins Schwärmen. Verständlich, denn die An-22 ist nicht nur das größte Turboprop-Flugzeug, das jemals gebaut wurde, sondern auch eines der faszinierendsten Fluggeräte überhaupt. Ihre vier Kusnezow NK-12-Triebwerke treiben insgesamt acht gegenläufige Propeller an und sorgen in der Luft wie am Boden für einen Klangteppich, der seinesgleichen sucht. Kilometerweit kann man das tiefe, durchdringende Brummen hören, lange bevor man die Silhouette des Flugzeugs sieht. Bis zu 15.000 PS Leistung produziert das in den 50er-Jahren von Ex-Junkers-Ingenieuren entwickelte NK-12, es ist der stärkste in Serie gebaute Turboprop-Motor aller Zeiten.
Der Sound allein aber ist nur ein Teil des Faszinosums An-22. Das Turboprop-Monster besticht vor allem durch seine Vielseitigkeit im Einsatz – es kann nahezu überall landen und starten, wie auch ihr Pilot Dmytro Antonow bestätigt: "Ob Gras, Dreck oder Asphalt, völlig egal", betont er – und muss lachen: "Es ist, glaube ich, das Flugzeug mit den größten Reifen". 14 Stück davon besitzt die Antei – zwei vorn und jeweils sechs am Hauptfahrwerk. "Wir waren mit der An-22 zum Beispiel oft in Mali, in Gao, wo es zu diesem Zeitpunkt nur eine unbefestigte, rotbraune Dreckpiste gab." Damals flog Antonov Airlines im Auftrag der UN-Mission MINUSMA Fracht nach Gao, während A400M aus Frankreich und Deutschland die holprige Runway dort aus Furcht vor Propellerschäden mieden. Die Ukrainer hatten ihre einzige im Werksbesitz befindliche An-22A eigens für den harten Job in Westafrika wieder ausgemottet – nach acht Jahren Betriebspause.
Die vergessene Riesin
Das alles ist inzwischen aber lange her, auch wenn Dmytro Antonow davon erzählt, als wäre es erst vorgestern gewesen. Inzwischen scheint die einzige zivile An-22 mit dem ukrainischen Kennzeichen UR-09307 fast vergessen – denn während alle Welt noch heute Anteil am Schicksal der berühmten An-225 Mrija nimmt, die Ende Februar 2022 in Kiew-Hostomel bei Kämpfen zwischen russischen und ukrainischen Soldaten zerstört wurde, fragt kaum jemand danach, wie es denn wohl um die – ebenfalls in Hostomel geparkte – Antei steht. Klar ist lediglich, dass die Turboprop-Antonow den russischen Angriff auf den Airport zwar in einem Stück überstand, ihr Rumpf jedoch von Geschossen durchlöchert wurde.
Reparieren? Lohnt sich nicht
Obwohl durchaus gravierend, könnte man die Schäden an der Zelle der UR-09307 womöglich reparieren – auch, weil der Frachtraum der An-22 beispielsweise keine Druckkabine besitzt. Doch dazu wird es aller Voraussicht nach nicht kommen: "Wir werden das Flugzeug nicht mehr instandsetzen", spricht Dmytro Antonow im Dialog mit der FLUG REVUE so etwas wie das "Todesurteil" für den Turboprop-Oldtimer aus. Die Ingenieure in seinem Unternehmen hätten sich dagegen entschieden. Schließlich sei die An-22, Baujahr 1974, ohnehin seit 2021 abgestellt gewesen – ohne Propeller. Die hatte mein seinerzeit nach Abu Dhabi zur Generalüberholung geschickt, was deutlich länger dauerte als eigentlich geplant. "Und wir hatten schon zu diesem Zeitpunkt nur noch eine Rest-Lebensdauer von etwa 300 Stunden offen." Danach wären wohl diverse Strukturarbeiten notwendig geworden, um die Lebensdauer zu verlängern. Auch ohne den fatalen Kriegsausbruch wäre es laut Antonow alles andere als sicher gewesen, ob man diesen Aufwand überhaupt noch auf sich genommen hätte.
Der russische Angriff auf Kiew-Hostomel setzte der Karriere der An-22 Antei somit ein ebenso vorschnelles wie jähes Ende. "Aber sie bleibt ein unfassbar beeindruckendes Flugzeug", tröstet sich Dmytro Antonow. Auch wenn er dieses Flugzeug niemals wieder fliegen können wird.