Auf ihre alten Tage steht die Boeing 747-300 der Fracht-Airline Emtrasur aus Venezuela im Zentrum eines waschechten Polit-Krimis. Dabei sollte sie am 6. Juni 2022 eigentlich nur rund 50 Tonnen Autoteile aus Mexiko-Stadt nach Argentinien fliegen. So zumindest lautete der offizielle Auftrag der heute 38-jährigen Maschine, die bis 2021 als Passagierjet zur Flotte der iranischen Mahan Air gehörte – und weltweit als letzte aktive 747-300 im Passagierbetrieb galt. Emtrasur betrieb die ursprünglich in Kombi-Auslegung gebaute Maschine zuletzt unter dem Kennzeichen YV3531 als Vollfrachter. Doch geflogen ist die YV3531 seit dem besagten Tag im Juni 2022 nicht mehr. Denn die argentinischen Behörden halten den Oldtimer-Jumbo auf dem Flughafen Buenos Aires-Ezeiza fest. Bis heute.
Die USA wollen den Jumbo
Das könnte sich bald ändern – wenn auch nicht so, wie die Venezolaner es gern hätten. Denn ein argentinisches Gericht ordnete nun an, den 2021 in Teheran zum Frachter umgebauten Jumbo-Jet in die Obhut der USA zu übergeben. Dies vermelden mehrere Medien unter Berufung auf Argentiniens Justizministerium. Nach Erledigung der erforderlichen Wartungsarbeiten soll die YV3531 demnach aus eigener Kraft Richtung Nordamerika aufbrechen.
Mit dem Beschluss kam das Gericht unter der Führung von Richter Federico Villena einer Forderung des US-Justizministeriums vom Sommer 2022 nach, die 747-300 zu beschlagnahmen. Grundlage hierfür ist laut US-Regierung ein Verstoß gegen das Exportkontrollgesetz der USA. Mahan Air habe "im oder um den Oktober 2021 gegen die vorläufige Verbotsverfügung und die US-Ausfuhrkontrollgesetze verstoßen, als sie Emtrasur ohne Genehmigung der US-Regierung den Besitz und die Kontrolle über das Boeing-Flugzeug übertrug", hieß es aus Washington. Diese Genehmigung hätten die USA aber ohnehin kaum erteilt – belegen sie doch sowohl den Iran als auch Venezuela seit Jahren mit massiven Sanktionen.
Caracas spricht von "Raub"
In Venezuela ist man ob der jüngsten Wendung entsprechend erzürnt. Dort war die Festsetzung der Emtrasur-Maschine seit jeher ein Politikum, das sogar Demonstrationen nach sich zog, bei denen Teilnehmer die Herausgabe "ihres" Flugzeugs verlangten. Das Parlament in Caracas forderte bereits im Juni 2022 in einer einstimmig verabschiedeten Resolution die Freisetzung der 747. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro sprach in dem Zusammenhang mehrfach von "Diebstahl" und "Raub". Nun schob er nach, die argentinische Justiz mache sich zum Handlanger "imperialer Interessen" und kündigte an, sämtliche Möglichkeiten des internationalen Rechts auszuschöpfen, um die Überführung der 747-300 an die Vereinigten Staaten zu verhindern. Außerdem warnte Maduro, seine Regierung werde "jede rechtswidrige Maßnahme, die den Überflug und die Unterstützung zur Vollendung dieses Diebstahls ermöglicht", als "feindselige Handlung" bewerten.

Die Boeing 747-300M von Emtrasur wurde 1986 gebaut und flog zunächst für UTA aus Frankreich, später für Air France. 2007 kam sie zu Mahan Air nach Teheran.
Wie alles begann
Das letzte Kapitel im Drama um die einzige aktive 747-300 scheint also noch nicht geschrieben. Die Hintergründe der ganzen Geschichte sind derweil einigermaßen komplex. Die YV3531 hatte auf ihrer (bislang) letzten Reise aus Mexiko zunächst einen Zwischenstopp in Venezuelas Hauptstadt Caracas eingelegt. An ihrem Zielflughafen Ezeiza konnte sie anschließend wegen Nebels vorerst nicht landen, musste nach Córdoba ausweichen und gelangte erst im zweiten Anlauf nach Buenos Aires. Argentinischen Angaben zufolge legte die Jumbo-Crew die fragliche Strecke mit ausgeschaltetem Transponder zurück – und weckte so den Argwohn der Behörden. Die nahmen das Flugzeug deshalb in Buenos Aires unter die Lupe, inspizierten die Ladung und: fanden nichts Ungewöhnliches.

Emtrasur stellte die 747-300 Anfang 2022 als Frachter in Dienst. Vor der Festsetzung in Buenos Aires war der Jumbo unter anderem in Aruba, Belgrad, Havanna, Mexiko-Stadt, Moskau und Teheran aufgetaucht.
Fünf Iraner mit an Bord
Allerdings stolperten die Kontrolleure über den Umstand, dass sich an Bord der YV3531 19 Personen befanden – 14 Venezolaner und fünf Iraner. Eine ungewöhnlich hohe Zahl für einen Frachtflug, zumal die iranischen Insassen sich laut argentinischen Medienberichten auf keiner Passagierliste wiederfanden. Emtrasur, eine Staats-Airline mit Sitz auf der Luftwaffenbasis "El Libertador" in Maracay, argumentierte später, die Iraner seien als Ausbilder an Bord gewesen – schließlich habe man die 747-300 erst wenige Monate zuvor von Mahan Air übernommen und sei noch dabei gewesen, eigenes Personal für den Betrieb des "neuen" Musters zu rekrutieren und zu schulen. Tatsächlich suchte die – ebenfalls in venezolanischer Staatshand befindliche – Passagier-Airline Conviasa noch Ende Mai 2022 via Twitter Cockpit-Personal für ihre eigene A340-Flotte, sowie ausdrücklich auch für die Boeing 747.
Der Pilot im Fokus
Für die argentinische Seite roch die Sache dennoch schnell nach unlauteren Machenschaften – zumal dem iranischen Kapitän und Fluglehrer Gholamreza Ghasemi Verbindungen zur Quds-Brigade nachgesagt wurden. Woher die Argentinier diese Information hatten, ist nicht ganz klar. Die Quds-Brigade aber ist eine Eliteeinheit der Iranischen Revolutionsgarde, spezialisiert auf Auslandsoperationen. Die USA listen sie offiziell als terroristische Organisation. Der Verdacht lag also auf der Hand: Argentinische Politiker, etwa der Abgeordnete Gerardo Milman, attestierten den persischen Besatzungsmitgliedern wenig später öffentlich, "Angriffe auf menschliche Ziele" geplant zu haben. Das Flugzeug sei überdies zur logistischen Unterstützung terroristischer Aktionen missbraucht worden. Im weiteren Verlauf der Untersuchungen ließen sich diese Vorwürfe allerdings nicht erhärten.

Die heute als YV3531 registrierte 747-300 wurde bis Ende 2021 in Teheran zum Frachter konvertiert - im Rahmen eines D-Checks.
Kein Sprit für diesen Flieger
Trotz der im Raum stehenden Ungereimtheiten durfte die YV3531 den Flughafen Ezeiza zunächst wieder verlassen und hob am 8. Juni 2022 auch tatsächlich ab – kam allerdings nicht weit. Denn da sich in Buenos Aires keine Firma bereiterklärt hatte, die 747-300 aufzutanken, hatte die Crew einen Tankstopp in Uruguays Hauptstadt Montevideo eingeplant. Uruguays Flugsicherung aber verweigerte dem venezolanischen Frachter kurzfristig, in ihren Luftraum einzufliegen – auf Geheiß der Regierung, die sich auf "Warnungen ausländischer Geheimdienste" berief. Mangels Kerosinreserven musste die 747-300 daraufhin nach Ezeiza zurückkehren. Dort stellten die Behörden alle 19 Besatzungsmitglieder vorläufig unter Arrest, zogen die Pässe der fünf Iraner ein und setzten das Flugzeug fest. Das Gros der Crew kam im September 2022 wieder auf freien Fuß – drei Iraner und zwei Venezolaner durften Argentinien erst Mitte Oktober Richtung Caracas verlassen.

Die letzten Besatzungsmitglieder des Emtrasur-Fluges durften erst Mitte Oktober 2022 nach Caracas ausreisen. Hier wird der iranische Kapitän Gholamreza Ghasemi nach seiner Ankunft in Venezuela begrüßt.
Willkürakt oder rechtmäßiger Vorgang?
Beweise für die im Raum stehenden Vorwürfe konnten die Ermittler keine liefern. Auch die Frage, welche Informationen aus welcher Quelle in Buenos Aires zur Festnahme der Crew und zur Konfiszierung des Flugzeugs führten, ist nicht einwandfrei geklärt. Bleibt also zu klären, wer der rechtmäßige Eigentümer der Maschine ist. Venezuelas Regierung betont, man habe längst den "legalen und legitimen Besitz" der 747 nachgewiesen, die man überdies für den "Transport grundlegender Güter" benötige. Die USA dagegen beharren auf ihrem Standpunkt – und erhielten nun juristischen Rückenwind von Argentinien, das sich unter der neuen Regierung von Präsident Javier Milei ausdrücklich Washington zuwendet.
Der Finanzchef von Emtrasur Mario Arraga, der am 6. Juni 2022 selbst als Besatzungsmitglied in der Maschine mitflog, sieht in dem Fall einen Willkürakt der Justiz, der jeder rechtlichen Grundlage entbehre. Ein Verfahren hätte gar nicht erst eingeleitet werden dürfen, so seine (wenig überraschende) Sicht der Dinge. "Jeder Einzelne von uns musste 200 Beweisstücke für seine Unschuld vorlegen", führte Arraga im Oktober 2022 gegenüber dem Portal euronews weiter aus. "Die Tatsache, dass fünf iranische Ausbilder an Bord waren, bedeutet nicht, dass wir ein Verbrechen begehen wollten. Venezolaner würden niemals hierher zum argentinischen Bruder kommen, um etwas Illegales zu veranstalten. Definitiv nicht."

Was passiert jetzt mit der letzten aktiven Boeing 747-300? Venezuela will sich gegen eine Überführung in die USA zur Wehr setzen.
Was kommt als Nächstes?
Wie es weitergeht mit der venezolanischen 747-300, könnten die kommenden Wochen zeigen. Eins scheint aber klar: Sollte sie wirklich in die USA gelangen, dürfte dort nur noch der Schlachter auf sie warten. Eine Verwendung für den Oldtimer hat man in den Staaten jedenfalls eher nicht.
Hinweis:
In der Originalversion des Artikels hieß es, die YV3531 sei die weltweit letzte aktive Boeing 747-300. Das stimmt nicht, wie uns ein aufmerksamer Leser korrekt mitteilte. In Weißrussland ist mit der EW-465TQ noch eine weitere 747-300 registriert, die ebenfalls als Umbaufrachter für die Airline Transaviaexport unterwegs ist. Sie wurde 1990 gebaut, flog zunächst für Sabena aus Belgien und erhielt im Jahr 2000 ihre Konvertierung zum Frachter.