Chinas neuer Zweistrahler
Erstflug: COMAC C919

Mit dem Erstflug seines ersten modernen Passagierflugzeugs aus eigener Entwicklung unterstreicht China den Anspruch auf eine größere Rolle im globalen Flugzeugbau.

Erstflug: COMAC C919

Gespenstische Stille herrschte am sonst geschäftigen Flughafen Shanghai-Pudong am Mittag des 5. Mai. Kurzzeitig ruhte der Flugbetrieb am Drehkreuz mit seinen vier Startbahnen – zugunsten eines kleinen Zweistrahlers mit blauem Rumpfband und grünem Heck: Chinas erster moderner Passagierjet, die COMAC C919, machte sich zum Erstflug bereit. Mindestens fünf Kilometer Sicht und eine nicht zu niedrige Wolkenuntergrenze hatten die Behörden für den Erstflug verlangt.

Um Punkt 14 Uhr setzt COMAC-Testpilot Kapitän Cai Jun – groß, durchtrainiert und mit Bürstenhaarschnitt und Sonnenbrille wirkt er wie das Klischee eines Testpiloten – vollen Startschub an beiden LEAP-1C-Triebwerken. Der mit 10 300 Flugstunden erfahrene Kapitän bringt das neue Verkehrsflugzeug in der Größe von Boeing 737 und Airbus A320 auf der Startbahn 4 des Flughafens zur Abhebegeschwindigkeit.

Sanft erhebt sich der Zweistrahler in den diesigen Himmel und steigt bald durch die dünne Wolkendecke in den Testflugraum vor der Küste, nordöstlich des Flughafengeländes. Live-Fernsehbilder einer Cockpitkamera zeigen Cai Jun beim ständigen konzentrierten Steuern mit feinen Bewegungen am Sidestick und an den Seitenruderpedalen. Offenbar war am Anfang die elektronische Flugsteuerung noch nicht eingeschaltet, sondern das Flugzeug wurde zunächst noch rein manuell dirigiert. „Direct law“ würde man bei einem Airbus sagen.

Mit wechselnden Schräglagen tastete sich die fünfköpfige Besatzung äußerst vorsichtig an die typischen Erstflugmanöver heran: Langsamflug, Schnellflug, simulierte Landeanflüge. Fahrwerk, Vorflügel und Landeklappen blieben während des gesamten 79-minütigen Erstflugs ausgefahren, um jegliche Risiken auszuschließen. Testpilot Cai Jun hatte sich das Systemdisplay auf den Bildschirm neben dem primären Fluglage­display geschaltet – dorthin, wo sonst die Navigationsdaten gezeigt werden – und somit sämtliche Ruderausschläge und Systemdaten ständig im Blick.

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China ließ Testpiloten in den USA ausbilden

COMAC-Ingenieure in der Messwarte verfolgen den Erstflug auf Bildwänden und Datenmonitoren. Foto und Copyright: COMAC

In ihren feuerfesten, orangefarbenen Overalls und mit Schwimmweste, aber ohne angelegte Helme, Fallschirme und Kopfhörer fliegend, machte die Besatzung einen relativ entspannten Eindruck. Bei einer Flughöhe von höchstens 3000 Metern hatte COMAC für den Erstflug der C919 noch keine Aktivierung der Druckkabine vorgesehen.

Gegen 15.20 Uhr setzte der nagelneue Zweistrahler mit der Registrierung B-001A wieder sanft in Shanghai auf und rollte vor die direkt neben der Startbahn in einem von Baustraßen durchbrochenen Brachland aufgebaute Ehrentribüne. Von dort aus hatte Chinas Vize-Premier Ma Kai zusammen mit hunderten Premierengästen den Flug verfolgt.

Als „sehr glatt“ und „absolut zufriedenstellend“ beschrieb Testpilot Cai Jun seine Eindrücke vom Erstflug. Der stellvertretende Staffelführer des Flugtestzentrums hatte seine fliegerische Karriere nach einem Luftfahrtmanagement-Studium an der TU Shanghai begonnen, wo er die Zulassungstests zur Pilotenausbildung bei China Eastern Airlines bestand. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen wechselte er als erfahrener Kapitän im Mai 2011 zu COMAC und wurde von dort 2012 zur Testpilotenausbildung in die USA entsandt. Als Testpilot ist er auch stark in die Entwicklungsarbeit eingebunden und führte die COMAC ARJ21-700 im November 2014 auf der Zhuhai Air Show im Flug vor. Seitdem baute er eine eigenständige Flugtestabteilung auf, die sich bereits systematisch auf die Flugtests mit höherem Risiko vorbereitet.

Beim Erstflug waren neben einem Copiloten und einem Beobachter im Cockpit noch zwei Ingenieure in der Kabine an Bord. Eine komplette Austauschmannschaft hätte kurzfristig als Ersatz bereitgestanden, falls die erste Crew gesundheitlich nicht voll flugtauglich gewesen wäre

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Westliche Partner sind mit an Bord

Ebenfalls eine Premiere: Das chinesische Fernsehen übertrug einen Erstflug live aus dem Cockpit. Foto und Copyright: COMAC

Die Bezeichnung C919 wurde mit Bedacht gewählt: Das C steht für China wie auch für dessen Flugzeugbauer COMAC, die erste Ziffer 9 im Chinesischen für „Langlebigkeit“ und die folgende 19 für eine Flugzeuggröße bis zu 190 Passagieren bei Maximalbestuhlung. Das Verkehrsflugzeug ist Chinas erster vollständig im eigenen Land entwickelter Zweistrahler. Vom einstigen groben Kopierer, wie etwa bei der samt Triebwerken eng an der Boeing 707 angelehnten, vierstrahligen Y-10, dann als Lizenznehmer, später auch als Erbauer stärker veränderter Varianten entwickelte sich das ehrgeizige China zum unabhängigen Flugzeugproduzenten und versucht mit der C919 zur westlichen Weltspitze aufzuschließen. Dafür setzt man auf ein Netzwerk westlicher Zulieferer und Partner, die im Gegenzug auf Zugang zu einem der wichtigsten Flugzeugmärkte der Zukunft hoffen.

Mit einem Bedarf für 6810 neue Verkehrsflugzeuge mit über 100 Sitzen im Wert von einer Billion Dollar rechnet beispielsweise US-Branchenriese Boeing in den nächsten 20 Jahren in China. Der Großteil dieser Jets, 75 Prozent, entfalle auf Standardrumpfflugzeuge, also genau auf die Größe der C919. Deren stell-
vertretender Programmchef Fu Guohua sagte, China hoffe über die Programmlaufzeit von etwa 20 Jahren auf „mindestens“ 2000 Verkäufe seines Zweistrahlers. COMAC meldet bereits Bestellungen für 570 Flugzeuge von 23 chinesischen Kunden. Erstkunde ist China Eastern.

Unterdessen feierte die chinesische Presse auch den Prestigegewinn durch den eigenen Entwurf. Die C919 sei der „Traum von 1,4 Milliarden Menschen“. Parteichef Xi Jinping habe schon 2014 bei einem Besuch der C919-Endmontage gesagt, mit einem erfolgreichen Jungfernflug beweise man der Welt Chinas Sprung vom reinen Fertigungsstandort zur rundum kompetenten Entwicklungsnation. „Besser selber bauen als kaufen oder mieten“, hatte der KP-Chef als Losung vorgegeben.

Bei allem Stolz auf die Entwicklung der eigenen Industrie baut China auch bei der C919 auf eine enge Kooperation mit westlichen Partnern. Herausragendste „Zutat“ sind die westlichen Triebwerke, modernste LEAP-1C von CFM Interna-tional. Sie sind nicht nur sehr sparsam, sondern erfüllen auch strengste westliche Lärm- und Umweltstandards.

Mit ihrer leicht verbreiterten Kabine soll die C919 bei einer Sitzanordnung 3+3 (Economy Class) oder 2+2 (Business Class) komfortabler sein als ihre westlichen Konkurrenten. Der 38,9 Meter lange Passagierjet mit „Sharklets“ und 36 Metern Spannweite kann mit maximal 72,5 Tonnen Startmasse 158 Passagiere über Strecken von 4075 bis 5555 Kilometer befördern. Die Kabine wirkt mit ihrem elegant fließenden Design, selbst die Lüftergitter im Fußraum sind als Ziermuster ausgeführt, und mit großen, weit zurückschwenkenden Hand­gepäckfächern westlich modern.

Die chinesische Regierung erklärte nach dem Erstflug, dieser markiere Chinas Eintritt in den globalen Luftfahrtmarkt. China erhofft dank niedrigerer Kosten, eine „nackte“ C919 um etwa 20 Prozent billiger verkaufen zu können als die Konkurrenzmuster A320neo oder 737 MAX. Zwischen 70 und 80 Millionen Dollar werden schon als möglicher Verkaufspreis genannt, sofern die C919 tatsächlich in zwei bis drei Jahren zugelassen und lieferbar sein sollte

Westliche Partner der C919

Parker Aerospace: Flugsteuerung, Hydrauliksystem, Kraftstoffsystem
Eaton: Cockpitpanels, Cockpitbeleuchtungssteuerung
CFM International: Triebwerke
Liebherr: Fahrwerk
UTC: Beleuchtung, Brandschutz, Notstromsystem
FACC: Cockpit, Kabineneinrichtung, Küchen, Toiletten
Honeywell: Flugsteuerung, Räder, Bremsen, Hilfsgasturbine, Navigationssystem
General Electric: Wartungsdatenerfassung, Flugdatenaufzeichnung
Arconic: Rumpfhäute, Schmiedeteile

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