Noch vor wenigen Jahren lieferte Embraer 90 bis 108 Regionaljets, doch 2020 und 2021 gab es Einbrüche auf 44 beziehungsweise 48 Flugzeuge pro Jahr. Entsprechend schrumpfte der Umsatz auf 3,7 beziehungsweise 4,2 Milliarden Euro. Hinzu kam, dass Boeing im April 2020 eine geplante Übernahme des Zivilbereichs platzen ließ und erfahrene Manager das Unternehmen verließen – zusammen mit der Corona-Pandemie schwere Bürden für das erfolgsgewohnte Unternehmen. Das neue Management unter Firmenchef Francisco Gomes Neto hat deshalb einen Fünfjahresplan "Fit for growth" (Fit für Wachstum) gestartet, vor allem, um von der erwarteten Erholung im Airliner-Geschäft zu profitieren.
Kein höherer Absatz trotz Betriebskostenvorteil
Hier hat Embraer mit seinen großen Regionaljets E190-E2 und E195E-2 eigentlich sehr attraktive Angebote – jedenfalls verweist man auf die exzellenten Umwelteigenschaften sowohl beim Lärm als auch beim Verbrauch. Der Betriebskostenvorteil (Cash Operating Costs) einer E195-E2 gegenüber einer A220-300 soll bei elf Prozent liegen und immer noch bei drei Prozent pro Sitz (E195-E2 120 Sitze, A220-300 130 Sitze). Die E190-E2 mit 97 Sitzen fliegt ebenfalls etwa acht Prozent günstiger als eine A220-100 mit 107 Sitzen, so Embraer, und deshalb könnten die Fluggesellschaften ihr Angebot sehr flexibel der Nachfrage anpassen.
Trotz dieser attraktiven Zahlen verkaufen sich die E2-Jets allerdings im Vergleich zur etwas größeren A220 von Airbus (ehemals CSeries von Bombardier) nicht besonders gut (nur 221 Festbestellungen für Embraer, über 770 für Airbus). Vor allem hat Airbus auch große Airlines wie Delta an der Angel (107 Bestellungen), während Embraer mühsam kleinere Stückzahlen an weltweit verstreute Regionalairlines verkaufen muss. Größte Betreiber der E195-E2 sind derzeit KLM und Helvetic mit jeweils einem Dutzend Flugzeugen und Azul mit neun Maschinen. Zum neben der Leasinggesellschaft AerCap (50) und Azul (51) größten Kunden aufgeschwungen hat sich Porter Airlines aus Kanada, die nach einer ersten Bestellung im April 2021 auf der jüngsten Farnborough Airshow im Juli einen Vertrag für 20 weitere E195-E2 im Listenpreiswert von 1,56 Milliarden Dollar (1,51 Mrd. Euro) verkündete und damit auf eine Flotte von 50 Flugzeugen (plus 50 Kaufrechte) kommt. Die Auslieferungen sollen demnächst beginnen. Kürzlich unterzeichnete der Low-Cost Carrier im Oman SalamAir eine Festbestellung über sechs Embraer E195-E2 mit Optionen für weitere sechs Flugzeuge.

Hoffnung auf US-Markt
Embraer hofft, dass mit Porter als Vorzeigekunde das Interesse an den großen E-Jets in Nordamerika zunimmt. Dort passen die Jets nicht in die ScopeClauses für Regionalairlines (76 Sitze), die für große Fluggesellschaften als Zubringer agieren. Deshalb wurde die Entwicklung der E175-E2 auch auf Eis gelegt. Immerhin verkauft sich die ältere E175 mit CF34-Triebwerken in den USA immer noch gut. Ebenfalls in Farnborough orderte Alaska Air zum Beispiel acht E175 (plus 13 Optionen) für den Einsatz bei Horizon Air. Sie sind mit zwölf Erste-Klasse-Sitzen, zwölf Premium-Economy-Sitzen und sechsundfünfzig Economy-Sitzen ausgestattet und sollen ab 2023 über vier Jahre ältere Dash 8/Q400-Turboprops ersetzen. Von den E-Jets der ersten Generation hat Embraer somit 1779 verkauft, von den E2, wie oben erwähnt, bisher nur 221, womit man nun die 2000er-Marke erreicht hat.
Aber von diesen Lorbeeren kann man sich in Zukunft nichts kaufen, und deshalb wird weiter an der E2 gearbeitet. Im Anschluss an die Farnborough Airshow landete die E195-E2 beispielsweise zum ersten Mal auf dem London City Airport, der ein Steilanflugverfahren verlangt. Der Besuch erfolgte im Hinblick auf die Zulassung des Flugzeugs für den Flughafen Ende dieses Jahres und umfasste Tests der Bodenabfertigung sowie weitere Vorbereitungen für den ersten Linienflug des Flugzeugs nach LCY, der kurz nach der Zulassung wahrscheinlich von KLM durchgeführt wird.

SAF-tauglicher Turboprop
Ein wichtiger Test mit der E195-E2 war zuletzt auch der erste Flug, bei dem eines der GTF-Triebwerke von Pratt & Whitney mit 100 Prozent SAF betrieben wurde. "Dieser Test zeigt, dass die E2-Modelle für eine 100%ige SAF-Zertifizierung und den Betrieb bereit sind, sobald die Industrie die Standards festgelegt hat", sagte Rodrigo Silva e Souza, Vice President of Strategy and Sustainability, Embraer Commercial Aviation. Das Flugzeug absolvierte zwei Tage lang Bodentests auf dem Fort Lauderdale International Airport. Anschließend fand ein 70-minütiger Flugtest, ausgehend vom Vero Beach Regional Airport in Florida, statt. Bei dem von Embraer und Pratt & Whitney verwendeten SAF handelte es sich um 100 Prozent hydroprozessiertes Ester- und Fettsäure-Synthetik-Kerosin (HEFA-SPK), das von World Energy erworben wurde. HEFA-SPK ist ein spezieller Kraftstoff aus hydriertem erneuerbarem Rohmaterial, der in der Luftfahrt verwendet wird und von der Commercial Aviation Alternative Fuels Initiative (CAAFI) aufgrund der Nachhaltigkeit seines Rohmaterials als führender alternativer Ersatz für herkömmliches Kerosin angesehen wird.
SAF-tauglich von Anfang an wird der neue Turboprop von Embraer werden, dessen Programmstart nun näher rückt. In Farnborough verkündete der Hersteller jedenfalls stolz, dass man inzwischen "weit über 250" Interessensbekundungen von Fluggesellschaften (nicht Leasingfirmen) aller Art aus der ganzen Welt vorliegen hat. Somit steigen die Chancen auf einen Entwicklungsbeginn im ersten Halbjahr 2023 und erste Lieferungen ab 2028, wobei man sich zur Finanzierung und möglichen Programmpartnern in Schweigen hüllt. Vorher muss erst einmal noch in diesem Jahr ein Triebwerksmuster ausgewählt werden. Angebote gibt es wohl von Pratt & Whitney und Rolls-Royce, ohne dass genaue Spezifikationen bekannt sind. Windkanalversuche laufen derzeit.

Neuer HighTech-Turboprop
Der Embraer-Turboprop der neuen Generation soll in Varianten für 70 und 90 Passagiere auf den Markt kommen und damit etwas über der ATR 72 angesiedelt sein, die momentan eine Monopolstellung hat und für die der Hersteller Anfang der 2030er-Jahre ein großes Update mit Hybridkomponenten im Antrieb verspricht. Davon lässt sich Embraer aber nicht beirren, denn man sieht durchaus noch ein großes Zeitfenster für ein konventionell angetriebenes Produkt. Wichtig ist natürlich eine exzellente Wirtschaftlichkeit (15 Prozent geringere Betriebskosten pro Passagier als die ATR 72), aber auch ein hervorragender Passagierkomfort auf dem Niveau der E2-Jets soll den Absatz erleichtern. Gerade in den USA, wo man Propellerflugzeugen bisher sehr skeptisch begegnete, wäre der entsprechend bestuhlte neue Turboprop ein auch im Hinblick auf den Umweltschutz interessanter Ersatz für 50-sitzige Regionaljets, so Embraer. Der CO2-Ausstoß soll um mindestens 30 Prozent geringer ausfallen.
Bei dem neuen Modell, dessen Triebwerke an den Heckseiten montiert sind, will Embraer eine Kabinengröße mit Gepäckfächern wie bei den E2-Jets bieten, allerdings mit einem neuen, sehr leichten Rumpf (weniger Druckbelüftung bei geringerer Flughöhe). Die nun geraden Tragflächen aus Aluminium sind für kürzere Flugstrecken optimiert. Embraer sieht in seiner Marktprognose bis 2040 einen Bedarf für 2280 Turboprops weltweit, knapp über 40 Prozent davon in Asien, 22 Prozent in Europa und 17 Prozent in Nordamerika.