10.845 Kilometer trennen die Metropolen London und Singapur. Auch im Zeitalter der Ultralangstreckenflüge keine kurze Reise. Heute werden solche Distanzen problemlos nonstop bewältigt. Vor wenigen Jahrzehnten sah das noch ganz anders aus. Von fünfstelligen Distanzen brauchte man damals gar nicht erst zu träumen. Stattdessen legten die Flieger im Laufe einiger Tage viele kleine Legs zurück, um sich langsam ihrem Ziel entgegenzuarbeiten.
Eine solche Verbindung bot auch die "British Overseas Airways Corporation" (BOAC) an. Anfang der 50er-Jahre modernisierte die legendäre britische Airline ihre Flotte so hielt auch ein ganz besonderes Flugzeug Einzug: die de Havilland DH-106 Comet, das erste Jet-Verkehrsflugzeug der Welt. Die vierstrahlige Maschine bot in der sich schnell entwickelnden zivilen Luftfahrt eine bis dahin einmalige Kombination aus Schnelligkeit, Flughöhe und Zuladung. Ein Startgewicht von über 73 Tonnen war möglich, was die Mitnahme von gut 100 Passagieren erlaubte. Die erste Comet von BOAC trat am 2. Mai 1952 ihren Dienst an. Die liebevoll nur "Yoke Peter" genannte Maschine mit der Registrierung G-ALYP wurde der Südostasien-Route zugewiesen.

Die de Havilland Comet war der erste Jetliner der Welt. Entsprechend stolz war man in Großbritannien, und besonders bei BOAC, auf das bahnbrechende Flugzeug.
Fast am Ziel
Nach einer langen Reise von Singapur über den indischen Subkontinent sowie den Mittleren Osten kam "Yoke Peter" Anfang Januar 1954 in Italien an. Dieser Stopp sollte der letzte vor dem finalen Flug nach London sein. Am 10. Januar 1954 erhob sich der Jet in den Himmel über Rom und drehte nach Nordwesten. Knapp 20 Minuten und 160 Kilometer später flog die Comet auf Elba zu. Um 11:51 Uhr Ortszeit funkte Captain Alan Gibson an einen BOAC-Kollegen, welcher kurz vor ihm in Rom gestartet war: "Did you get my..". Der Funkspruch riss abrupt ab. Versuche des angesprochenen Kollegen sowie der Flugsicherung, Gibson und seine G-ALYP zu erreichen, blieben erfolglos.
Feuer über dem Meer
Ein italienischer Fischer, der mit seinem Trawler gerade südlich von Elba unterwegs war, hörte mehrere Explosionen über sich. Er sah, wie die G-ALYP etwa 20 Kilometer von der Küste entfernt ins Meer stürzte. Beziehungsweise, das was von der Maschine zu diesem Zeitpunkt noch übrig war: Die Comet war in der Luft zerrissen worden, die fallenden Trümmer brannten lichterloh und zogen schwarze Fäden aus Rauch hinter sich in die Tiefe. Es war klar, niemand an Bord konnte dieses Ereignis überlebt haben. Die zerschmetterten Körper, welche im Meer sowie an den Stränden gefunden wurden, bestätigten diese Vermutung. Doch was riss die 29 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder in den Tod?

Dieses Bild zeigt alle von G-ALYP wiedergefundenen Teile, welche anschließend wie ein Puzzle zusammengesetzt wurden.
Die naheliegendste Vermutung angesichts des abrupten Abreißens der Funkübertragung sowie der brennenden, herabfallenden Trümmer war, dass der Flug Opfer eines Bombenanschlages geworden war. Als nach einigen Wochen schließlich größere Trümmer gefunden und geborgen werden konnten, ließ sich diese Hypothese allerdings schnell entkräften. Flugzeuge, die durch Sprengstoffexplosionen zerstört werden, weisen eindeutige Merkmale auf. Eines davon sind Einschlaglöcher: Selbst wenn die Bombe an sich aufgrund ihrer Bauart keine oder kaum Schrapnell-Wirkung hat, werden die sie umgebenden Flugzeugteile bei der Explosion so stark beschleunigt, dass sie in die Flugzeugstruktur, -haut und in die Körper der Passagiere einschlagen. Dies war hier eindeutig nicht der Fall gewesen.
Und dennoch: G-ALYP war explodiert. Etwas hatte das Flugzeug plötzlich und mit ungeheurer Kraft auseinandergerissen.
Pech oder ominöser Vorbote? Crash in Kalkutta
Eine böse Ahnung wuchs in den Ermittlern. G-ALYP war nicht die erste Comet, die die BOAC verloren hatte: Nicht einmal ein Jahr vorher, am 2. Mai 1953, genau ein Jahr nach Indienststellung der Comet, war bereits eine Schwestermaschine abgestürzt: die G-ALYV. Der Jet war, ebenso wie die "Yoke Peter", auf dem Weg von Singapur nach London. Nach der Landung in Kalkutta startete die Maschine gegen 16:20 Uhr in den Himmel, und nahm Kurs auf Neu-Delhi. Fünf Minuten später riss der Funkkontakt ab: G-ALYV war abgestürzt. Die Ursache ist aus heutiger Sicht nur schwer mit absoluter Sicherheit festzulegen, Fakt ist aber: Auch G-ALYV war noch in der Luft zerbrochen. Dies spiegelte sich im Trümmerfeld wider. Da zum Zeitpunkt des Absturzes aber extreme Gewitter über die Region zogen, wurde die Untersuchung recht schnell beendet. Damaliges Fazit: Übermäßiges Gegensteuern der Piloten während des Sturms hatte die Flugzeugstruktur zu stark belastet. Ein Pilotenfehler also. Die Comet galt damit für die Aufsichtsbehörden weiterhin als sicheres Flugzeug. Womöglich eine fatale Fehlinterpretation der Ereignisse, wie sich angesichts des Schicksals von "Yoke-Peter" nun zeigte.

Hier ist G-ALYU im Wassertank zur Untersuchung zu sehen. Der Rumpf wurde komplett mit Wasser umschlossen und durchlief anschließend mehrere tausend Druckzyklen.
Zehn Wochen Ruhe
Nach dem Absturz von "Yoke Peter" wurden alle Comets gegroundet und ein großer Versuchstand aufgebaut: eine weitere Comet der BOAC, die G-ALYU ("Yoke Uncle"), wurde in einem Wasserbecken versenkt. Durch Erhöhen und Absenken des Wasserdruckes ließen sich so die Bedruckungszyklen der Jets im Einsatz schnell reproduzieren: knapp zehn Minuten dauerte die Simulation eines Drei- Stunden-Fluges.
Doch in den nächsten Wochen passierte nichts auf dem Teststand und langsam gingen den Verantwortlichen die Ansatzpunkte aus. Schließlich entschied man sich nach knapp zweieinhalb Monaten dafür, die Comets wieder in die Luft steigen zu lassen. Doch schon am 8. April 1954, keine drei Monate nach dem Crash von "Yoke Peter", verunfallte die nächste Comet Mk. 1. Diesmal traf es eine Maschine, die im Charter für South African Airways unterwegs war – und wie es der Zufall wollte, erneut nach dem Start in Rom. Die G-ALYY ("Yoke Yoke") war mit sieben Besatzungsmitgliedern und elf Passagieren besetzt und sollte über mindestens einen Zwischenstopp in Kairo bis nach Johannesburg fliegen. Doch auch sie zerbrach plötzlich in der Luft. Niemand an Bord überlebte.
Ein Durchbruch in den Ermittlungen
Es musste also einen tiefen, technischen Fehler in der Konstruktion der Comet geben. Die Royal Navy versuchte zusammen mit italienischen Fischern möglichst viele Trümmer zu heben, doch die gefundenen Teile lieferten keine Hinweise. Bis, einige Wochen später, ein buchstäblicher Durchbruch die Spur konkretisierte: Die "Yoke Uncle" im Wassertank war geplatzt! Obwohl die Ingenieure die Zelle der Comet auf 18.000 Flüge ausgelegt hatten, versagte die Flugzeugstruktur deutlich schneller.
Ein echter Vorwurf ist daraus nicht abzuleiten. Als die Comet in den frühen 50er-Jahren entwickelt und gebaut wurde, hatte man zwar schon ein Verständnis von Materialermüdung, aber es fehlte eine detaillierte Vorstellung davon, wie bestimmte konstruktive Entscheidungen diese beeinflussen würden.
Stanzen oder Bohren?
Bei der Untersuchung des geplatzten Rumpfes aus dem Wassertank fanden die Ermittler zwei ausgeprägte Riss-Gebiete: das erste entlang eines Fensters im Frontbereich der Kabine, das zweite auf der Oberseite rund um den Ausschnitt für den Radiokompass (ADF), wo sich eine große Anzahl an Haarrissen gebildet hatte. Detaillierte Untersuchungen an den Teilen brachten schließlich Licht ins Dunkel der drei Abstürze. Im Endeffekt ergaben sich drei einzelne Ursachen, die zusammengenommen fatal waren. Erstens: die Niete. Bei der Comet wurden die Nietlöcher, für das Material heutzutage unüblich, gestanzt anstatt gebohrt. Der Stanzprozess kann jedoch dazu führen, dass mikroskopisch kleine Haarrisse im Material rund um das Loch entstehen. Diese bilden wiederum einen guten Angriffspunkt für Ermüdungsrisse infolge ständiger Be- und Entlastung beim Steig- und Sinkflug.

Dieses Bild zeigt deutlich die Risse in der Flugzeughaut rund um die Aussparung für den Radiokompass.
Runde Fenster und Radiokompanden
Die zweite Ursache war die Konstruktion der Fenster und Ausschnitte für die Antennen. Mit großer Wahrscheinlichkeit war jedes Flugzeugfenster, durch das Sie geschaut haben, und jedes durch welches Sie noch schauen werden, abgerundet. Der Grund ist recht simpel erklärt: die Druckdifferenz zwischen Kabinenluft und Außenluft sorgt für Spannungen in der Flugzeugstruktur. Wenn der Rumpf aus einem fensterlosen Zylinder bestehen würde, könnten sich die Spannungen optimal auf eine maximale Fläche verteilen und der Rumpf wäre sehr stabil. Da Passagiere fensterlose Flugzeuge vermutlich als wenig angenehm empfinden würden, ist dies keine Option. Mit dem Kraftfluss in einem Metall verhält es sich jedoch ähnlich wie mit strömenden Flüssigkeiten: eine sanfte Konturänderung bedeutet einen guten Kraftfluss, scharfe Kanten erzeugen starke Spannungsspitzen, da die Kraft der Kontur nicht folgen kann. Daher sind gerundete Flugzeugfenster ein absolutes Muss, da sie die Spannung auf ein Minimum reduzieren und der Struktur eine lange Lebensdauer gewähren. Bei der Comet waren die Fenster nicht spitz – aber richtig abgerundet waren sie auch nicht. Das erklärt die Position des Risses von "Yoke Uncle": entlang der Unterseite des Fensters, genau dort wo die Spannung maximal wird.
Dasselbe Phänomen lag auch an der Oberseite des Rumpfes vor: der Ausschnitt für den Radiokompass war zwar kreisrund, aber eine zu große Umlenkung des Kraftflusses bedeutet selbst bei einer stetigen Konturänderung, dass die Kraft dieser nicht folgen kann.

Diese Innenansicht von G-ALYU zeigt sehr eindrucksvoll, wie sich die Risse rund um ein Fenster im Rumpf geformt haben.
Rissausbreitung? Kein Thema
Der dritte Grund: Unwissenheit oder fehlerhafte Konstruktion im Hinblick auf Rissausbreitung: Wir haben zwei mögliche Ursachen für das Entstehen von (Haar-) Rissen im Fall der Comet kennengelernt: Nietlöcher, welche gestanzt statt gebohrt werden, sowie eine nicht ausreichende Abrundung der Kabinenfenster, beziehungsweise zu große Unterbrechungen der Flugzeugstruktur (für den Radiokompass). Für sich genommen hätten beide Problemquellen eingedämmt werden können, wenn die Ingenieure die Rissausbreitung entlang der Struktur stärker limitiert hätten. Bei modernen Airlinern geschieht dies durch ein Netz aus Rippen und Spanten, die die Außenhaut stärken und tragen und in alle Richtungen Verstärkungen aufweisen. Die Idee dahinter ist, dass selbst bei Entstehen eines Risses oder Lochs in der Haut sich kein Riss über mehrere Meter öffnen kann.

Akribisch rekonstruierten die Ermittler den Rumpf der G-ALYP aus den sichergestellten Trümmerteilen.
Ein hoher Preis
Im Gegensatz dazu war die Struktur der Comet einerseits zu grobmaschig, andererseits war die Anzahl der Querspanten schlicht nicht ausreichend. Dies führte zu einem tödlichen Mix: ein unvollständiges Verständnis der Ursachen für Haarrisse und deren Ausbreitung entlang der Regionen mit Spannungsspitzen sowie die fehlende konstruktive Begrenzung dieser.
Von der Comet wurden daraufhin insgesamt drei weitere Versionen gebaut, bei denen die bitteren Lehren aus der Absturzserie entsprechend einflossen. Insgesamt baute de Havilland über 100 Maschinen, wenngleich sich das Muster von den Unfällen und dem dadurch ausgesprochenen Grounding nie mehr ganz erholen konnte. In der Zwischenzeit hatten andere Hersteller, Boeing und Douglas aus den USA etwa, die Briten technisch übrholt und drängten mit ihren Jetlinern 707 und DC-8 auf den Markt.
Die Geburt des Flugschreibers
Eine weitere Neuerung, die im Laufe der späten 50er- und 60er-Jahre als Folge der Comet-Abstürze international Einzug hielt, waren die Flugschreiber und Cockpit-Voice-Recorder. Zwar gab es die ersten Prototypen solcher Aufzeichnungsgeräte schon seit den 30ern, doch war die Technik damals noch auf militärische Maschinen beschränkt. Im Zuge der Comet-Untersuchungen hatte der australische Forscher David Warren schließlich die Idee, ein Gerät, welches Flugdatenschreiber und Stimmenrekorder integriert, in Passagierflugzeuge zu verbauen. Er argumentierte, dass mit steigenden Reiseflughöhen und -geschwindigkeiten die Chance für Unfälle steigen würde, wobei die Aussicht auf aufschlussreiche Trümmer sinken würde. Zwar gab es gerade in Australien große Skepsis seiner Idee gegenüber, doch das British Air Registration Board war überzeugt. Die Geräte setzten sich allmählich durch und sind heute vorgeschriebener Standard in jedem Passagierflugzeug.

Diese Übersicht der britischen Untersuchungsbehörden zeigt die primären Versagensstellen und -mechanismen der DeHavilland Comet.
Ohne das Wissen, welches auch im Zuge der Comet-Untersuchung zutage trat, würden moderne Verkehrsflugzeuge, wie wir sie nutzen, vermutlich nicht existieren. Das neue Zeitalter der schnellen und hochfliegenden Maschinen wurde sehr, sehr teuer erkauft: Doch das Vermächtnis der Comet und ihrer Tragödien hat die Luftfahrt sicherer gemacht. Ein kleiner Trost für die Hinterbliebenen der Opfer.