Gemeinschaftswerk: So entsteht ein Airbus der A320-Familie

Gemeinschaftswerk
So entsteht ein Airbus der A320-Familie

Veröffentlicht am 28.05.2023

Halle 9 auf dem Airbus-Werksgelände in Finkenwerder ist so etwas wie ein Kreißsaal für A320. Auf der Endmontagelinie 2, einer von vier in Hamburg, werden die Airbus-Bestseller geboren. Bis ein neuer Narrowbody flügge ist, dauert es acht bis zehn Wochen. Dann ist nicht nur Mutter Airbus stolz, auch die vielen anderen Elternteile sind es. Denn rund 60 Prozent eines A320 stammen von Zulieferern. Airbus arbeitet mit mehr als 12 000 Lieferanten weltweit zusammen. Viele davon sind in Deutschland und Österreich beheimatet. Manche sind alleinige Zulieferer eines bestimmten Bauteils, andere sogenannte Second Source Supplier. "Zulieferer sind für uns sehr, sehr wichtig", sagt Gerd Weber, Leiter der A320-Endmontage. "Viele Teile können wir als Flugzeughersteller gar nicht selbst bauen, beispielsweise die Triebwerke." Für die A320neo liefern das Leap-1A von CFM International und das PW1100G-JM von Pratt & Whitney den Schub. An Letzterem hält der deutsche Hersteller MTU Aero Engines 18 Prozent Programmanteil. In der bayerischen Landeshauptstadt ist zudem eine von weltweit drei Endmontagelinien für den A320neo-Getriebefan beheimatet. In ihren Aufbau hat die MTU rund 25 Millionen Euro investiert. Die Triebwerke werden aber so spät wie möglich am Flugzeug installiert, bevor es lackiert wird. Im Anschluss geht es zur Flightline, das heißt, es hebt zum ersten Testflug ab.

Airbus

Endmontage im Takt

Doch zurück zum Anfang. Linie 2 beginnt mit Station 41. Hier kommen Rumpfvorder- und Hinterteil getrennt an und verlassen den Bauplatz als Einheit. Das Vorderteil kommt aus Saint-Nazaire und besteht aus Schalen der französischen Airbus-Tochter STELIA Aerospace, das Hinterteil entsteht in Hamburg in der Strukturmontage aus Zuliefererteilen von RUAG Aerostruc-tures und Premium AEROTEC. Airbus hat die Flugzeugstrukturmontage in den vergangenen zwei Jahren neu aufgestellt. In Deutschland wurden die Aktivitäten von Airbus in Stade sowie die Strukturmontage in Hamburg mit denen der Airbus-Tochter Premium AEROTECin Nordenham, Bremen und teilweise in Augsburg und Varel zusammengeführt.

Bevor Airbus-Mitarbeiter die beiden großen Rumpfteile in der Station 41 verbinden, werden die großen Monumente – Bordküchen und Toiletten – in das offene Rumpfhinterteil gestellt. Ein wichtiger deutscher Zulieferer von Galleys und Lavatories ist Diehl Aviation. Diehl steuert aber viele weitere Elemente zur A320-Familie bei: vom Data Management Computer bis zur Kabinenbeleuchtung. "Unsere Standorte haben die A320-Familie ihr ganzes Programmleben lang unterstützt – und wir werden das auch in der Zukunft tun. Mit den steigenden Stückzahlen seit den 1980er-Jahren nahm die Bedeutung der Baureihe auch für uns stetig zu", sagt Harald Mehring, Chief Customer Officer und Mitglied des Bereichsvorstands von Diehl Aviation. Man freue sich auf einen Wiederanstieg der Produktionsraten.

Diehl Aviation

Erschwerte Arbeitsbedingungen

Pandemiebedingt hatte Airbus im April 2020 die Produktion auf den weltweit acht Endmontagelinien von 60 auf 40 Flugzeuge pro Monat heruntergefahren. Ein herber Schlag auch für die Zulieferer, die zuvor hart gearbeitet hatten, um die hohen Raten zu ermöglichen. Das Wiederhochfahren der Produktion gestaltet sich nun schwieriger als gedacht, es fehlt allerorten an Rohstoffen und Arbeitskräften. "Qualifiziertes Personal und entsprechendes Training spielen eine Schlüsselrolle. Das gilt für die gesamte Industrie, Airbus ebenso wie die Zulieferer", sagt Weber. Wegen der globalen Lieferkettenprobleme wird Airbus die eigentlich für den Sommer 2023 geplante Rate von 65 Flugzeugen pro Monat frühestens Anfang 2024 erreichen.

Teil für Teil entsteht ein Jet

Wenn die großen Rumpfteile auf Transportwagen in die Endmontage rollen, sind bereits viele Bauteile und Systeme (beispielsweise Kabel und Rohre) von Zulieferern integriert. Das geschieht in der Struktur- und Ausrüstungsmontage, die in anderen Hallen auf dem Airbus-Gelände untergebracht ist. Die Bodenpaneele für den Passagierraum sind zum Beispiel bereits größtenteils in den Sektionen verbaut. Zugeliefert werden die aus kohlefaserverstärkten Kunststoffen hergestellten Sandwichplatten seit 1995 von den Elbe Flugzeugwerken (EFW) aus Dresden.

An Station 41 ist auch schon das vordere Frachttor im Rumpfbug eingebaut. Rund 80 Prozent aller Tore und Türen an Airbus-Jets stammen von Airbus Helicopters aus Donauwörth. An der A320 ist das Schwesterunternehmen von Beginn an beteiligt. Die Zulieferer für die Tor-Hauptkomponenten und -Strukturen kommen aus Spanien, Südkorea, den Niederlanden und Österreich. In Donauwörth sind in der Produktion der Frachttore für die A320-Familie 45 Mitarbeiter beschäftigt, weitere 35 arbeiten in Mexiko. Vorteile aus der gemeinsamen Konzernzugehörigkeit gebe es nicht. "Airbus Helicopters steht in einem klassischen Lieferantenverhältnis mit Airbus und stellt sich damit ständig einem internationalen Wettbewerb", sagt Pressesprecher Gregor von Kursell.

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Hochzeit an Station 40

Die Rumpfröhre wandert nach vier Tagen weiter zur Station 40. Hier findet die "Hochzeit" statt: Die Flügel werden montiert. "Das ist der schwierigste Arbeitsplatz, teilweise geht es sehr eng zu. Und wir bestimmen hier letztlich die Performance des Flugzeugs. Wenn die Tragflächen nicht einwandfrei montiert sind, kostet das im Betrieb viel Treibstoff. Nur die erfahrensten Mitarbeiter kommen hier zum Einsatz", sagt Weber. Die Flügel werden von Airbus aus Broughton geliefert. Viele Komponenten von Zulieferern sind schon verbaut, beispielsweise Aktuatoren für die Flugsteuerung von Liebherr-Aerospace aus Lindenberg. Montiert werden dann auch die Sharklets, sie kommen unter anderem vom österreichischen Luftfahrtzulieferer FACC. In der Station 40 werden zudem Bug- und Hauptfahrwerk installiert.

Wieder vier Tage später rollt das Flugzeug nun "auf eigenen Beinen", wie Weber sagt, zur Station 35. Hier werden unter anderem das Höhen- und Seitenleitwerk integriert, die Heckspitze inklusive der APU angebracht und die inneren Landeklappen montiert. Airbus- Mitarbeiter stellen elektrische und hydraulische Systemverbindungen an der Trennstelle zwischen Flügel und Rumpf her. Auch das Klimapack von Liebherr-Aerospace aus Toulouse kommt hier in den Flugzeugbauch. Vorn an der Nase finden Radom und Wetterradar Platz. Auch die Arbeiten in der Kabine beginnen: Die Handgepäckfächer und Decken sowie Seitenverkleidungen werden montiert. Die in der ersten Station eingestellten Monumente werden nun verbaut. Mit dem "Power-on" beginnt in der Station 35 das elektrische und elektronische Herz der A320 zu schlagen.

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Fertigstellung

Vier Tage später geht es zu Station 25. Hier werden Verkleidungselemente, beispielsweise zwischen Flügel und Rumpf, und die inneren Vorflügel montiert, das Kraftstoffsystem wird installiert. In die Kabine halten Trennwände Einzug, Teppichböden werden verlegt, Fluchtbeleuchtung und Türverkleidungen angebracht. In dieser vierten und letzten Station vor Verlassen der Halle 9 stehen auch zahlreiche System- und Funktionstests auf dem Plan: Elektrik, Hydraulik, Klimasystem und die mechanische Flugsteuerung werden geprüft, zudem findet der Kabinendrucktest statt. Ganz fertig ist das Flugzeug am Ende der Linie 2 noch nicht. Es fehlen, wie schon erwähnt, noch die Triebwerke. Und auch die Sitze und Sicherheitsgurte werden erst bei Station 23 in einer anderen Halle eingebaut. Manchmal kommt es auch vor, dass beispielsweise die Monumente aufgrund von Lieferverzögerungen nicht rechtzeitig ankommen. Dann müssen sie mühevoll zerlegt, in Einzelteilen durch die enge Kabinentür gebracht, auf- und eingebaut werden. Für solche Fälle gibt es einen Restarbeitsbauplatz. Aber am Ende ist nicht nur Airbus zufrieden, wenn ein neuer Jet den A320-Kreißsaal in Finkenwerder verlässt. Sondern auch die vielen Zulieferer.