Bei Embraer laufe das Geschäft wieder rund, erläuterten Konzernpräsident und Vorstandschef Francisco Gomes Neto sowie Betriebsgeschäftsführer und Finanzvorstand Antonio Garcia bei einem Pressegespräch Ende März in São Paulo, an dem auch die FLUG REVUE teilnahm. Der brasilianische Hersteller habe die Covid-Flaute genutzt, um intern zu rationalisieren, die Durchlaufzeiten der Flugzeuge in der Produktion kostensenkend zu verkürzen und um seine Finanzen neu zu ordnen. So habe man in den letzten drei Jahren allein 120 Millionen Dollar weniger für Zinsen aufwenden müssen. Derweil konnte man 2022 insgesamt 57 Regionaljets ausliefern (plus 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr) und 60 neue Aufträge gewinnen, darunter 48 für die neue Generation E2. Ohne Chip-Lieferkettenprobleme und Triebwerksmangel hätte man sogar noch mehr Flugzeuge geliefert, so Embraer. Allein in der Regionaljetsparte liege der Umsatz bei 1,54 Mrd. Dollar, erläutert der fließend Deutsch sprechende Finanzvorstand Garcia, der 36 Jahre lang in Essen bei deutschen Industriekonzernen, darunter Thyssen, ZF und Siemens, Karriere machte. Mit jetzt 70,5 Milliarden Dollar liege der feste Konzern-Auftragsbestand über dem Niveau vor der Pandemie.

Europa ist der zweitgrößte Markt
"Wir sind wieder auf Wachstumskurs", bestätigt Konzernchef Gomes Neto. Wachstumspläne sind auch der Grund, warum Brasiliens Vorzeigeunternehmen gezielt eine Journalistengruppe aus Polen, Österreich, der Schweiz und Deutschland einlud, denn genau in diesen Märkten wittert Embraer bei Bestandskunden in Europa in den kommenden Jahren einen besonders lohnenden Regionaljet-Ersatzbedarf. Mit bisher 387 E-Jets ist der alte Kontinent der weltweit zweitgrößte Markt für Embraer, hinter den USA. Über 1600 "E-Jets" aller Generationen wurden weltweit bereits verkauft. Allein LOT betreibt 44 Embraer-Jets, die aber schon bis zu 19 Jahre alt sind. Fast ebenso groß ist mit aktuell 43 Stück der aktive Bestand in der Lufthansa Group. Embraer rechnet zum LH-Konzern-Ersatzbedarf aber auch noch 28 Bombardier CRJ900 und bis zu 88 Airbus A319ceo hinzu. Selbst wenn ein Teil dieser Flotte durch größere A320neo oder den E2-Erzkonkurrenten A220 ersetzt werde, bleibe noch genug Bedarf für ein Muster darunter, hofft Embraer. "LOT und Lufthansa sind Schlüsselkunden für uns, und wir haben das passende, moderne Produkt. Wir glauben, bei Sitzkosten, Tripkosten, Effizienz und Umweltwerten sind wir interessant", sagt Konzernchef Gomes Neto. Seit Corona sei die Passagiernachfrage im Linienluftverkehr auf vielen Flugrouten gesunken, sodass man auch auf vielen Hauptstrecken nun eher kleinere Flugzeuge brauche. Mithilfe der sehr sparsamen Embraer-Getriebefan-Regionaljets könnten die Airlines aber trotzdem – genau zu den günstigen Sitzplatzkosten größerer Standardrumpfmuster – dichte Flugpläne für Geschäftsleute wirtschaftlich aufrechterhalten. Bis 2024 werde die Regionalfliegerei wieder den Stand vor der Pandemie erreicht haben, und da sich der gegenwärtige Pilotenmangel bis 2026 deutlich abschwäche, sei dann auch wieder genug Cockpitpersonal vorhanden, blicken die Brasilianer voraus. In den nächsten 20 Jahren entstehe, allein in Asien, ein Markt für 2200 neue Regionaljets, davon 1400 in China, wo die E2 gerade zugelassen worden sei. Insgesamt sieht das Unternehmen einen weltweiten Bedarf für sogar 8500 Regionaljets.
Aufwendige Erneuerungen
Für diesen erwarteten Markt hatte Embraer ihre Regionaljets mit maßgeschneiderten neuen Flügeln, neuen Triebwerken, einem aktuellen Glascockpit mit Electronic Flight Bags und elektronischer Flugsteuerung und einer neuen Kabinenausstattung mit vergrößerten Gepäckfächern aufwendig aktualisiert. Die Flugsteuerung der "fünften Generation" nutze nun einen geschlossenen Regelkreis, der ständig auch die strukturellen Belastungen durch Manöver und Fluglagen erfasse und diese wiederum aktiv beeinflusse, um die Struktur zu schonen, sagt Embraer. Dadurch habe man den Schwerpunkt nach vorn verschieben können und trotz (bei der E195-E2) drei Sitzreihen mehr Rumpflänge, das vorhandene, kleine, leichte und widerstandsarme Leitwerk weiternutzen können. In der E2-Kabine bietet Embraer überraschend viel nutzbaren Raum pro Passagier. So werden die äußeren Sitzschienen seitlich erhöht in der Wand verankert, sodass der Fußraum weitgehend frei von Streben, Kästen und anderen Hindernissen bleibt. Während man hinten in der Sitzanordnung 2+2 sitzt ("Niemals mit Mittelsitz", so die Embraer-Werbung) gibt es in der Business Class auch die Option 2+1 oder neuerdings auch Sessel mit versetzter Anordnung. Dann wird pro Reihe immer nur ein Sitzpaar, abwechselnd näher an den Fenstern oder näher am Gang, installiert. Dadurch entsteht vor jedem Passagier ein großzügiger, überlanger Fußraum, der auch den Einbau von Liegesesseln erlauben würde. Bei bis zu fünf Stunden Flugzeit, die etwa Europas erster E2-Betreiber Widerøe auf dem Weg von Bergen in Norwegen nach Lanzarote auch ausschöpft, ist Kabinenkomfort besonders willkommen. Weiterer Vorteil der neuen Kabinenoption ist die seitliche Bewegungsfreiheit ohne direkten Sitznachbarn, sodass man sich weder mit den Ellenbogen noch mit etwaigem Hüftspeck in die Quere kommt.

"Scope Clauses"
Doch auch Brasiliens hochmoderne Regionaljets haben ihre Sorgen. Deren größte sind die sogenannten "Scope Clauses" am wichtigsten Markt in den USA. Die Scope Clauses sind eine zwischen US-Pilotengewerkschaften und den dortigen Airlines vereinbarte Gewichtsgrenze, ab der in den USA Piloten zu vollen Liniengehältern beschäftigt werden müssen. Maximal 86000 lbs (39 Tonnen) sind in den USA die Höchststartmasse für Flugzeuge, wenn man deren Piloten noch zu kostengünstigeren Regionaljetgehältern beschäftigen will. Über 39 Tonnen MTOM wird dagegen volles Linienpilotengehalt fällig. Für die E2 ein Ärgernis, denn deren kleinste Version E175-E2 liegt wegen ihrer sparsameren aber schwereren Getriebefans ganz knapp über diesem Limit. Deswegen bestellen sich US Airlines, wie United, ihre E175 noch heute ab Werk als etwas leichtere Vorgängergeneration E1, weil diese gerade noch im Limit liegt. Die Entwicklung der E175-E2 liegt bei Embraer so lange auf Eis. Damit verzichten diese US-Airlines auf mögliche Verbrauchsvorteile und bessere Lärmwerte der modernsten Generation E2. Ob und wann sich die Scope Clauses in den USA öffnen, liegt außerhalb der Macht von Embraer. Dies gilt auch für ein neues Turboproptriebwerk für eine künftige Flugzeugfamilie, die noch nicht begonnen wird. "Die Nachfrage wäre da, aber wir haben bisher noch kein passendes Triebwerk", sagt Embraer-Präsident Francisco Gomes Neto.