Jörg Schuler steht seit November 2022 an der Spitze des deutschen Luftfahrtzulieferers Diehl Aviation. Wir haben mit dem promovierten Luft- und Raumfahrtingenieur über Lieferkettenprobleme, Wachstumspläne und die Kabine der nächsten Flugzeuggeneration gesprochen.
Nein, auf Kundenseite gar nicht. Es gibt nach wie vor großes Interesse an einer Circular Economy. Es stimmt, dass das Thema etwas aus den Medien verschwunden ist, weil die Zollpolitik gerade alles überschattet. Wenn Herr Trump aus dem Klimaabkommen aussteigt, ist das bedauerlich und bitter – und eine Botschaft in die falsche Richtung. Aber der Kunde an sich fragt nach wie vor nach nachhaltigerem Material, nach Gewichtsreduzierung, nach Effizienzen beim Stromverbrauch. Für uns ist Nachhaltigkeit immer noch ein großes Thema.
Wir haben unsere Verträge darauf geprüft, wie die Auswirkungen sein könnten. Es gibt unterschiedliche Vertragstypen. Wir haben etliche, bei denen der Endkunde die Zölle bezahlt. Aber was in unserer Branche schwierig ist: Wir sind eine globale Lieferkette, Einzelteile gehen mehrfach über Grenzen. Das wäre am Ende Zoll auf Zoll auf Zoll. So richtig abschätzen kann man die Auswirkungen noch nicht. Wir beobachten das weiter. Aber wir werden unsere Strategie deshalb nicht ändern. Wir haben jetzt unser Werk in Mexiko eröffnet und können von dort aus Kanada, USA und Brasilien gut bedienen. Wir werden dieses Jahr noch ein Werk in Rumänien gründen. Damit federn wir den Hochlauf ab, der kommen wird. Wir wollen unseren globalen Fußabdruck ausbauen, unsere Internationalisierung vorantreiben.
Wir wollten einen Standort in Europa haben. Wir haben bereits ein großes Werk in Ungarn. Dort hätten wir theoretisch sogar noch Fläche gehabt. Aber die Mitarbeiterverfügbarkeit ist dort nicht so gut, denn in der Nähe unseres Werkes haben sich weitere große Unternehmen, wie BMW und CATL angesiedelt. Mercedes geht auch nach Ungarn mit einem großen Lager und einem Teil der Produktion. Also haben wir geschaut: Wo in Europa passt es? Wo haben wir die richtigen Arbeitskräfte? Die richtige Umgebung? Wir wollen eine Wertschöpfung von Rumänien über Ungarn in die deutschen Werke hinein bzw. direkt zum Kunden in Europa.
Alles, was unsere internen Kapazitäten angeht, ist aufgebaut oder geplant. Rumänien trägt auch dazu bei, das Wachstum abzubilden. Das Risiko, was man verringern muss, liegt in der Lieferkette.
Covid war für die Lieferkette eine Vollbremsung. Als es wieder losging, kam der Fachkräftemangel. Der löst sich nun langsam auf, weil die Automobilbranche schwächelt. Wir haben, zumindest kapazitätsmäßig, aktuell keine offenen Stellen. Jetzt müssen wir die Qualifikation auffrischen, aber das funktioniert gut. Viele unserer Lieferanten leiden aber immer noch unter den Krediten, die sie während der Pandemie aufgenommen haben. Die müssen sie mit hohen Zinsen zurückzahlen. Und die Energie- und Personalkosten sind nach wie vor relativ hoch. Wir haben so viel Inflation gehabt. Das bekommen weder wir ausgeglichen noch unsere Lieferanten. Das heißt, wir haben nach wie vor Fehlteile. Durch die Verschiebung der angekündigten Produktionsraten der Flugzeughersteller haben wir teilweise wieder eine Bremsung hingelegt, dann haben wir und unsere Lieferanten Material und Ressourcen aufgebaut. Das belastet den Cashflow. Und so hat man unter Umständen das falsche Material da, weil wieder umgeplant wird. Die Lieferkette holpert.
Wir haben einen Maßnahmenplan geschnürt, um die Lieferkette etwas zu beruhigen. Wir haben Leute eingestellt, die viel mehr vor Ort sind, bei unseren Lieferanten. Zudem bauen wir Puffer auf, indem wir länger im Voraus bestellen, als es unsere Kunden bei uns tun. Das bindet natürlich auch Kapital. Es gab Situationen, in denen wir den einen oder anderen Lieferanten finanziell unterstützt haben. Bestimmte Produkte stellen wir nun wieder selbst her und beziehen sie nicht mehr von Lieferanten. Das war aber sehr selektiv, wenn es sich um eine Single Source, ein Produkt von nur einem Unternehmen, handelte, die insolvent ging oder vor der Insolvenz stand.
Die Luftfahrzeughersteller würden uns helfen, wenn sie eine längerfristige, stabile Vorhersage träfen. Der Königsweg wäre, wenn es garantierte Abnahmen gäbe. Dann könnte man diese Planungssicherheit viel besser durch die Lieferkette kaskadieren. Aber das geben die Verträge heute nicht her. Die Politik könnte helfen, denn viele Lieferanten haben ein Cash-Problem. Die Hausbanken der kleinen Unternehmen sind meistens nicht in der Form aufgestellt. Wir sind aber mit der Regierung in Kontakt und schauen uns an, ob es andere Finanzierungsmodelle außerhalb der Hausbanken gibt. Das sind die zwei großen Achsen, die wir auch durch den BDLI [Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie; d. Red.] mit unseren Kunden diskutieren.
Eine große, hoffentlich. Erst einmal muss das Programm angekündigt werden. Dann hoffe ich, dass wir unseren Kabinenanteil im Vergleich zum heutigen Single Aisle ausbauen können. Wir sind ein relativ kompletter Kabinenanbieter. Wir machen alles, außer Küchen, die haben wir heute nicht im Seriengeschäft, und Sitze.
Für Boeing machen wir heute vor allem die Kabinenbeleuchtung, aber wir können natürlich weitaus mehr leisten, wie etwa Floor-to-Floor, also Seitenwände oder Ablagefächer. Die Bins macht Boeing selber. Aber bei allen anderen Komponenten, sei es Licht, sei es in der Avionik, sei es im Abwassersystem oder auf den Monumenten, rechnen wir uns schon Chancen aus. Die große Frage wird sein, ob man es sich als Lieferant leisten kann, beide Produkte zu bedienen. Habe ich alle nötigen Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen? Habe ich die finanzielle Schlagkraft? Denn die OEMs [Original Equipment Manufacturer; d. Red.] erwarten auch eine Risikobeteiligung von ihren Lieferanten. Und wenn beide neuen Flugzeuge parallel kommen, wird es wahrscheinlich schwierig, mit Blick auf die Ressourcen beide Programme gleichzeitig bedienen zu können. Dann wird man sich im Zweifelsfall entscheiden müssen.
Erstmal muss sie das Flugerlebnis des Passagiers bestmöglich abbilden. Was er im Hotel oder zuhause hat, wünscht sich der Passagier auch für seinen Flug. Das Thema Privatsphäre wird eine größere Rolle spielen, vor allem in Widebody-Flugzeugen. Konnektivität, Interaktivität und digitale Services in der Kabine werden zunehmen. Die nächste Flugzeuggeneration wird klassisch sein und mit SAF [nachhaltigen Flugkraftstoffen; d. Red.] fliegen. Von daher werden wir auch die klassischen Kabinenfunktionalitäten wie Küchen und Toiletten in einer ähnlichen Form wie bisher abbilden. Das grobe Erscheinungsbild der Kabine wird also ähnlich sein wie heute, aber mit mehr personalisierten und digitalisierten Features. Sollte es in der übernächsten Generation zu einem Wasserstoffflugzeug kommen und sich die Geometrien ändern, könnten auch die Kabinen anders aussehen. Aber das ist noch ferne Zukunftsmusik.