"Mallorca-Bomber" beim letzten Flug: Boeing 757-300 von Condor

Abschiedsparty für „Mallorca-Bomber“
Das war der letzte Flug einer Boeing 757 von Condor

ArtikeldatumVeröffentlicht am 06.11.2025
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Die Party steigt in über 10.000 Meter Höhe: Alle Blenden der Kabinenfenster sind geschlossen, Strobolicht in allen Regenbogenfarben flackert durch den Raum. In den Gepäckfächern deponierte Boxen schmettern "Thunderstruck" von AC/DC um die Ohren – allerdings in einer etwas abgewandelten Version: Nicht "Thunder", sondern "Condor! Condor!" hallt es durch die dunkle lange Röhre der Boeing 757-300 D-ABOM.

Die fliegt, unter der Sonderflugnummer DE757 aus Wien kommend, gerade ihrer allerletzten Landung am Flughafen Frankfurt entgegen. Nicht auf direktem Weg, sondern ein wenig kreativer, mit Routenführung über Tschechien, Dresden und Leipzig – damit an Bord mehr Zeit zum Feiern bleibt und die Wehmut noch ein paar Warteschleifen kreisen kann. Denn heute endet nicht nur die Laufbahn der D-ABOM, sondern die der gesamten 757-Flotte bei Condor – und damit schließt sich auch das letzte Kapitel der Boeing-Ära für den Ferienflieger: Nach dem Aus der 757-300 fliegt Condor nur noch Airbus.

Noch aber gleitet sie quicklebendig durch die Wolken, die D-ABOM, stolz und elegant wie am ersten Tag. Und im Inneren des rot-weiß-rot gestreiften Zweistrahlers hat die Kabinen-Crew alle Hände voll zu tun.

Abschiedsflug der Boeing 757-300 bei Condor, D-ABOM
Patrick Zwerger

Partystimmung im "langen Elend"

Mit einer Armada von Getränke-Trolleys bahnen sich die Flugbegleiterinnen ihren Weg durch den engen Mittelgang, um die tanzenderweise sich dort aufhaltenden Flug- und Partygäste mit Getränkenachschub zu versorgen. 275 feierwillige Fluggäste vor dem Verdursten zu bewahren, während selbige immer wieder die Durchfahrt versperren, kreuz und quer umherspringen und sich in Scharen vor den Toiletten sammeln, kann ganz schön stressig sein in einem Schmalrumpfflugzeug. Kein Wunder hat die 757-300 mit ihrem 55,4 Meter messenden Rumpf schon vor langer Zeit den wenig schmeichelhaften, und auch nicht ganz ernst gemeinten Beinamen "das lange Elend" erhalten.

Aber elend ist hier heute an Bord keinem zumute, zumindest jetzt noch nicht. Und auch von Stress ist keine Spur, nicht im Geringsten. Die Stewardessen sind ebenfalls in bester Feierlaune. Jede einzelne von ihnen hat unzählige Flüge auf der 757-300 hinter sich. Diesen einen letzten wollen alle unvergesslich machen.

Abschiedsflug der Boeing 757-300 bei Condor, D-ABOM
Patrick Zwerger

Der Copilot als DJ

Condor-Copilot Sascha Flamm – 4.500 Flugstunden sammelte er auf der "Fünf-Sieben", wie der Boeing-Jet im internen Sprachgebrauch genannt wird – hat unterdessen längst den nächsten Song aufgelegt. Einst jobbte er als DJ, um sich den Traum vom Fliegen zu erfüllen, heute ist es umgekehrt: Auf dem Hinflug nach Wien saß er noch als First Officer im Cockpit, als Herr des digitalen Plattentellers heizt er jetzt auf der Rückreise an Bord den Gästen musikalisch ein. "Wahnsinn" von Wolle Petry, "1000 und 1 Nacht", "Über den Wolken" und natürlich – seit "Top Gun" in Luftfahrtkreisen unvermeidlich – "Danger Zone" von Kenny Loggins. Der Mix hat es in sich, auch wenn die Übergänge manchmal etwas holpern. "Besser, dass er Pilot geworden ist", raunt mir meine Nebensitzerin, selbst Flugbegleiterin bei Condor, lachend zu. "Das denkt sich Sascha jetzt sicher auch...", lache ich zurück.

Abschiedsflug der Boeing 757-300 bei Condor, D-ABOM
Patrick Zwerger

Das Ende einer langen Liebe

Während der fliegende Discjockey hinten die Feierlaune hochhält, machen seine Kollegen vorn im Cockpit ihren Job so konzentriert wie immer. Für die Piloten David Friedman und Thomas Gall ist es das letzte Kapitel einer langen Berufsbeziehung. Fast 10.000 Stunden hat David auf der "Fünf-Sieben" in fast 17 Jahren zusammengeflogen, Thomas kommt auf rund 7.500 Stunden im 757-Cockpit. Etwas anderes als Boeing-Muster hatten sie bei Condor nie unterm Hintern, doch schon am Tag nach dem Abschied wird sich das ändern – und die Wege trennen sich: David schult auf den Airbus A330 um, Thomas wechselt zur A320-Flotte. So richtig gewahr sind sie sich dessen allerdings noch nicht: "Es fühlt sich immer noch so an, als würde ich nächste Woche wieder hier drin sitzen und mit der 757 auf die Kanaren fliegen", sagt Thomas. "Aber es ist heute trotzdem ein absolut würdiger Abschied, ein grandioser Tag – und der Beginn für etwas Neues", ergänzt David.

Abschiedsflug der Boeing 757-300 bei Condor, D-ABOM
Patrick Zwerger

Die Bedeutung der 757-300 für Condor

Das Alte, die Boeing 757, prägte die Condor-Flotte zwischen 1990 und 2025 satte 35 Jahre. Insgesamt 33 Exemplare des Boeing-Twins flogen in dieser Zeit für die Urlauber-Airline – und mit der maßgeblich auf Condor-Wunsch entwickelten, im Vergleich zur Basisversion um 7,11 Meter verlängerten 757-300 ließen sich die Frankfurter von Boeing ab 1996 ihr ausdrückliches Wunschflugzeug bauen. Als Condor als Launch Customer drei Jahre später die erste von 13 bestellten 757-300 nach Hause holte, hoffte der Flugzeughersteller aus Seattle für das Muster noch auf Verkäufe im mittleren dreistelligen Bereich. Doch statt der kalkulierten 500 bis 600 Maschinen baute Boeing nur 55 – was den "fliegenden Bleistift" 757-300 schon von Haus aus zu einer Rarität am Himmel machte.

Die Boeing 757-300 hätte es ohne Condor nicht gegeben – das ist sicher. Condor-Operativchef Christian Schmitt ist allerdings auch überzeugt: Auch Condor würde es ohne die 757-300 heute wohl nicht mehr geben. Denn erst mit diesem Flugzeug hatte Condor einen wahren Ersatz für die 1990 ausgemusterte DC-10, konnte Mittel- und Langstrecken wirtschaftlich bedienen und den Jet auch auf stark nachgefragten Kurzstrecken flexibel einsetzen. "Die 757-300 war unser 'Mallorca-Bomber'", erinnert sich ein Zeitzeuge der Anfangsjahre an Bord.

Abschiedsflug der Boeing 757-300 bei Condor, D-ABOM
Patrick Zwerger

Ein Jet, der Emotionen weckt

Emotionen, Herzblut, Tradition: Die Condorianer lieben ihren "Mallorca-Bomber", dieses Gefühl ist an diesem denkwürdigen Tag von Beginn an allgegenwärtig. Unter den 275 Passagieren finden sich nicht nur hochrangige Condor-Manager, Partner, Pressevertreter und Ehemalige, sondern auch 75 aktuelle Condor-Angestellte. Sie konnten sich im Vorfeld intern für einen der Plätze auf dem Abschiedsflug bewerben – mit Anschreiben und Foto oder Video. 75 weitere Sitzplätze wurden in einer Rückwärtsauktion über den Condor-Onlineshop versteigert – fünf Stück pro Tag, Startgebot war 1.000 Euro. Jedes Mal waren die Plätze binnen fünf Minuten ausverkauft. Und selbst Hessen-Staatssekretärin Ines Fröhlich muss zugeben: "Ich hätte nie gedacht, dass ein Haufen Metall und Kunststoff solche Emotionen freisetzt."

Abschiedsflug der Boeing 757-300 bei Condor, D-ABOM
Patrick Zwerger

Die letzte Landung einer Condor-757 in Frankfurt

Doch bekanntlich hat alles im Leben seine Zeit – und auch die schönsten Dinge gehen irgendwann zu Ende. Die Laufbahn der Boeing 757 bei Condor, die Ära Boeing – und auch der allerletzte Passagierflug der D-ABOM an diesem historischen 5. November 2025. Trotz ausschweifender Schleifen auf dem Weg von Wien nach Frankfurt – am Ende wird man im Playback der Tracking-Plattform Flightradar24 eine virtuell an den Himmel gezeichnete "757" über Deutschland erkennen können – dreht die rot-weiß gestreifte Schönheit gegen 16 Uhr im Licht der frühwinterlichen Abendsonne unvermeidlich auf Kurs Richtung Heimat ein. Um genau 16:16 Uhr drückt sich das Hauptfahrwerk der D-ABOM zum letzten Mal in den Asphalt der Landebahn 25C des Frankfurter Flughafens. Zum letzten Mal steigen die Piloten David und Thomas beherzt in die Eisen ihrer "Fünf-Sieben", zum letzten Mal malt das Flugzeug seine Bremsspuren auf die Bahn, zum letzten Mal setzen die RB211-Turbofans unter den Flügeln per Schubumkehr zum heulenden Crescendo an.

Ein Abschied, der zu Tränen rührt

Applaus ertönt in der Kabine, Dankesrufe der Besatzung. Dann wird es still. Nur Udo Lindenberg dudelt sachte und sentimental aus den Bordlautsprechern. Im letzten Abendlicht rollt die D-ABOM zum Gate E1 am Frankfurter Terminal 2. Die Passagiere des letzten 757-Fluges von Condor schnallen sich ab, packen ihre Sachen, steigen aus. Vereinzelt fließen Tränen, zumindest einen Kloß im Hals haben irgendwie fast alle. Und der lässt sich auch mit Bier und Sekt und Gin nicht einfach so herunterspülen.

Die Boeing 757 ist bei Condor ab sofort Geschichte. Doch die Geschichte der Fluggesellschaft und ihrer Mitarbeiter wird fortgeschrieben – denn, wie sang vorhin noch Lindenberg: "Hinterm Horizont geht's weiter". Und zwar morgen Früh schon. Dann allerdings – zum ersten Mal – als reinrassige Airbus-Airline.