Jetset: Mit Air Hamburgs Falcon 7X nach London

Reisen wie die Reichen
Mit Air Hamburgs Falcon 7X nach London

Veröffentlicht am 03.10.2020

Ein Blick auf die Uhr: kurz vor Sechs. In 20 Minuten soll unser Flug von Stuttgart nach London-Luton starten. Würden wir Linie fliegen, müssten wir um diese Zeit längst am Gate sein und den Damen und Herren von der Bordkartenkontrolle unser Ticket auf den Scanner legen. Aber wir haben weder Gate noch Ticket, geschweige denn haben wir es eilig – obwohl wir noch nicht einmal in der Nähe der Passagierterminals sind. Denn heute fliegen wir nicht Linie, wir fliegen Bizjet! Auf uns wartet die Falcon 7X des Charterflugdiensts Air Hamburg.

Mit dem Kleinbus bis vor die Tür

Startpunkt zu diesem exklusiven Flugerlebnis ist das General Aviation Terminal des Stuttgarter Flughafens. Als wir dort eintreffen, dreht eine Gruppe halbstarker Gangsta-Rapper auf dem Vorhof gerade ein Musikvideo. Dicke Schlitten, viel Bling-Bling, halbnackte Mädels – Klischee durch und durch. Auf der anderen Seite der Eingangstür ist von Klischee nichts mehr zu spüren. Ohne viel Bohei werden wir empfangen, müssen wie normale Fluggäste durch Körperscanner und Gepäckkontrolle, steigen in den bereitstehenden Kleinbus – und fahren direkten Wegs zur Parkposition, auf der die Falcon bereits abflugbereit für uns parat steht.

Patrick Zwerger

Früher VW, jetzt Air Hamburg

Der Dreistrahler trägt das Kennzeichen D-ASIM und steht seit 2018 in Diensten von Air Hamburg, die ansonsten hauptsächlich auf Fluggerät aus Brasilien setzt: 19 der 35 Air Hamburg-Maschinen sind Embraer Legacy, die D-ASIM, Baujahr 2010, ist die einzige Falcon 7X der Hamburger. Bevor ihr jetziger Dienstherr sie unter die Fittiche nahm, flog sie unter anderem für Volkswagen Air Service und in dieser Rolle die VW-Vorstandsriege zu Terminen auf der ganzen Welt. Denn die Falcon 7X ist ein Reichweitenmonster: Bis zu 11000 Kilometer legt der Trijet ohne Stopp zurück. Mit 23 Metern Länge und einem maximalen Startgewicht von über 31 Tonnen spielt die Falcon 7X in der Champions League der Geschäftsfliegerei – und ist nicht ohne Grund das Prunkstück der Air Hamburg-Flotte.

Air Hamburg

Kurzstrecke mit dem Kilometerfresser

Fast dekadent mutet es an, mit diesem Langstreckenprimus nur bis nach London zu fliegen. Aber dort muss die Falcon sowieso hin: Für morgen hat ein ungenannter Kunde die D-ASIM für einen Flug von Luton nach Hongkong gechartert, und wir haben die Ehre, auf dem Positionierungsflug an Bord zu sein. Eine Stunde und 20 Minuten wird unsere Reise dauern. Verglichen mit den rund 13 Stunden, die die Falcon nach Hongkong braucht, ist das ein Witz, aber es reicht, für eine kleine Weile in den Jetset der Reichen und Schönen zu schnuppern – und sich dort niederzulassen, wo sonst Shakira, George Clooney oder der Dalai Lama sitzen.

Der Chef fliegt selbst

Der Einstieg in diese Welt erfolgt ganz profan über die bordeigene Treppe der Falcon. An der Tür heißt uns die Flugbegleiterin willkommen, während im Cockpit die letzten Startvorbereitungen laufen. Vorn links sitzt der Chef persönlich: Alexander Lipsky, einer der drei Geschäftsführer von Air Hamburg, hat auf unserem Flug das Kommando. Wir nehmen Platz auf den beigefarbenen Ledersesseln, schnallen uns an, schauen uns um. 14 Sitzplätze gibt es in der D-ASIM, wenn man die beiden Sofas im hinteren Kabinenteil dazuzählt. Ich setze mich an den Konferenztisch vor der Flügelwürzel, mit dem Rücken zur Startrichtung.

Patrick Zwerger

Kabine mit Wohlfühlfaktor

Durch die riesigen Fenster, 28 an der Zahl, strahlt hell die Abendsonne zu uns hinein, streichelt mit ihrem Licht das 7X-Gestühl, das mit seinen Beige- und Brauntönen, goldenen Details und Holzdekor dezenten Luxus ausstrahlt, ohne protzig zu wirken. Vorn und hinten an der Wand fallen zwei 33-Zoll-Monitore ins Auge, WLAN und In-Flight-Entertainment sind natürlich Standard. Wer sich lieber analog die Zeit vertreibt, für den liegt eine Auswahl aktueller Magazine auf dem Sideboard bereit. Die FLUG REVUE ist leider nicht dabei…

Patrick Zwerger

Auf leisen Sohlen

Während ich mich an meinem Platz häuslich einrichte und erwartungsfroh nach draußen blicke, geht plötzlich ein Ruck durchs Flugzeug. Na sowas – wir rollen ja schon! Dabei habe ich noch nicht einmal bemerkt, dass die Triebwerke laufen. Fast gespenstisch ist die Stille im Inneren der 7X. Man muss schon ganz genau lauschen, um den drei PW307A-Turbofans, jeder für sich 28,48 kN stark, bei der Arbeit zuzuhören. Die Radbremsen wummern dafür umso energischer – das ist gut, sonst würde ich am Ende noch an meinem Hörvermögen zweifeln. "Die Bremsen sind ein bisschen überdimensioniert", höre ich eine amüsierte Stimme vom Sofa aus lachen.

Patrick Zwerger

"Ein fantastisches Flugzeug"

Die Stimme gehört Peter, Pilot, seit fünf Jahren bei Air Hamburg angestellt. Er hat die Falcon aus Vancouver nach Stuttgart geflogen und übernimmt den morgigen Flug nach Hongkong. Jetzt hat er frei – und schwärmt von seinem Arbeitsgerät in den höchsten Tönen. "Ein fantastisches Flugzeug" sei die Falcon 7X, hochmodern und dank des preisgekrönten EASy II-Flight Decks von Honeywell und Dassault "super easy" zu fliegen. "Außerdem wird man an Bord nicht so schnell müde." Dafür sorgt das Kabinenklima: Auf 45000 Fuß Höhe, dort, wo die 7X in der Regel unterwegs ist, simuliert die Druckkabine eine Höhe von nur rund 4000 Fuß. Mehr Sauerstoff und feuchte Luft garantieren entspanntes Reisen, während der Verkehr draußen meist sehr überschaubar ist: "Wir fliegen in großer Höhe auf wenig beflogenen Routen", erklärt Peter. "Weil wir nicht an ETOPS-Regeln gebunden sind, können wir direktere Wege fliegen – über dem Ozean sind wir meistens allein."

Jede Woche ein anderer Kontinent

Die Ziele, die Air Hamburg mit der Falcon 7X ansteuert, sind über den ganzen Globus verstreut. "Wir sind weltweit unterwegs und auf kleinen Insel-Airports genauso daheim wie auf Großflughäfen", hebt Peter die Vorzüge des Dreistrahlers hervor. Jede Woche ein anderer Kontinent, morgens oft nicht wissen, wo man abends ins Bett geht: Das Spontane ist es, was den 36-Jährigen an der Geschäftsfliegerei so reizt. Die Tage in fremden Gefilden waren allerdings schon mal spannender als zurzeit: dank Corona verbringen Peter und seine Kollegen ihre Layover-Zeiten vor allem im Hotelzimmer. Rausgehen? Geht nicht. "So gesehen hat die Falcon im Moment fast zu viel Reichweite", lacht Peter.

Patrick Zwerger

Champagner und Obstplatte

Inzwischen liegt das erste Drittel unseres London-Fluges bereits hinter uns. Mit einem Raketenstart haben wir uns vor einer halben Stunde vom Stuttgarter Flughafen verabschiedet, jetzt fliegen wir irgendwo über Frankreich. Zeit, sich zurückzulehnen und den Bordservice zu genießen. Zu Gourmet-Sandwiches und frischem Obst, genau das Richtige für eine so kurze Reise, gibt es Getränke à la carte. Mein Gegenüber bestellt in aller Bescheidenheit ein Gläschen Sekt, "zur Feier des Tages". Mit charmantem Lächeln fragt ihn die Stewardess, ob Champagner denn in Ordnung wäre. Mit Schampus im Kristallglas lehne auch ich mich zurück, schaue aus dem Fenster, genieße die Minuten, die noch bleiben.

Patrick Zwerger

Welcome to Luton!

Viel zu schnell haben wir Britanniens Küste passiert, und ehe ich mich versehe, sind wir auch schon im Anflug auf Luton. Den Kuchen, er sah wirklich lecker aus, den es als Nachtisch noch gegeben hätte, habe ich beim besten Willen nicht mehr geschafft. Wir sinken durch Wolkenfetzen und Abendrot unserem Ziel entgegen, setzen sanft auf, bremsen scharf ab, rollen aus und erhalten wenig später einen exklusiven Empfang am Business Terminal von Harrods Aviation.

Patrick Zwerger

Auf dem Boden der Tatsachen

Die Begrüßung dort fällt kurz aus, denn jetzt muss es schnell gehen. Unser Flieger für den Rückweg wartet nämlich schon: Eine Legacy von Air Hamburg, die D-AEOT, fliegt von Luton aus nach Baden-Baden in die Wartung. Für uns das Taxi in die Heimat, das wir – nach einem Umweg durch die Passkontrolle – schnellen Schritts besteigen. Während draußen nun endgültig die Sonne untergeht, atmen wir ein letztes Mal die Atmosphäre des Jetsets – bevor uns die Landung am Baden Airpark buchstäblich zurück auf den Boden der Tatsachen bringt: Das letzte Wegstück nach Stuttgart treten wir mit den Öffentlichen an. Im stickigen, vollbesetzten Fernbus, Reiseziel Vukovar in Ostkroatien, schaukeln wir im Dunkel der Nacht der Heimat entgegen. Größer könnte der Kontrast kaum ausfallen.