Wir freuen uns, heute als erste Fluggesellschaft weltweit den Airbus A320neo in Empfang zu nehmen“, sagte Lufthansa-Konzernchef Carsten Spohr am 20. Januar bei der formellen Übernahme des ersten Flugzeugs in Hamburg. „Mit der führenden Technologie von Airbus und Pratt & Whitney ist die A320neo das mit Abstand effizienteste und leiseste Flugzeug auf Kurz- und Mittelstrecken“, lobte Spohr seine Neuerwerbung, die er, ohne großen Bahnhof, bei ungemütlichem Winterwetter in einem Finkenwerder Hangar empfing. Mit dabei waren Airbus-Zivilflugzeugbau-Chef Fabrice Brégier, Pratt & Whitney-Präsident David Hess und der Executive Vice President und Chief Customer Officer, Aerospace, der Pratt-Konzernmutter United Technologies, Robert Leduc.
Ganze 116 Flugzeuge der neo-Familie hat die Lufthansa-Gruppe für ihre Konzerntöchter bereits fest bestellt, davon 45 Flugzeuge des größten Familienmitglieds, des Airbus A321neo. Beim Antrieb entschieden sich die Frankfurter für beide angebotenen Varianten: 60 Flugzeuge erhalten, wie das erste Exemplar D-AINA, die nagelneuen Getriebefans Pratt & Whitney PW1100G-JM. Die restlichen werden angetrieben vom CFM International LEAP-1A, also einem modernen Abkömmling der weit verbreiteten und weltweit bewährten CFM-Familie, dessen Schwesterversion auch die Boeing 737 MAX nutzt.
Dank ihrer neuen Triebwerke, verbesserter Aerodynamik und mehr Sitzen ist die A320neo (neo = new engine option), laut Lufthansa, 15 Prozent treibstoffeffizienter als heutige Vergleichsmuster. Airbus verspricht, nach weiteren Detailverbesserungen, bis zum Jahr 2020 für die neo sogar einen Verbrauchsvorteil von dann 20 Prozent. Damit kommt die zu relativ überschaubaren Kosten und auf Basis der bewährten A320 überarbeitete Flugzeuggeneration zu Leistungsverbesserungen, die jenen einer völlig neuen Grundkonstruktion entsprechen. Nicht weniger als 95 Prozent der Teile von A320ceo (conventional engine option), also der Ausführung mit herkömmlichen Triebwerken, und A320neo sind gleich. Damit können die Airlines den größten Teil ihres vorhandenen Ersatzteilbestandes weiter verwenden, Bodengeräte und Werfteinrichtungen weiter nutzen und ihr Personal ohne aufwendige Neuschulung weiterhin einsetzen.
So ist es nicht verwunderlich, dass die A320neo von ihrer Vorgängerin äußerlich kaum zu unterscheiden ist. Die bei der bisherigen A320ceo nur optionalen, 2,40 Meter langen Sharklets erhalten alle A320neo nun serienmäßig, um den induzierten Widerstand zu vermindern und die Flugleistungen zu verbessern. Nur die wesentlich „dickeren“ Triebwerke – mit einem Nebenstromverhältnis von 12:1 – verraten mit ihrem von 1,44 Meter auf nun enorme 2,06 Meter erhöhten Fandurchmesser dem Kenner äußerlich, dass es sich um eine neue Flugzeuggeneration handelt. Bei Lufthansa steht als Musterbezeichnung nur das übliche „Airbus A320-200“, ohne jeden neo-Hinweis am Rumpf. Dies änderte sich allerdings beim zweiten Flugzeug, der D-AINB, das am 12. Februar in Finkenwerder ausgeliefert wurde. Hier prangt, wie nachträglich auch auf dem ersten Flugezug, stolz der Hinweis „First to Fly A320neo – less noise, less fuel, less CO2“ (erster Betreiber der A320neo – weniger Lärm, weniger Verbrauch, weniger Kohlendioxidausstoß) auf dem Rumpfheck.
Gerade der stark verringerte Lärm dürfte für Lufthansa mit ihrem umweltsensiblen Frankfurter Drehkreuz ein wesentliches Argument für die neo-Beschaffung gewesen sein. Die Geräuschemissionen liegen kumuliert um 29,8 dB(A) unter den geltenden ICAO-Grenzwerten. Beim Start ist die sogenannte 85-Dezibel-Maximalschallpegel-Kontur (sie entspricht dem Lärm eines in fünf Meter Abstand im Stadtverkehr vorbeifahrenden Lastwagens) einer startenden A320neo im Vergleich zur A320 um rund 50 Prozent kleiner. Damit verringert sich die stark beschallte Fläche erheblich und auf einen Bereich, der nur noch innerhalb des Flughafenzauns liegt.
Getriebefans beim Anlassen noch empfindlich
Die erste A320neo traf, aus Finkenwerder kommend, schließlich am 22. Januar in Frankfurt ein. Nach Personalschulungsflügen mit Platzrunden in Söllingen begannen die regulären Linieneinsätze drei Tage später mit Flügen von Frankfurt nach Hamburg und München. In der Kabine der A320neo reichen die Sitzreihen (Anordnung 3+3) nun durchgehend von den vorderen bis zu den hinteren Kabinentüren. Vom Bug bis etwa zu den Flügeln werden die Recaro-Sitze bei Bedarf, dann mit freigehaltenen Mittelplätzen, auch als Business Class belegt. Hinter den Flügeln verringert sich der Sitzabstand heckwärts. In dieser, bei Lufthansa „32V“-Konfiguration genannten Ausführung mit 30 Sitzreihen finden 180 Passagiere Platz. Gegenüber 168 Passagieren in einer herkömmlich bestuhlten A320-200 des Unternehmens stehen damit zwei Reihen mehr Sitze in der Kabine. Die hinteren Toilettenabteile, eins davon rollstuhlgerecht, sind zugunsten der zusätzlichen Sitze ins Heck, unmittelbar vor das Druckschott, gerückt worden. Dort hat sogar noch eine halbe Küchenzeile Platz gefunden.
Bei einem vorsichtigen Einsatzplan mit rund vier täglichen Flügen machte die A320neo bei Lufthansa einen technisch zuverlässigen Eindruck. In den ersten Wochen gab es jedoch auch vier Flugausfälle. Bis Jahresende 2016 will Lufthansa schon die ersten fünf Flugzeuge in Dienst gestellt haben. Allerdings haben die neuen Getriebefans noch Kinderkrankheiten. Airbus-Geschäftsführer Tom Williams hatte im Januar nur vage eingeräumt, dass es in der Anlassphase der Getriebefans durch ungleichmäßige Temperaturverteilung im Triebwerk zum Reiben der Fanschaufeln am Gehäuse kommen könne. Durch eine veränderte Softwaresteuerung wolle man dieses Problem schon kurzfristig abstellen. Immerhin bewogen die Probleme Qatar Airways, ihre ursprünglich geplante neo-Erstabnahme vor dem Jahreswechsel abzusagen. Stattdessen warten die Katarer mit ihrer Übernahme nun auf überarbeitete Triebwerke.
Sogar Airbus zog bei der nächsten neo-Premiere, dem erfolgreichen Jungfernflug der A321neo am 9. Februar, die Version mit dem LEAP-1A-Triebwerk der ursprünglich geplanten A321neo mit Getriebefan vor. So hob die D-AVXB (CFM) statt der D-AVXA (PW) zum ersten Flug des längsten neo-Mitglieds ab. Sie startete und landete in Finkenwerder und bewies mit fünfeinhalb Stunden Flugzeit einen problemlosen Erstflugverlauf. Im Cockpit saß der deutsche Testpilot Martin Scheuermann. Sein Copilot war der Spanier Bernardo Saez Benito Hernandez. Außerdem waren die Flugtestingenieure Gérard Leskerpit, Sandra Bour Schaeffer und Emiliano Requena Esteban an Bord. Schon wenige Tage nach dem Erstflug erlitt das Flugzeug bei Tests in Perpignan einen Tailstrike. Es konnte zwar zur Reparatur nach Toulouse geflogen werden, fällt aber wohl einige Wochen aus.
Die A321neo ist das Topmodell der Familie. Es ist mit bis zu 240 Sitzen wesentlich größer als die Konkurrenz aus Renton und könnte bald die Hälfte aller neo-Bestellungen ausmachen. Außerdem will Airbus eine geringer bestuhlte Langstreckenvariante mit Zusatztanks im Frachtraum ableiten, die Transatlantikstrecken schafft, um den Markt älterer Boeing 757 zu beackern. Vor allem dank der konkurrenzlosen A321neo kommt die neue Familie gegenüber der Boeing 737 MAX derzeit auf einen Marktanteil von 60 Prozent.
Wie lange es dauern wird, bis Pratt & Whitney die neo-Triebwerke modifiziert hat, ist noch nicht genau abzusehen. Nötig sind sowohl Software- als auch Hardware-Änderungen. In jedem Fall besteht Eile, denn die A320neo-Produktion läuft steil hoch. Schon parken fertiggestellte Flugzeuge ohne Triebwerke auf den Vorfeldern in Toulouse und Finkenwerder. Da die Triebwerke direkt zum Flugzeug gehören und kein vom Kunden ausgewähltes, sogenanntes „buyer furnished equipment“ sind, dürfte Airbus als Hersteller gegenüber den Airlines haftungsseitig und finanziell zunächst in der Pflicht stehen, die Antriebe schnell nachzubessern. Wenigstens scheint der Fehler weder mit den eigentlichen Getrieben der Getriebefans noch mit den Verbrauchswerten zusammenzuhängen. Das neue Triebwerk PW1100G-JM ist bekanntlich seit November 2015 in den USA und Europa zugelassen. Airbus hatte mit über 1000 Flugstunden, darunter 300 Stunden unter simulierten Bedingungen des Airline-Betriebs, den Antrieb auf eine möglichst reibungslose Einführung vorbereiten wollen.
Getriebefan braucht Nachbesserung
Beim Getriebefan kann man die Drehzahlen der Triebwerksstufen entkoppeln. Dadurch können die vergrößerten Fanschaufeln langsamer laufen, ohne dass ihre Spitzen die Schallgeschwindigkeit erreichen. Dies kommt dem Nebenstromverhältnis und dem Wirkungsgrad zugute. Gleichzeitig kann die Niederdruckturbine schneller und ebenfalls wirksamer laufen. Damit sich die Triebwerkswelle aus thermischen Gründen nicht verzieht und die Triebwerksschaufeln nicht am Gehäuse scheuern, müssen die ersten 20 PW1100G-Getriebefans derzeit noch besonders schonend angelassen werden, was mit 350 Sekunden relativ lange dauert. Durch zusätzliche Lagerdämpfer an der dritten und vierten Verdichterstufe und Softwareupdates soll die Anlassdauer aber schon bald auf üblichere 150 Sekunden oder darunter gesenkt werden.
FLUG REVUE Ausgabe 04/2016




