Noch hat niemand das Unsagbare ausgesprochen – doch zumindest gedanklich steht der worst case längst im Raum: Die CRAIC CR929, das von Russland und China zusammen entwickelte Langstreckenflugzeug, droht zu scheitern. Seit Monaten geht es bei dem Projekt nicht mehr voran, und Corona ist ausnahmsweise nur teilweise daran schuld. Die Probleme liegen viel tiefer. Sie fußen auf gegenseitigem Misstrauen, einem Gerangel um Kompetenzen – und dem Streit um das finale Design des Flugzeugs. Denn noch weiß niemand so genau, wie die CR929, sollte sie jemals real werden, überhaupt aussehen wird.

Sowjet-Airliner als Design-Vorbild?
Die Russen würden in diesem Bezug anscheinend gern auf Altbewährtes setzen. Die Zeitung Asia Times berichtet, unter Berufung auf Insiderkreise beim chinesischen Partner Comac, Russlands Flugzeugbau-Holding UAC wolle sich beim Rumpfdesign auf den Sowjet-Jumbo Iljuschin Il-86 stützen. Das jedoch treibt die Chinesen auf die Palme: Comac weigere sich, das "mittelalterliche" sowjetische Design zu übernehmen, so die Asia Times.

Streit um Zulieferer
Der Konflikt um die aerodynamische Auslegung ist aber längst nicht der einzige Streitpunkt, wegen dem die CR929 derzeit mehr oder minder auf Eis liegt. So wurde bereits im Juli bekannt, dass sich Russland und China bei der Wahl der wichtigsten Zulieferer uneins sind. "Es war geplant, diese Arbeiten im Jahr 2020 abzuschließen und 2021 mit den ausgewählten Partnern in die Vertragsphase zu treten", sagte Rawil Chakimow, Generaldirektor der UAC-Tochter Irkut, damals. Leider gebe es jedoch "Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit unseren chinesischen Partnern", so Chakimow. Die Findungsphase würde sich deshalb bis ins kommende Jahr erstrecken, die ersten Serienflugzeuge wohl erst 2029 ausgeliefert werden – vier Jahre später als ursprünglich geplant.

Misstrauen und schräge Töne
Wie tief der Graben zwischen UAC und Comac inzwischen ist, offenbart sich vor allem in den Vorwürfen, die sich beide Partner gegenseitig an den Kopf werfen. So unterstellte Russlands Industrie- und Handelsminister Manturow den Chinesen, sie würden ihre russischen Kollegen beschnüffeln und Know-how abschöpfen, während sie sich weigerten, ihren Heimatmarkt zu öffnen. Comac-Mitarbeiter konterten, Russland sei nur daran interessiert, Teile nach China zu verkaufen, ohne den guten Willen, wichtige Technologien auszutauschen und weiterzugeben. In China fürchtet man offenbar, zur verlängerten Werkbank degradiert zu werden.

"Gemeinsame Notwendigkeit" zur Kooperation
Offiziell versuchen beide Seiten, die Wogen zu glätten. Russland plane nicht, aus dem Programm auszusteigen, man suche weiter nach gemeinsamen Wegen, heißt es aus russischen Regierungskreisen. Die Asia Times zitiert außerdem einen chinesischen Luftfahrtprofessor mit den Worten, beiden Ländern sei nach wie vor "die gemeinsame Notwendigkeit" bewusst, den hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwand für die CR929 zu teilen.
Russland kürzt Fördergelder
Russische Medien berichten jedoch, das Industrie- und Handelsministerium habe die Zuwendungen für das CR929-Programm gekürzt. Statt, wie bislang geplant, jährlich sieben Milliarden Rubel (76 Millionen Euro) seien im kommenden Jahr nur noch 2,6 Milliarden Rubel (28 Millionen Euro), 2022 nur 2,4 Milliarden Rubel (26 Millionen Euro) und 2023 3,5 Milliarden Rubel (38 Millionen Euro) vorgesehen. Welchen Effekt diese Kürzung auf das Projekt als solches hat, dessen Gesamtkosten zwischen elf und 17 Milliarden Euro liegen sollen, wird sich zeigen – ein Vertrauensbeweis sieht allerdings anders aus.