Die Route zwischen den Flughäfen Haneda und Itami, welche die Hauptstadt Japans mit der drittgrößten Stadt Osaka verbindet, ist eine klassische "Rennstrecke". Momentan bieten Japan Airlines (JAL) und All Nippon Airways (ANA) 15 Flüge pro Tag an. Jeweils, versteht sich. Dieser große Bedarf an Passagierkapazität ist nicht neu. So werden heute für den knapp 90 Minuten langen Flug gerne Großraum-Twins wie die Boeing 787 oder der Airbus A350 genutzt. Vor knapp 40 Jahren dominierten dagegen noch die Vierstrahler. So setzte auch JAL damals die Boeing 747-100 in der speziell für Kurzstrecken mit hoher Nachfrage maßgeschneiderten Version SR (Short Range) ein. Knapp 30 Maschinen dieses Typs wurden gebaut, unter ihnen auch die JAL-747 mit der Registrierung JA8119.
Ein ganz normaler Tag
Es war ein normaler Augusttag am Haneda International Airport und mit 524 Menschen an Bord war die JA8119 sehr gut gefüllt. Kapitän Masami Takahama, ein erfahrener Pilot mit mehr als 12.000 Flugstunden, davon fast 5.000 in der 747, sollte als First Officer agieren und seinen Co Yutaka Sasaki kontrollieren, welcher seine Weiterbildung zum Kapitän beinahe abgeschlossen hatte. Auch Sasaki war mit über 2.500 Flugstunden auf dem Muster kein Neuling. Bordingenieur Hiroshi Fukuda komplettierte die Crew. Um 18:12 Uhr Ortszeit lenkten die Piloten den Jumbo auf Startbahn 15L, schoben die Schubhebel nach vorne und der Jumbo-Jet hob sich in den Abendhimmel über Tokio.
Zwölf Minuten Normalität
Für knapp zwölf Minuten lief der Flug völlig reibungslos, die Maschine stieg langsam auf Reiseflughöhe und steuerte südwestlich von Tokio in Richtung Osaka. Um 18:24 Uhr näherte sich der Flug der Izu-Halbinsel von Osten her und passierte gerade eine Flughöhe von 24.000 Fuß (7.315 Meter), als es zu einer plötzlichen, rapiden Dekompression des Flugzeuges kam. Die Piloten übermittelten ein Notsignal und baten um eine schnellstmögliche Landung in Tokio. In den ersten Momenten nach dem Ereignis kann ihnen jedoch nicht klar gewesen sein, in was für einer Situation sie sich wiederfanden. Das Flugzeug fing an, immer stärkere, unkontrollierte Rollbewegungen auszuführen. Während der Bord-Ingenieur mit ansehen musste, wie der Hydraulikdruck in sämtlichen Leitungen auf Null fiel, bemerkten auch die Piloten, dass ihre Steuereingaben keinerlei Reaktionen mehr hervorriefen. JAL123, so muss es den erfahrenen Fliegern vorne im Cockpit klar geworden sein, befand sich in akuter Gefahr. Was die Menschen an Bord zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnten: ein Großteil des Seitenleitwerkes fehlte. Es war einfach abgerissen. Schlimmer noch – der Abriss hatte sämtliche Hydraulikleitungen, eigentlich ein System mit mehrfachen Redundanzen, durchtrennt. Das Flugzeug war praktisch unkontrollierbar, einzig die Triebwerksleistung konnte noch direkt angesteuert werden.
Kämpfen, ohne Chance
Die Crew von Japan Airlines Flug 123 gab die Maschine, die Passagiere und sich selbst nie auf. Am Ende schafften es die Piloten, das Flugzeug 32 Minuten in der Luft zu halten. Dabei steuerten sie (ob bewusst oder unbewusst, bleibt unklar) das Flugzeug von bewohntem Gebiet weg und retteten so vermutlich weitere Leben. 44 Minuten nach dem Start in Tokio streifte das äußere Steuerbord-Triebwerk der JA8119 Bäume auf einem Hügelkamm, drei Sekunden später kam es zu einem zweiten Kontakt mit dem nächsten Kamm. Dabei wurde der verbliebene Rest des Hecks, sowie ein großer Teil des rechten Flügels und die anderen drei Triebwerke abgerissen. Das Flugzeug drehte sich auf den Rücken, flog noch 500 Meter durch das Tal und prallte um 18:56:30 Uhr gegen die Felsen. Wie viele der 520 Toten unmittelbar nach dem Absturz noch am Leben waren, lässt sich nicht sagen. Als, wie später oft kritisiert, erst am nächsten Tag die Rettungsaktion voll anlief, konnten noch vier Menschen lebend geborgen werden. Damit ist der Absturz von JAL123 der tödlichste Unfall der Luftfahrtgeschichte mit einem einzelnen Luftfahrzeug.
Wie konnte es so kommen?
Neben dem unvorstellbaren Drama, welches sich in den letzten Minuten an Bord abgespielt haben muss, sorgt vor allem eins für Fassungslosigkeit: Wie kann es sein, dass ohne jede Vorwarnung das Seitenleitwerk eines modernen Verkehrsflugzeuges einfach so abreißt und damit das Schicksal der Passagiere besiegelt?
Um die Frage nach dem Warum dieser Tragödie zu beantworten, müssen wir sieben Jahre zurückgehen. Denn die Geschichte dieses Flugzeuges sollte sich bereits am 2. Juni 1978 auf verhängnisvolle Weise ändern. An diesem warmen Sommertag hatte JA8119 dieselbe Route wie am späteren Unglückstag geflogen. Bei Landung am Itami Airport in Osaka kam es jedoch zu einem sogenannten Tailstrike. Dabei berührt das Heck des Flugzeuges unerwünschterweise den Boden. Das Flugzeug war beim Aufsetzen gehüpft, was den Piloten dazu bewegte, die Nase der 747 zu stark hochzuziehen. Tailstrikes sind zwar immer kritische und unerwünschte, aber nicht zwangsläufig seltene Situationen im globalen Luftverkehr. Im Falle der JA8119 jedoch war durch den Aufprall der Rear Pressure Bulkhead angebrochen. Dieses hintere Druckschott, in der Form einer Halbkugel, dient als hinterer Abschluss des bedruckten Kabinenbereiches. Es ist daher ein wichtiges strukturelles Bauteil, von Boeing eigentlich für eine Lebensdauer von über 20 Jahren ausgelegt.

Wie die Verbindung der Druckschott-Hälften im Originalzustand aussieht. Zu erkennen sind die Hälften der Halbkugel sowie eine beispielhafte Versteifungsrippe.
Die Reparatur eines gebrochenen Pressure Bulkhead ist keine Lappalie. JAL-Techniker reparierten unter Anleitung des Herstellers das Bauteil. Nachdem die Arbeiten beendet waren und die relevanten Personen sowie Behörden ihr OK gaben, flog JA8119 noch mehrere Jahre mit dem reparierten Druckschott auf Inlandsrouten in Japan. Bis zum 12. August 1985.
Ein ungeheuerlicher Fehler
Wie sich nach dem Absturz bei den Ermittlungen der zuständigen Luftsicherheits-Behörden herausstellte, war die Reparatur sieben Jahre vor dem Absturz der entscheidende Faktor gewesen. Man hatte sich dazu entschieden, nicht den gesamten Bulkhead auszutauschen, sondern nur die untere Hälfte, in welcher der Riss entstanden war. Die beiden Hälften (oben das Originalteil, unten das neue), wurden wieder mit Nieten verbunden. Wichtig hierbei ist, dass die verwendete Reparaturplatte (Doubler Plate) die Halbkugel-Hälften mit zwei Nietreihen verbindet. Dies stellt Stabilität sowie Widerstand gegen Riss-Ausbreitung sicher.

Diagramm einer korrekt ausgeführten Reparatur des Pressure Bulkhead. Die Reparaturplatte (Doubler Plate) verbindet die beiden Hälften. Für ein Aufplatzen des Druckbehälters müssten zwei Reihen von Nieten abreißen.
Die Techniker von JAL hatten genau diesen Aspekt aber nicht richtig beachtet bzw. ausgeführt. Ihre Reparatur ergab folgendes Bild:

Diagramm der Reparatur wie sie bei JA8119 durchgeführt wurde. Deutlich zu erkennen ist, dass die Doubler Plate nicht beide Hälften verbindet!
Wie oben sichtbar, wurden statt einer großen Reparaturplatte zwei einzelne genutzt. Dadurch wirkt der Kabinendruck auf ein Blech (hier die untere Hälfte des Schotts), statt auf zwei. Schlimmer jedoch ist die Tatsache, dass bei dieser Konfiguration das Abreißen einer einzelnen Nietreihe ein sofortiges Komplettversagen des Druckschotts bedeutet! Bei einer korrekt ausgeführten Reparatur müssten dafür beide Nietreihen versagen. Auch die Rissausbreitung sollte normalerweise begrenzt sein. Im Unglücksfall führte die falsche Ausführung jedoch zu einer Situation, in welcher sich Ermüdungsrisse genau entlang der Niete fortsetzen konnten.
Das Erbe einer Katastrophe
Sieben Jahre. Sieben lange, ereignislose Jahre konnte JA8119 nach der falschen Reparatur noch fliegen. Doch Materialermüdung ist ständiger Passagier an Bord jedes Airliners. An jenem verhängnisvollen 12. August pflanzte sich ein Riss so weit fort, dass schließlich eine komplette Nietreihe abriss. Ein Riss zwischen den Halbkugelhälften öffnete sich und gab den Weg frei: dutzende Kubikmeter bedruckter Kabinenluft strömten in die Empanage des Jumbos. Das Seitenleitwerk und weite Teile des Hecks platzten buchstäblich wie ein Ballon von innen heraus und verdammten die überwiegende Mehrzahl der Menschen an Bord.
So makaber es klingen mag, in der Luftfahrt hat jeder Unfall auch etwas Gutes. Boeing nahm diverse Anpassungen an seinen Jumbos vor: So wurde sichergestellt, dass in Zukunft nicht mehr alle Hydraulikleitungen so nah beieinander lagen, ebenso baute der Hersteller eine weitere Abdeckung ein die im Falle eines Berstens des Rear Pressure Bulkheads verhindern soll, dass die Kabinenluft in den Heckbereich strömen und ihn zum Bersten bringen kann. Ein geringer Trost für die Angehörigen von 520 Menschen, welche am 12. August 1985 starben.