Strukturmontage bei Airbus: Die Zukunft des Flugzeugbaus

Strukturmontage bei Airbus
Die Zukunft des Flugzeugbaus

Veröffentlicht am 02.02.2020
Die Zukunft des Flugzeugbaus
Foto: Airbus

Die ohrenbetäubende Geräuschkulisse in Halle 245 wirkt ein wenig, als hätte sich ein Specht eine Maschinenpistole geborgt: Mit Serien kurzer Salven hämmern die Roboter hier tausende Niete ein, setzen Verbinder in die Rumpfteile und bauen so aus einzelnen Wandstücken ganze Sektionen und schließlich komplette Rumpfröhren für die Langstreckenversionen der A320neo und A321neo. Außerdem bohren sie in mehreren Schritten die passenden Löcher, tausende pro Flugzeugsegment, oder fügen 32 unterschiedliche Typen von Nieten und Verbindern mit höchster Präzision ein – Genauigkeit 0,2 Millimeter. Zwölf Roboter, jeweils um sieben Achsen beweglich, sind hier alleine mit der Komponentenmontage beschäftigt; acht weitere Roboter, auf schienenartigen „Flextracks“ fahrend, vernieten Längsträger mit der mittleren Rumpfsektion 15.

Bauqualität im Fokus

„Früher waren die Flugzeugkonstrukteure die alleinigen Helden. Die Produktion lief unabhängig davon“, sagt Airbus Chief Operating Officer Michael Schöllhorn bei der offiziellen Einweihung der Halle 245, der neuen A320-Roboter-Strukturmontage in Hamburg. „Aber künftig geht es nicht mehr nur ums Produkt, sondern parallel immer mehr auch um dessen Bau und um die Bauqualität. Per Laser können wir nun auch sehr große und sehr schwere Bauteile genauestens ausrichten. Das schafft bessere Ergonomie, geht schneller, akkurater und ist voll digital. Es ist eine auf den Menschen ausgerichtete Automatisierung“, sagt der promovierte Ingenieur, Fertigungsexperte und Airbus-Konzernvorstand, der Erfahrungen aus der Autoindustrie und auch als Bundeswehr-Hubschrauberpilot mitbringt.

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Roboter erledigen monotone Arbeiten

Weil die hochbeweglichen Roboter direkt in enge Rümpfe kommen und die schwere Nietarbeit übernommen haben, können die Flugzeugbauer nun etwas bequemer arbeiten: Direkt nebenan haben sie gut ausgeleuchtete Stehtische mit voller Bewegungsfreiheit zur Verfügung, um die Werkstücke auf ihren Einbau vorzubereiten. Hier liegen alle benötigten Teile und Werkzeuge ständig griffbereit oder können, wie etwa einzelne Spezialverbinder, per Rohrpostanlage augenblicklich aus dem Lager angeliefert werden. Kein üblicher Handgriff oder Weg ist hier weiter als drei Meter vom jeweiligen Arbeitsplatz entfernt. Niemand muss mehr mit kiloschweren Niethämmern hantieren, so dass auch ältere Arbeitnehmer verwendbar bleiben,wirbt Airbus. Roboter übernähmen zudem besonders monotone Arbeiten. Die menschlichen Flugzeugbauer, die man beim Presserundgang sah, waren aber alle drahtig durchtrainiert und konnten ihren Arbeitsbereich jeweils fließend erklären, sogar auf Englisch. Die Flugzeugbauer in der Roboterhalle arbeiten weiter im normalen Airbus-Schichtsystem. Laut Airbus habe manin der Hamburger A320-Produktiontrotz neuer Roboter mehr Personal eingestellt. Alleine in den letzten zwölf Monaten seien hier 1000 Mitarbeiter hinzugekommen, und man suche noch 200 Strukturmechaniker. Die Roboter machten keine Arbeitsplätze überflüssig, sondern ermöglichten neues Wachstum.

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Mehr große Varianten der A320-Familie

„Unser geplanter Produktionsraten-Anstieg setzt voraus, dass wir stärker automatisieren“, sagt der Leiter des Hamburger Werks, André Walter, der gerade zum neuen Deutschlandchef von Airbus befördert wurde. Zwar steige die monatliche Produktion der A320-Familie konzernweit bis 2021 „nur“ von heute 60 auf 63 Flugzeuge pro Monat, aber immer mehr dieser Flugzeuge entfielen auf die großen Varianten A321neo und A321LR mit der neuen Rumpfausführung „Airbus Cabin Flex“ und anderer Türaufteilung. Und genau deren Rümpfe, jedenfalls von der Mitte bis zum Heck, werden in Halle 245 montiert. Wieviel mehr Flugzeuge die neue Linie schafft, darüber hält sich Airbus bedeckt. Nur allgemein wird der Produktivitätszuwachs mit „20 bis 30 Prozent“ angegeben, auch weil die Flugzeuge nun schneller durch die Produktion kommen und auf kleinerer Fläche entstehen.

Sebastian Steinke

Künstliche Intelligenz ist Trumpf

Dabei könne die für einen dreistelligen Millionenbetrag eingebaute Technik ihre Vorteile noch gar nicht voll ausspielen, denn die A320 sei ein „Legacy Product“, das vor 30 Jahren, lange vor der digitalen Fertigung, konstruiert worden sei, räumt Walter ein. Heute könnte er digital konstruierte Flugzeuge mit noch viel höherer Maßgenauigkeit bauen.

Die Einführung der automatisierten Strukturmontage ist, laut Airbus, ein Lernprozess. Immer enger lässt sich dank der kompletten Digitalisierung der Baufortschritt verfolgen. So überwachen Kameras die Fabrikhallen und beobachten mit Hilfe künstlicher Intelligenz, wo geradeein Leitwerk in der Halle lagert, das gleich eingebaut werden soll. Wenn ein Teil nicht am rechten Fleck steht, schlägt das System Alarm. Zum Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte werden die Arbeiter im jeweiligen Hallenabschnitt übrigens elektronisch aus den Kamerabildern herausgefiltert. Auf dem Computermonitor sieht die in Wahrheit belebte Halle menschenleer aus. Die Kameraüberwachung sei wesentlich einfacher, als erst alle Teile mit RFID-Funkchips auszurüsten, so Airbus.

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Virtuelle Realität hilft beim Üben

Um die Flugzeugbauer an die Roboter zu gewöhnen und um Ängste abzubauen, hat Airbus im Hochparterre der Halle, wo sonst Rumpfstücke angeliefert werden, einen Lehrstand eingerichtet. Hier kann man an Mini-Robotern das Programmieren lernen und üben oder mit einer 3D-Virtual-Reality-Brille den millimetergenauen Einbau von Halterungen für die Einrichtung in der Flugzeugkabine trainieren. Ungefähr drei Monate braucht man, bis man etwa den Flextrack-Roboter perfekt mit allen Finessen steuern kann.

Ob die neue Technik auch an anderen Standorten eingesetzt wird, verrät Airbus noch nicht. Sicher sei, dass konzernweit nicht alle Werke umgestellt würden. Hamburg bleibe auf Dauer der größte Standort für die Airbus-Standardrumpffamilie. Derzeit soll es Überlegungen geben, in den bisherigen A380-Hallen in Toulouse eine ähnliche Technik wie in Halle 245einzurichten, um dort ersatzweise andere Flugzeuge zu bauen.