Die anonymen Quellen der russischen Wirtschaftszeitung Kommnersant lassen kein gutes Haar am Baikal-Flugzeug LMS-901, das im Luftverkehr in Russlands Hinterland möglichst bald die Antonow An-2 ersetzen soll. Deren erster Prototyp flog bereits 1947, doch noch heute setzen die Russen in entlegenen Regionen stark auf den zähen Doppeldecker, der dort oft das einzige Verkehrsmittel für Passagiere und Frachtgut darstellt. Gleich vier Brancheninsider, die Kommersant zu Wort kommen lässt, suggerieren nun, dass die An-2 wohl deutlich länger durchhalten müssen als erhofft – weil das Nachfolgemuster LMS-901 mit massiven Problemen zu kämpfen hat.
Genaugenommen sei es eine Fehlkonstruktion, bei der im Designentwurf "eine Reihe dramatischer Fehler gemacht" wurden, sagt einer der Insider, der aus dem Umfeld des Ministeriums für Industrie und Handel in Moskau stammen soll. Diese Konstruktionsfehler seien "erst jetzt endgültig ans Licht gekommen." Das Baikal-Flugzeug müsse "im Wesentlichen neu zusammengebaut werden", was mindestens drei bis fünf Jahre Zeit in Anspruch nehme – und die Kosten für das ohnehin überteuerte Projekt weiter in die Höhe treibe.

Die LMS-901 Baikal ist ein Turboprop-Hochdecker mit Spornradfahrwerk. Sie soll 300 km/h fliegen und Platz für mindestens neun Passagere bieten.
"Schmerzloses" Ende?
Im Detail stellten die Russen bei Flugtests mit dem Prototyp, der am 30. Januar 2022 erstmals abhob, laut Kommersant massive Stabilitätsprobleme im Langsamflug fest. Wahrscheinlich seien ein größeres Leitwerk, die Verlagerung des Spornrads sowie eine Neukonstruktion des Hauptfahrwerks notwendig. Hersteller UZGA (Ural Civil Aviation Plant) habe deshalb eine weitere Finanzspritze in Höhe von rund zehn Milliarden Rubel (etwa 108 Millionen Euro) beim Ministerium beantragt, wie eine weitere Quelle der Wirtschaftszeitung mitteilte. Die von Kommersant befragten Insider rechnen damit, dass der Kreml infolge dieser Umstände das Baikal-Programm womöglich "schmerzlos beenden" werde – und UZGA sich auf die weiteren zivilen Luftfahrtprojekte TWS-44 Ladoga sowie den 19-Sitzer "Asweja" konzentrieren könnte.
Turboprop-Upgrade für alte An-2
Auch eine Verlagerung des Projekts zur privaten S7-Gruppe, zu der unter anderem die gleichnamige Fluglinie zählt, steht nach Angaben der Kommersant-Insider zur Debatte. Des Weiteren prüfe die Regierung, inwieweit aktive An-2 auf den russischen Turbopropmotor Gluschenko TWD-10B umgerüstet werden könnten. Diese aus den 1960er-Jahren stammende Turbine kam unter anderem bei der Antonow An-3 zum Einsatz, die sich aber nie wirklich durchsetzen konnte. In Russland verbreiteter ist die An-2-Version TWS-2MS, die anstelle des originalen ASch-62-Sternmotors den 1.100 PS starken Honeywell-Turboprop TPE331-12 besitzt. Wegen der geltenden US-Sanktionen ist dieser Motor jedoch seit 2022 nicht mehr verfügbar, weshalb das Gros der TWS-2MS-Flotte derzeit nicht fliegt und geplante Umrüstprogramme für alte An-2 auf Eis liegen. Eine Umrüstung auf den neu aufgelegten russischen Motor sei mit rund 1,8 Milliarden Rubel jedenfalls deutlich günstiger als die Weiterführung des Baikal-Programms, rechnet eine weitere Kommersant-Quelle aus dem Dunstkreis des Staatskonzerns Rostec vor.
Für das TWS-2-Programm war vor einem Jahr auch ein Reverse-Engineering-Vorhaben im Gespräch, bei dem russische Ingenieure das Honeywell-Aggregat nachbauen wollten. Was daraus wurde, ist unklar. Die im Kreuzfeuer stehende LMS-901 Baikal hatte ihren Erstflug 2022 ebenfalls mit einem US-Triebwerk absolviert, dem H80 von General Electric. Serienflugzeuge sollen mit dem von Klimow entwickelten WK-800 abheben. Dessen Entwicklung scheint aber ebenfalls zu stocken – was den designierten An-2-Nachfolger noch weiter ins Abseits schieben könnte.
Dementi aus dem Kreml
Offiziell scheint eine Einstellung des Baikal-Flugzeugs für die russische Regierung jedoch (noch) kein Thema zu sein. Jedenfalls dementierte ein Sprecher des Industrie- und Handelsministeriums umgehend die Angaben aus dem Kommersant-Bericht, wie das Portal Topwar feststellt. "Das Projekt wird nicht eingefroren", unterstrich der Sprecher – vermied es aber, darüber hinaus weitere Details zum Stand des Programms zu nennen.