Tupolew Tu-204/214: US-Notrutschen bremsen russische Airliner aus

Tupolew Tu-204/214
US-Notrutschen bremsen russische Airliner aus

ArtikeldatumVeröffentlicht am 08.08.2023
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Sie sollten eigentlich längst wieder fliegen und reisefreudige Russen während der Sommerferien ins freundlich gesinnte Ausland transportieren: Zwei von insgesamt acht zu reaktivierenden Tupolew Tu-204 und Tu-214 waren der russischen Fluggesellschaft Red Wings als Flottenzugänge versprochen – für April 2023. Später verschob sich der Termin der Übergabe wegen noch ausstehender Kabinenarbeiten auf Ende Juli. Doch auch dieses Zeitfenster ist ergebnislos verstrichen, die Auslieferung der Maschinen erfolgte nicht. Jetzt wird es frühestens Oktober werden. Und auch das nur dann, wenn die russische Luftfahrtbehörde Rosawiazija alle Augen zudrückt und Bedenken über mögliche Sicherheitsrisiken beiseiteschiebt.

Rosrec/UAC

Kleiner Haken, große Wirkung

Denn die russischen Tupolews, von Politik und Industrie gepriesen als quasi frei von westlichen Bauteilen, sind im Detail doch nicht ganz so russisch, wie man vielleicht denken konnte. Zumindest die Notrutschen zur raschen Evakuierung der Passagierkabine bei Notfällen stammen jedenfalls nicht aus Russland, sondern ausgerechnet aus den USA. Hersteller ist die Firma Zodiac Aero Evacuation Systems mit Sitz in New Jersey. Für die Reaktivierung der Tupolews, die der Leasinggesellschaft Ilyushin Finance (IFC) gehören, ist das wegen der gegen Russland geltenden Sanktionen ein Problem. Eines, das laut dem neuen IFC-Chef Mikhail Podkhvatilin gar "den Auftrag der Regierung" gefährdet, wie das russische Luftfahrtportal Aviatorschina schreibt.

Anna Zvereva (CC BY-SA 2.0)

Problemfall Gasbehälter

Demnach sind die Notrutschen – oder vielmehr die dazugehörenden Druckgasbehälter – schuld daran, dass die längst an Red Wings versprochenen Jets, eine Tu-204 und eine Tu-214, nach wie vor nicht lufttüchtig sind. Zwar seien die Rutschen selbst ohne Verfallsdatum nutzbar und unterlägen lediglich einem dreijährigen Wartungsintervall durch einen autorisierten Servicebetrieb, schreibt Aviatorschina. Diese Wartung erfolge durch die russische Firma SPM-Service. Allerdings besitzen die Gasbehälter, mit deren Hilfe sich die Rutschen im Notfall selbsttätig aufblasen, offenbar eine begrenzte Lebensdauer von 15 Jahren. Danach müssen sie ausgetauscht werden, um Fehlfunktionen vorzubeugen. IFC-Chef Podkhvatilin betonte, die zur Reaktivierung vorgesehenen Flugzeuge seien in den Jahren 2005 bis 2007 produziert worden – und das Verfallsdatum der in ihnen verbauten Druckgasbehälter sei entsprechend überschritten.

Tupolew/UAC

Auftrag in Gefahr

In einem Brief an die russische Luftfahrtbehörde führt Podkhvatilin weiter aus, dass eine Lieferung neuer Behälter aus den USA wegen der Sanktionen ausgeschlossen sei. Auch über alternative Lieferwege könne man die Druckgasbehälter nicht beschaffen, weil sie in der benötigten Ausführung einzig für die Muster Tu-204 und Tu-214 sowie für die Irkut MS-21 produziert worden seien. Tupolew arbeite zwar bereits an einer "russifizierten" Variante für die neu aufgelegte Tu-214, doch mit deren Zertifizierung könne man erst im Jahr 2025 rechnen – und ob sie auch für die Tu-204 passe, sei außerdem unklar. Dabei sähe die mit der Regierung getroffene Vereinbarung vor, bereits bis Ende 2024 insgesamt acht Tu-204 und Tu-214 sowie zwei Iljuschin Il-96-400T und eine Antonow An-124 an neue Betreiber auszuliefern. 15,4 Milliarden Rubel (aktuell 146 Millionen Euro) machte der Kreml im Juni 2022 für dieses Programm locker.

Ablaufdatum? Weg damit!

Den Deal nun an einem lächerlichen Detail wie den Notrutschen scheitern zu lassen, kommt für den IFC-Generaldirektor offenbar nicht infrage. Aviatorschina schreibt, Podkhvatilin habe sich bereits an das Staatliche Forschungsinstitut für Zivilluftfahrt gewandt – mit der Bitte, das Haltbarkeitsdatum der abgelaufenen Gasbehälter einfach zu verlängern. Doch dort habe man ihm zu verstehen gegeben, dass man für derlei Entscheidungen nicht die nötige Befugnis besitze. Das wiederum bedeutet laut Podkhvatilin aber, dass IFC "derzeit und in naher Zukunft nicht in der Lage [ist], Flugzeuge vom Typ Tu-204/214 mit Notrutschen auszustatten". Das wiederum könne nicht im Sinne der Regierung sein – weshalb der IFC-Chef die Luftfahrtbehörde in seinem Brief darum bat, "die Anordnung der Regierung nicht zu stören" und die Tupolews bis Mitte 2025 ausnahmsweise mit abgelaufenen Druckgasbehältern abheben zu lassen.