Flugzeugabsturz im Iran: Abschuss durch SA-15?

Ukraine-International-Flug
US-Militär: Iran schoss 737 ab

Veröffentlicht am 09.01.2020
US-Militär: Iran schoss 737 ab
Foto: LLBG Spotter (CC BY-SA 2.0)

Während sich die US-Regierung nach dem Raketen-Schlagabtausch mit dem Iran im Deeskalationsmodus befindet und bisher keine offizielle Stellungnahme zu dem Unglück vom Mittwochmorgen abgegeben hat erläuterten US-Militärs in Hintergrundgesprächen mit US-Medien ihre Sicht der Dinge.

Demnach wurden nach dem Start der 737 der Ukraine International Airlines vom Flughafen Teheran Imam Khomeini (IKA) Signale eines Luftabwehrradars aufgefangen. SBIRS-Aufklärungssatelliten registrierten mit ihren Wärmebildsensoren den Start von zwei Raketen, gefolgt von der Infrarotstrahlung einer Explosion des Flugzeugs. Bei den Raketen handelt es sich vermutlich um Tor-1M (NATO Code SA-15).

Die US-Militärs vermuten, dass der Abschuss versehentlich erfolgte, als sich die iranische Luftverteidigung Stunden nach dem eigenen Angriff auf US-Ziele im Irak in hoher Alarmbereitschaft befand, da man einen US-Gegenschlag mit Marschflugkörpern befürchtete. Im Bereich der Flugroute der ukrainischen 737 liegt eine Stellung mit ballistischen Raketen, die geschützt werden sollte.

Kanadas Premierminister Justin Trudeau sagte am Donnerstagabend bei einer Pressekonferenz: „Wir haben Informationen aus verschiedenen Quellen, einschließlich unserer Verbündeten und unserer eigenen Informationen. Die Beweise deuten darauf hin, dass das Flugzeug von einer iranischen Boden-Luft-Rakete abgeschossen wurde. Dies könnte durchaus unbeabsichtigt gewesen sein.“

Die New York Times zeigte am Abend auf ihrer Website ein „überprüftes Video“ das eine iranische Rakete zu zeigen scheint, die ein Flugzeug über Parand in der Nähe des Flughafens von Teheran trifft. Es gab eine kleine Explosion, als eine Rakete das Flugzeug traf, aber das Flugzeug explodierte nicht, wie das Video zeigt. Der Jet flog noch einige Minuten weiter und drehte wieder wieder in Richtung Flughafen bevor es explodierte und abstürzte, wie andere Videos zeigten.

Derweil teilte die internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) mit, sie habe „in Übereinstimmung mit den Bestimmungen in Anhang 13 des Abkommens von Chicago (Untersuchung von Flugunfällen und Störungen) ... eine offizielle Mitteilung und einen vorläufigen Unfallbericht der Islamischen Republik Iran über den Verlust des Fluges PS752 der Ukraine International Airlines in der Nähe von Teheran erhalten“.

Die ICAO „ruft weiterhin dazu auf, die Spekulationen über die möglichen Ursachen des Unfalls einzuschränken, bis die Untersuchung nach Anhang 13 abgeschlossen und ihre offiziellen Ergebnisse bestätigt sind“.

Austrian und Lufthansa stoppen Flüge nach Teheran

Am Donnerstagabend gegen 22:00 Uhr teilte Austrian Airlines mit: „Aufgrund der aktuellen Meldungen und der geänderten Einschätzung der Sicherheitslage für den Luftraum um den Flughafen Teheran hat Austrian Airlines die heutige und morgige Rotation OS 871/OS 872 nach Teheran abgesagt. Austri plante den Betrieb der heutigen OS 871 mit einem Zwischenstopp in Sofia.

Das Flugzeug kehrt nach dem Stopp in Sofia nach Wien zurück. Die Austrian Airlines Security evaluiert weiterhin gemeinsam mit der Lufthansa Konzernsicherheit sowie nationalen und internationalen Behörden die Situation vor Ort“.

Die Lufthansa ließ am Abend ihren verspäteten Flug LH600 von Frankfurt nach Teheran über Rumänien umkehren. Auch der Flug am Freitag wurde gestrichen. Die Fluggesellschaft steht in Kontakt mit nationalen und internationalen Behörden und wartet auf weitere Details, um zu prüfen, ob und wann eine Wiederaufnahme der Flüge in den Iran sicher ist, hieß es.

737 war auf dem Weg nach Kiew

Die Boeing 737-800 der Ukraine International Airlines (UIA) war am frühen Morgen des 8. Januar um kurz nach 6 Uhr Ortszeit nahe der iranischen Hauptstadt Teheran abgestürzt. Das Flugzeug war kurz zuvor auf dem internationalen Flughafen Teheran Imam Khomeini (IKA) gestartet. Der Absturz erfolgte etwa 15 Kilometer vom Flughafen entfernt auf unbebautem Gelände, zwischen den Ortschaften Parand und Shahriar. Von dem Flugzeug blieben nur weit verstreute, ausgebrannte Trümmer übrig. Laut einstimmigen Berichten gab es an Bord keine Überlebenden.

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Die verunglückte Maschine war mit der Flugnummer PS752 vom Teheraner Flughafen Imam Khomeini nach Kiew-Borispol unterwegs. Diesen Flug hat Ukraine International Airlines täglich im Programm. An Bord befanden sich laut aktuellen Angaben 167 Passagiere und neun Besatzungsmitglieder. Einem Twitter-Post des ukrainischen Außenministers Wadym Prystajko zufolge sollen 82 Passagiere Iraner gewesen sein. Außerdem seien 63 Kanadier, elf Ukrainer (darunter die neun Crew-Mitglieder), zehn Schweden, vier Afghanen, drei Deutsche und drei Briten an Bord gewesen. Das Flugzeug hätte eigentlich um 5.15 Uhr Ortszeit starten sollen, hob aber erst mit einer Stunde Verspätung um 6.12 Uhr ab. Die Ankunft in Kiew war rund vier Stunden später geplant. Laut Aufzeichnungen von Flightradar24 erreichte Flug PS752 nach dem Start eine Flughöhe von 7925 Fuß (2416 Meter), bevor der Kontakt abriss. Einen Notruf haben die Piloten offenbar nicht mehr abgesetzt.

Die abgestürzte Boeing 737-800 trug das Kennzeichen UR-PSR und war am 19. Juli 2016 mit der Seriennummer 38124 werksneu an Ukraine International Airlines ausgeliefert worden. Das Flugzeug gehörte dem Leasing-Unternehmen Varangian Leasing LLC aus Delaware (USA). Die letzte planmäßige Wartung fand laut Ukraine International Airlines erst am 6. Januar 2020 statt.

Schon kurz nach dem Absturz der 737-800 meldete der iranische Nachrichtensender Chabar, dass ein technischer Defekt die Ursache gewesen sei. Der Sender berief sich dabei auf einen Sprecher der iranischen Luftfahrtbehörde. Aus der ukrainischen Botschaft in Teheran war zunächst zu vernehmen, dass Flug PS752 Probleme mit einem der beiden CFM56-Triebwerke hatte. Allerdings zog die Botschaft diese Aussage inzwischen wieder zurück. Stattdessen will die Ukraine nun eigene Ermittlungen einleiten. Ein Sprecher des iranischen Verkehrsministeriums ließ über die Nachrichtenagentur Irna vermelden, dass ein Triebwerk im Flug in Brand geraten sei, worauf der Pilot wenig später die Kontrolle über das Flugzeug verloren habe. Auf einem Twitter-Video, das kurz nach dem Absturz viral ging, ist ein brennendes Objekt am Nachthimmel zu sehen, das nach einigen Sekunden abstürzt und in einem Feuerball auf dem Boden aufschlägt. Ob es sich dabei wirklich um die verunglückte UIA-Maschine handelt, ist allerdings nicht bestätigt. Inzwischen sind offenbar Flugdatenschreiber und Voice-Recorder aus den Trümmern geborgen worden. Von deren Auswertung erhoffen sich die Behörden weitere Erkenntnisse.

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Der Flugzeugabsturz in Teheran geschah mitten in einer politisch und militärisch angespannten Lage, die sich in den letzten Tagen zwischen den USA und dem Iran immer weiter zugespitzt hat. In der Nacht hatte der Iran zwei US-Militärbasen im Irak mit Raketen beschossen und sich damit nach eigenen Angaben für die Tötung des iranischen Generals Soleimani durch eine US-Drohne revanchiert. Die US-Luftfahrtbehörde FAA hatte amerikanischen Flugzeugen daraufhin die Nutzung von Teilen des Luftraums im Nahen Osten untersagt – „wegen erhöhter militärischer Aktivitäten“. Auch die Lufthansa überfliegt nach eigenen Angaben derzeit weder den Iran noch den Irak. Angesichts dieser konfliktbeladenen Situation verwundert es wenig, dass auch über einen Abschuss durch eine Flugabwehrrakete als mögliche Ursache spekuliert wird. So mutmaßt etwa die jordanische Zeitung Al-Hadath, dass die 737-800 versehentlich von der iranischen Luftabwehr abgeschossen wurde. Im Internet kursierende Fotos der Wrackteile scheinen tatsächlch auf Einschläge von Splittern in der Flugzeughaut hinzudeuten. Das könnte einerseits die Theorie eines Abschusses erhärten, andererseits aber auch auf einen „uncontained engine failure“, also ein Triebwerksproblem mit Trümmeraustritt, hindeuten. Zum aktuellen Zeitpunkt ist all dies jedoch Spekulation. Ukraine International Airlines hat alle Flüge nach Teheran bis auf Weiteres ausgesetzt.