Erster Akt: In Europa wird die Luft dünner

"Das ist etwa so wie bei McDonald's."
Jürgen Weber, ehemaliger Vorstandsvorsitzende der Lufthansa über die Franchise-Strategie des Konzerns in den 1990er Jahren.
Der Himmel über Deutschland war lange Zeit ein sicheres Gebiet für den Kranich. Ohne natürliche Fressfeinde operierte die Lufthansa nahezu im Monopol und ohne Wettbewerbsnot. Damit ist Mitte der 90er Schluss. Durch die Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs drängen nun ausländische Carrier aggressiv auf den attraktiven Markt des bevölkerungsreichsten und kaufkräftigsten Landes der Europäischen Union.
Noch wenige Jahre zuvor war Europas Luftverkehr von Verboten und Regeln gezeichnet und gewährte den heimischen Fluggesellschaften Schutz vor ausländischer Konkurrenz und Dumping-Konzepten. Auch die überhöhten Monopoltarife, beispielsweise auf der Strecke Frankfurt-München, konnten der staatlich befürworteten Abschottungspolitik nichts anhaben. Laut EU-Kommission wurden über 60% der aktuellen Strecken nur von einem Unternehmen bedient. Doch seit 1992 gilt das Prinzip "offener Himmel": Allen Fluggesellschaften mit Sitz in der EU ist es nun erlaubt, jede beliebige Strecke in einem anderen Mitgliedsstaat aufzunehmen und die Tarife in Eigenregie frei zu gestalten. Morgendämmerung für die Billigflieger.

Damit der Kranich nicht droht, seinen Auftrieb im Gewusel der freien Marktwirtschaft zu verlieren, bedient sich Konzernchef Weber eines Konzepts, das sich bereits bei Burger und Pommes als echte Gewinnmaschine herausgestellt hat: Franchise. Ausgewählte Strecken werden von Lufthansa vollständig auf kleinere Partnerfirmen übertragen, die zunächst unter dem Label der Lufthansa Cityline, ab 1996 schließlich als "Team Lufthansa" vom Image des großen Bruders profitieren sollen. Was Augsburg Airways, Contact Air und Co. als Mini-Carrier dann unter LH-Flugnummer in die Kasse fliegen, wird anteilig an den Kranich als Lizenzgebühr weitergereicht. Zwar werden die Strecken vom Konzern mit ausgewählt, das wirtschaftliche Risiko des Betriebs verbleibt jedoch beim Partnerunternehmen. Ziel ist es, so dem steigenden Preisdruck durch effizientere Anbieter, wie Deutsche BA und Easyjet, standzuhalten und ihnen im erbitterten Preiskampf nicht die lukrativen Nischenstrecken überlassen zu müssen. Möglich ist dies durch die Unabhängigkeit vom LH-Tarifvertrag beim Betrieb der Mini-Partner.
Kritik an der "Mogelpackung"
Schon Anfang 1993 jedoch blickt ganz Deutschland erstmals voller Argwohn auf das Franchise-Konzept des Kranichs: Cityline-Flug LH5634 hebt am 6. Januar 1993 pünktlich um 17:30 Uhr vom Bremer Flughafen ab und nimmt Kurs auf Paris. Gegen 18:15 Uhr deutscher Zeit befindet sich die DHC-8-300 im Anflug auf den Flughafen Charles-de-Gaulle. Da zuvor ein Jumbo-Jet mit dem äußeren Triebwerk die Piste berührt hat, sperrt die Flugsicherung kurzerhand die Landebahn und weist der Contact Air-Maschine die parallel verlaufende Piste zur Fortsetzung des Anflugs zu. Fünf Minuten später bricht der Kontakt zur Flugsicherung ab und der Tower erklärt einen Notfall. Die Dash 8 mit dem Kennzeichen D-BEAT ist 1,8 Kilometer vor der Landebahnschwelle auf dem Boden aufgeschlagen. Vier Passagiere sind tot.
In der Folge wird Lufthansa öffentlich angegriffen. Als "Mogelpackung" wird die Kurzstrecke mit Partnerairlines abgetan. Zwar "kaufe man eine gelb-blaue Bordkarte", doch die selbstverständlichen "Wartungs- und Trainingsstandards des Kranichs" seien nicht inbegriffen. Als bekannt wird, dass nach vorangegangener Prüfung Contact Air nicht als Kooperationspartner zu empfehlen sei, wird die Luft für den Kranich dünner. Sowohl Flugkapitän als auch Copilot werden sofort von Contact Air entlassen und stehen einige Monate nach dem Zwischenfall gemeinsam mit dem französischen Fluglotsen in Paris vor Gericht. Im Pingpong-Match der Schuldzuweisungen schafft es Lufthansa geschickt, sich aus dem Lichte der Verantwortung zu entziehen. Das Teamkonzept scheint gerettet und die Flotten der Mitglieder wachsen kräftig.

Zweiter Akt: Höhenflüge unter dem Schutz des Kranichs
Der Wettbewerb bleibt hart, aber das Konzept "Franchise" geht auf. Bis zur Jahrtausendwende fliegen fünf Teammitglieder im Verbund für den Kranich Passagiere zu den großen Drehkreuzen: Augsburg Airways, Contact Air, Cimber Air, Rheintalflug und Air Littoral. 2000 tritt auch Cirrus Airlines dem Bündnis bei. Hohe Wachstumsraten der Regionalstrecken abseits der Drehkreuze sorgen für lukrative Umsätze. Der Geschäftsreisende der 2000er-Jahre möchte seine Reise direkt vor der Tür beginnen, anstatt erst zeitintensiv an einem Drehkreuz einzusteigen.
Wichtigster Verbündeter ist seit dem Winterflugplan 1996/97 Augsburg Airways mit einer Flotte von anfangs vier, Ende 1999 zwölf Maschinen. Bedient wird neben der Rennstrecke zwischen dem Heimatflughafen Augsburg und Frankfurt auch die Strecke Paderborn-München sowie weitere Nischenziele fernab der Hubs, beispielsweise Hamburg, Leipzig und Dresden. Zur Jahrtausendwende verfehlen die Turboprops die Millionenmarke nur um wenige Tausend Passagiere. Die Entwicklungsmöglichkeiten in Augsburg sind jedoch nun vollständig ausgeschöpft. Lange wird öffentlich mit dem Gedanken gespielt, ein Anteilseignerwechsel besiegelt die Entscheidung schlussendlich: Augsburg Airways zieht im Jahr 2002 an den Münchner Flughafen und rüstet sich für neue Höhenflüge, teilweise sogar unter eigenem Namen im Chartergeschäft – vorwiegend jedoch weiterhin für den Kranich: nun auch ganz formell mit LH-Flugnummern. Bis zum Jahr 2010 wird die Regionalflotte ehrgeizig erneuert und folgt stets den Anforderungen der mütterlichen Flottenpolitik, wenn auch nicht mehr als Teil des Teams, sondern unter der Dachmarke "Lufthansa Regional". Bis 2009 nehmen die Dash 8 Q300 Abschied vom Dienste im Namen des Kranichs und werden durch größere Q400 sowie E-Jets aus Brasilien ersetzt. im Jahr 2010 umfasst die Flotte fünf E-190, einen E-195 sowie neun Dash 8-Q400 – modernste Regionaltechnik, neben einigen kleineren Wetlease-Abkommen beinahe vollständig im Dienste der Lufthansa.

Cirrus Airlines wird zur Jahrtausendwende adoptiert und bringt ihre beiden Heimatflughäfen Saarbrücken und Mannheim bis zu zwei Mal täglich in das kontinentale Zubringernetz des Kranichs. Hamburg wird genau wie Dresden, Sylt und weitere deutsche Airports in das stetig wachsende Netzwerk eingegliedert. Die Eigentümerstruktur nähert sich über die Jahre immer stärker an Teamschwester Augsburg Airways an. Der wachsende Preisdruck und die Wirtschaftskrise lassen die Saarbrückener Airline letztendlich nach Hallbergmoos ziehen, um mit Augsburg Airways gemeinsame Büroräume zu nutzen und die Verwaltung zu verschlanken. München wird neuer Heimatflughafen, auch wenn der hauseigene Technik- und Trainingsbetrieb vorerst nicht mit umzieht.

Mit Contact Air kommt 1996 geballte Turboprop-Power in den Teamverbund. Elf Fokker 50 unterstützen den Kranich, vorrangig für Flüge ab Stuttgart und Saarbrücken. Über die Jahre werden die Maschinen durch Fokker 100 ersetzt und bringen so mehr Jets in den Regionalverbund ein. Neben Team Lufthansa ist die Airline zeitweise auch noch für Swiss im Wetlease oder im Charterverkehr unter Eigenregie tätig.

Auch in den Nachbarländen kann der Kranich neue Partner für sein Franchise-Netzwerk gewinnen. Ab 1998 stellt sich die österreichische Rheintalflug in den Dienst der Lufthansa und operiert vorwiegend ab Friedrichshafen überregional in der Bundesrepublik. Im Februar 2001 geht das Unternehmen in den Besitz von Austrian Airlines über, bevor es mit Tyrolean Airways fusioniert, um fortan als Austrian Arrows im österreichischen Markt aufzutreten. Um im französischen Markt Fuß zu fassen, stößt zur Jahrtausendwende Air Littoral zum Team hinzu und fliegt dem Kranich vor allem in Südfrankreich Marktanteile ein. Von den Mini-Hubs in Nizza und Montpellier bedient Air Littoral überregionale Ziele mit CRJ-Jets. Die Zusammenarbeit hält jedoch nur wenige Jahre.
Bereits 1990 arbeitet die dänische Cimber Air mit der Lufthansa zusammen und operiert zu Hochzeiten mit bis zu fünf ATR 42 für die deutsche Traditionsmarke. Schwerpunkt des Codeshare-Streckennetzes liegt auf nordischen Zielen, wie Kopenhagen und Kiel. 2015 geht das Unternehmen in SAS Scandinavian Airlines auf.

Dritter Akt: Descend – Approach – Crash
Ende der 2000er-Jahre haben Lufthansas Regionalverbündete den Gipfel des Wachstums erreicht. Der Name Team Lufthansa ist 2004 der Dachmarke "Lufthansa Regional" gewichen, unter der nun 27 Maschinen operieren. Die kleinen Carrier, wie Air Littoral oder Cimber Air haben den Verbund bereits verlassen. Lufthansa Regional operiert nun als Dreiergespann aus Augsburg Airways, Contact Air und Cirrus Airlines am Himmel über Europa.
Contact Air | Cirrus Airlines | Augsburg Airways | |
Fokker 100 | 6x (2 weitere für Swiss) | ||
Dornier 328 | 8x | ||
Dash8 Q400 | 7x (1 weitere im Eigenbetrieb) | ||
Embraer E170 | 1x | ||
Embraer E190 | 2x | ||
Embraer E195 | 5x |
Im April 2012 ändert sich die Lage plötzlich grundlegend. In den Reihen der Lufthansa macht ein Schreiben des Vorstands die Runde und kündigt das neue Kostensenkungsprogramm Score an, mit dem in den nächsten zwei Jahren über 1,5 Milliarden Euro eingespart werden sollen. Dem voran ist die Erneuerung der Flottenstrategie publik geworden. Deren Credo: Die Kranich-Flotte muss moderner, jünger und kosteneffizienter werden. In den nächsten Jahren werden deshalb bis zu 32 neue Flugzeuge übernommen, vorrangig Airbus-Mittelstreckenjets und CRJ900.

Mit ihrer exotischen Einheitsflotte ist Contact Air dabei der Außenseiter: Die Fokker 100 passen nicht mehr in die Konzernstrategie. Wie bereits im November 2011 bekannt wird, beendet der Kranich die Zusammenarbeit zum Ende des Sommerflugplans 2012. Sechs der acht Maschinen sind nun auftragslos. Contact Air stürzt sich nach 16 Jahren Kranich-Verbund in die Arme von OLT Express Germany, die wiederum sieben Monate später ebenfalls den Betrieb einstellt.
Noch vor Auslaufen des LH-Vertrages mit Contact Air gerät Cirrus Airlines plötzlich in Turbulenzen. Ende Januar 2012 stellt Cirrus Airlines ohne vorherige Ankündigung den gesamten Flugbetrieb innerhalb von Stunden ein und beordert die gesamte Flotte zurück zum Heimatflughafen Saarbrücken. Alle Flüge werden annulliert. Drei Tage später wird Insolvenzantrag gestellt. OLT Express Germany äußert auch hier massives Interesse an einer Übernahme, die Verhandlungen platzen jedoch vier Monate später. Aus dem ursprünglichen Dreierteam ist nun ein Einzelkämpfer geworden: Augsburg Airways operiert weiterhin beinahe ausschließlich auf den Regionalstrecken des Kranichs.

Nach außen wird mit Überraschung und Unverständnis reagiert, die Entscheidung war jedoch abzusehen: Im Oktober 2012 gibt der Konzern bekannt, dass Lufthansa auch den Vertrag mit Augsburg Airways zum Oktober 2013 auslaufen lassen wird. Die Routen ab München sollen fortan in Eigenregie durch die Konzerntöchter Cityline und Air Dolomiti bedient werden. Die defizitären Direktverbindungen abseits der Hubs Frankfurt und München werden mit Germanwings und der Regionaltochter Eurowings neugeordnet.
Innerhalb von einem Jahr fallen für Augsburg Airways 37 Destinationen und damit Aufträge für bis zu 15 Flugzeuge weg. Auch ein neu geschlossenes Wetlease-Abkommen mit Swiss für die Strecke Nürnberg-Zürich viermal täglich kann die 450 Mitarbeiter am Standort Hallbergmoos nicht retten. Zum 31. Oktober 2013 stellt die Augsburger Traditionsairline in Folge des Wegbrechens des größten Auftraggebers Lufthansa den Betrieb ein. Sieben Maschinen gehen direkt über in die Hände der Lufthansa Group.
Die Ära "Team Lufthansa" endet am 28. Oktober 2013 mit dem Abzug der Flotte vom Münchener Flughafen.
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Fazit
Ein altes griechisches Sprichwort lautet: "Mache Dich von niemandem abhängig. Selbst Dein Schatten verlässt Dich in dunklen Zeiten."
Den Franchise-Mitgliedern des Teams Lufthansa fehlte es letzten Endes an einem tragfähigen Konzept, auch außerhalb des Kranich-Kosmos zu überleben. Als die Verträge aufgekündigt wurden, waren die eigenen Flotten zu groß, der Betrieb in Eigenregie wirtschaftlich nicht darstellbar, das Ende damit unausweichlich. Ein Schicksal, das neuen Regionalfluglinien als Mahnung gelten sollte.