Der Stadtstaat Singapur liegt an der südlichen Spitze des asiatischen Festlands. Mit gerade mal 5,4 Millionen Einwohnern und geografisch abseits der Rennstrecken des Weltluftverkehrs ist das kleine Land eigentlich nicht prädestiniert, eine Weltmacht im Airline-Geschäft zu sein. Doch viel früher als etwa die Golfstaaten hat Singapur erkannt, wie wichtig für die Entwicklung eines Landes seine aktive Rolle im Luftverkehr ist. Singapore Airlines (SIA) hat sich seit ihrer Betriebsaufnahme unter diesem Namen am 1. Oktober 1972 zu einer weltbekannten Airline-Marke entwickelt, die bis heute als Inbegriff des komfortablen Fliegens gilt. Jahrzehntelang war dies ein Garant für gute Gewinne und Wohlstand für ihr Heimatland. Nach Passagierkilometern und Umsatz rangiert SIA derzeit auf Platz 18 weltweit – noch vor ANA oder easyJet – und befördert rund 19 Millionen Passagiere jährlich in ihren 107 Flugzeugen. Doch seit einigen Jahren weht SIA ein schärferer Wind entgegen, seit ihr die Fluggesellschaften am Golf auf Langstrecken ebenso erbittert Konkurrenz machen wie asiatische Billigflieger auf Regionalstrecken.
Daher muss sich die sonst eher diskret agierende SIA energisch neu aufstellen. Genau das tut ihr CEO Goh Choon Phong, seit Anfang 2011 im Amt und zuvor schon 25 Jahre bei SIA tätig. Eines seiner wichtigsten Instrumente ist die Bildung einer schlagkräftigen Firmengruppe, die für jedes Marktsegment das richtige Angebot parat hat. Dazu gehören vier Marken: neben SIA die regional tätige Full-Service-Gesellschaft Silk Air (3,5 Mio. Passagiere jährlich, 29 A320/Boeing 737), im Niedrigpreisbereich Tiger Air (5,1 Mio. Passagiere, 27 A319/A320) für regionale und Scoot (6 Mio. Passagiere, 10 Boeing 787) für Langstrecken. Alle rücken neuerdings enger zusammen, um die Konkurrenz von außen abzuwehren.
„Vor fünf Jahren schon haben wir begonnen, SIA und Silk Air einzugliedern“, sagt CEO Goh Choon Phong im Interview mit der FLUG REVUE an Bord des Überführungsflugs der ersten A350. „Seitdem wächst Silk Air hervorragend, meist zweistellig, und das nur wegen der besseren Integration mit SIA.“ Das soll jetzt zum Vorbild dafür werden, dass auch die Billig-Ableger Scoot und Tiger Air enger zusammenrücken, bis hin zu einer möglichen Fusion. „Die schließen wir nicht aus, aber im Moment sehen wir noch mehr Sinn darin, sie beide als eigene Marken zu erhalten“, so Goh. „Low-Cost-Gesellschaften sind sehr stark gewachsen in Singapur, da konnten die Etablierten nicht mithalten“, berichtet der SIA-Chef. „Das ist eine große Chance für uns – ein Wachstumspotenzial, das wir anzapfen können, wenn wir die richtigen Vehikel dafür haben, und deshalb haben wir Scoot gegründet und Tiger privatisiert. Damit können wir jetzt beide effektiver integrieren.“
Scoot-Chef Campbell Wilson, ein drahtiger Neuseeländer, scheint von den Fusionsideen weniger begeistert zu sein, aber setzt die geforderte Angliederung um, zunächst mit der Verknüpfung der Buchungssysteme von Scoot und Tiger, „damit wir gegenseitig Sitze beim Partner verkaufen können“, so Wilson im Gespräch mit der FLUG REVUE in Singapur. „Tiger und Scoot stehen bei der technischen Abstimmung allerdings noch am Anfang“, klagt SIA-Chef Goh, und sein Scoot-Kollege ergänzt, gerade mal fünf Prozent der Passagiere stiegen zwischen beiden Billiglinien um.
Das soll sich ändern, genauso wie mehr Passagieraustausch auch zwischen Scoot und der Mutter SIA angestrebt wird. Wobei dabei stets die Gefahr der Kannibalisierung besteht: Mutter und Billigtöchter bedienen manche Strecken parallel. Tatsache ist, dass Scoot jetzt die Gewinnzone erreicht. „Die Zahlen, die Scoot mit der 787 erreicht, sind sehr ermutigend“, lobt Goh, während Campbell Wilson ergänzt: „Scoot hilft SIA, neue Märkte zu erschließen. Wir sind die zweitgrößte Gesellschaft in der SIA-Gruppe.“ Derzeit bedient Scoot 18 Ziele in neun Ländern; 25 bis 30 Destinationen könnten es werden, findet Wilson. Und sogar SIA-Chef Goh bestätigt: „Es ist möglich, dass Scoot irgendwann nach Europa fliegt.“ Die Reichweite jedenfalls hätte die 787-Flotte, die mit 335 (787-8) beziehungsweise 375 Sitzen (787-9) dicht bestuhlt ist. „Brüssel und Stockholm wären mögliche neue Ziele in Europa“, sinniert Goh und lässt offen, ob er dabei zunächst Scoot vorschicken würde.
Neue Deutschlandroute nach Düsseldorf
Doch erst mal ist die Mutter SIA dran mit neuen Routen und Flugzeugen. Anfang März übernahm sie in Toulouse ihre erste A350. „In den letzten fünf Jahren haben wir auf Langstrecken nur sehr wenig expandiert, wir hatten einfach nicht das richtige Flugzeug mit der richtigen Effizienz, um in wirtschaftlich sinnvoller Weise zu wachsen“, so Goh Choon Phong. „Die A350 ist wirklich wegweisend für uns, denn genau dieses Flugzeug bietet uns die richtige Größe, Effizienz und Kabine, um auf der Langstrecke mehr Kapazität zu haben.“
Die A350 wird im Juli dieses Jahres eine neue Deutschlandroute für SIA eröffnen: von Singapur nach Düsseldorf. „Diese Strecke wäre ohne die A350 für uns nur schwer zu bedienen gewesen“, fügt Goh hinzu. Dabei spielt auch das Joint Venture von SIA und Lufthansa auf Strecken zwischen Asien und Europa eine wichtige Rolle. „Das macht Düsseldorf als Ziel sehr viel effizienter, da können wir unsere Passagiere an das Lufthansa-Europanetz anbinden“, freut sich Goh, „und wir können die Größe und Technologie der A350 nutzen, um Ziele zu bedienen, die in der Vergangenheit nicht denkbar gewesen wären.“
Geplante Rückkehr auf die Ultralangstrecke
Die 253 Sitze der A350 (42 in der Business Class, 24 in der Premium Economy und 187 in der Economy) bieten nahezu das perfekte Volumen, um neue Routen abseits der Rennstrecken zu eröffnen oder die Frequenzen mit Zusatzflügen zu bestehenden Zielen aufzustocken. Die erste Langstrecke für den Neuzugang der SIA-Flotte führt seit dem 9. Mai nach Amsterdam, bislang beflogen mit einer Boeing 777-300ER. SIA ist der größte Kunde mit 67 festen Orders für die Basisversion A350-900. Interessanterweise wird die Gesellschaft die A350 auf allen Arten von Routen einsetzen, von Regionalstrecken innerhalb Asiens über Langstrecken bis hin zu ultralangen Routen. SIA ist auch der Erstkunde für eine ganz neue Version, die A350-900ULR. „Strategisch ist die ULR für uns sehr wichtig, weil die USA ein derart bedeutender Markt sind. Wir planen, 2018 wieder Nonstop-Dienste von Singapur nach New York, Los Angeles und einer weiteren Stadt einzuführen“, sagt Goh.
SIA hatte die 18 Stunden und länger dauernden Nonstop-Flüge vom Changi Airport nach Newark sowie die etwas kürzere Route nach Los Angeles 2013 eingestellt. Die Kerosinpreise waren zu hoch und die dafür eingesetzten vierstrahligen A340-500 daher so teuer, dass die Route nicht kostendeckend betrieben werden konnte. Und Goh stellt gleich klar: „SIA würde nie irgendwohin nur aus Prestigegründen fliegen, etwa um die längste Flugroute der Welt zu haben. Es muss immer kommerziell sinnvoll sein. Mit der A350-900ULR wäre die Nonstop-Route in die USA auch bei höheren Kerosinpreisen derzeit wirtschaftlich zu betreiben.“
Die A350-900 wird neben der gegenwärtigen Langstrecken-Basisversion mit 253 Sitzen gleich in zwei weiteren Versionen in die SIA-Flotte integriert. „Es ist klar, dass die ULR weniger Sitze haben wird als die reguläre Version, und dann wird es auch noch die Regionalversion mit mehr Plätzen geben“, so Goh. Interessanterweise kann die ULR-Version problemlos wieder in die -900er-Basisversion zurückverwandelt werden, indem einfach ein Teil der Tankkapazität stillgelegt wird. Anders als andere Ultralangstrecken-Flugzeuge verfügt die A350-900ULR nicht über größere oder zusätzliche Tanks, vielmehr nutzt sie einfach die vorhandenen Kapazitäten bis zum Maximum aus.
Aber das liegt alles noch recht weit in der Zukunft, aktuell hat die Einführung der A350 Priorität. Sie wird bis zu 25 Boeing 777-200 und -200ER und 29 A330-300 ersetzen, von denen die A330 alle geleast sind. „Gegenwärtig haben wir etwa 40 Piloten, die qualifiziert sind, die A350 zu fliegen – alle umgeschult von der A330 dank des gleichen Type Ratings“, erklärt SIA-A350-Chefpilot Paul Ho. „Am Ende des Jahres, wenn wir elf A350 bekommen haben, werden wir über etwa 100 Piloten verfügen“, so Ho. Das Kabinenprodukt entspricht den jüngsten Boeing 777-300ER von SIA, die auch täglich Frankfurt bedienen, mit kleinen Verbesserungen. Als Erfolg für SIA erwiesen hat sich die neue Premium Economy Class bei einer Reduzierung der Sitzanzahl in der Economy Class. Faktisch bedeutet dies, dass die Asiaten das billigste Marktsegment zunehmend den Golf-Gesellschaften überlassen. „Wir reagieren darauf, was uns unsere Kunden sagen“, kommentiert der CEO.
SIAs Premium Economy, ausgestattet mit Sitzen des deutschen Herstellers ZIM, der auch die Premium-Economy-Sitze für Lufthansa liefert, mutet recht luxuriös an und punktet mit einem Sitzabstand von 96,5 Zentimetern sowie Champagner als Teil des Bordservices.
Mit der großen 777 ins winzige Wellington
Von entscheidender Bedeutung gerade für SIA als Erstkunden ist seit der Einführung 2007 die A380. „Wir haben derzeit 19; neun davon sind geleast. Wir bekommen ab der zweiten Jahreshälfte 2017 die ersten von fünf weiteren neuen A380“, erklärt Goh. „Wir haben noch nicht endgültig entschieden, ob wir dafür fünf ältere abgeben oder die Gesamtflotte der A380 vergrößern.“
Klar ist aber, dass die nächsten SIA-A380 über völlig neue First- und Business-Class-Kabinen verfügen werden. „Das wird noch großartiger als unsere bisherigen Produkte“, rührt der CEO die Werbetrommel. Ab 2018 erhält SIA ihre ersten Boeing 787, nachdem alle zuvor bestellten an Scoot geliefert wurden. Insgesamt 30 Boeing 787-10 hat SIA bestellt. „Sie sind etwas größer als die A350 und werden auf regionalen Strecken die 29 Airbus A330 ersetzen.
Die sind alle geleast, die geben wir dann zurück“, so Goh. „Die Kombination aus Flugzeugleasing und Flugzeugkauf ermöglicht uns, flexibel auf die Marktlage zu reagieren.“ Neben der Düsseldorf-Strecke startet SIA in diesem Jahr ab Ende September noch eine interessante Route, den sogenannten „Canberra Express“. Er wird Singapur via der australischen Hauptstadt Canberra (südlich von Sydney gelegen) mit der neuseeländischen Kapitale Wellington verbinden. „Wir glauben, das ist sehr lohnend“, sagt Goh Choon Phong. „Deswegen machen wir das. Das ist von Bedeutung für beide Städte und aufregend für uns als Airline, weil das die erste echte internationale Anbindung für beide Hauptstädte sein wird.“
Geflogen wird mit einer Boeing 777-200 viermal wöchentlich auf der Route Singapur-Canberra-Wellington und zurück. Die Bahn in Wellington ist so kurz, dass hier normalerweise nur Flugzeuge der Größenordnung A320/Boeing 737 landen. Dank der kurzen Flugdistanz von rund 2300 Kilometern gebe es keine Beschränkungen bei der Nutzlast der Boeing 777 von und nach Wellington, versichert Goh Choon Phong. Dabei schimmert wieder die Fähigkeit von SIA durch, schwierige Umstände geschickt zu nutzen.
Singapore Airlines – Daten und Fakten
IATA-Code: SQ
ICAO-Code: SIA
Konzern: Singapore Airlines Group (im Mehrheitsbesitz der staatlichen Temasek Holdings)
Betriebsaufnahme: 1. Oktober 1972
Mitarbeiter: 23 963
beförderte Passagiere: 2014: 18,7 Mio., 2013: 18,6 Mio., 2012: 18,2 Mio.
Flotte: Airbus A330-300: 29, Airbus A350-900: 1, Airbus A380: 19, Boeing 777-200: 11, Boeing 777-200ER: 14, Boeing 777-300: 6, Boeing 777-300ER: 27 bestellt: Airbus A350-900: 66, Airbus A380: 5, Boeing 777-300ER: 3, Boeing 787-10: 30
Heimatbasis und Drehkreuz: Singapur-Changi
Streckennetz: 61 Zielorte in 35 Ländern auf 6 Kontinenten, darunter Frankfurt und München in Deutschland
Gewinn (Zahlen für SIA-Gruppe): 2014: 284 Mio. US-Dollar, 2013: 285 Mio. Dollar www.singaporeair.com
FLUG REVUE Ausgabe 06/2016