Witali Saweljew ist kein unbeschriebenes Blatt in der Luftfahrt. Bevor der heutige Verkehrsminister Russlands Ende 2020 sein Amt antrat, war er immerhin für über ein Jahrzehnt Vorstandschef der Aeroflot-Gruppe. In dieser Zeit gewann Aeroflot reihenweise internationale Preise, flog konstant auf Wachstumskurs und erwarb sich bei Passagieren in aller Welt einen tadellosen Ruf. Saweljew weiß also, worauf es im Airline-Business ankommt – und er scheint zugleich auch ein ausgesprochen optimistisch gestimmter Mensch zu sein. So gab er jüngst im Verkehrsausschuss des russischen Parlaments, der Duma, zu Protokoll, dass die Passagierflugzeuge, die bei russischen Fluglinien im Einsatz stehen, trotz geltender Sanktionen noch für etwa zehn Jahre lufttüchtig bleiben können. Das gelte sowohl für die im Inland produzierten Muster als auch für aus dem Westen stammende Maschinen, die im Inventar der russischen Airlines den absoluten Löwenanteil ausmachen.

Ersatzteile aus "Parallelimporten"
Angesichts eines durchschnittlichen Flottenalters von 15 Jahren sei diese Einschätzung nicht nur realistisch. Sie könne auch ohne die viel beschworene "Kannibalisierung" einzelner Flugzeuge erreicht werden, unterstrich Saweljew. Insgesamt seien derzeit 1.167 Flugzeuge in Russland im Einsatz, und keines davon sei "vollständig für Ersatzteile zerlegt worden", zitiert die Nachrichtenagentur Interfax den russischen Minister. Es gebe "keine Kannibalisierung, wie wir sie erwartet hatten." Stattdessen laufe weitgehend alles normal – auch der Zufluss von Ersatzteilen sei gewährleistet. "Wir werden auf die eine oder andere Weise mit Ersatzteilen versorgt", versichert der Minister, ohne in diesem Punkt konkrete Quellen zu nennen. "Ich möchte betonen, dass es sich um normale, zertifizierte Ersatzteile handelt, die nicht von irgendjemandem auf Knien hergestellt werden. Ja, es gibt eine komplizierte Logistik, es gibt Parallelimporte – trotzdem funktioniert alles", so Saweljew. Damit bleibe der heimischen Luftfahrtindustrie ausreichend Zeit, eigene "neue, hochmoderne Modelle zu entwickeln", die den Bestand westlicher Flugzeuge Schritt für Schritt ersetzen sollen.

Russen fliegen "mehr als vor Covid"
Inwieweit die beinahe euphorischen Prognosen des Verkehrsministers der Realität entsprechen, lässt sich aus der Entfernung schwer zweifelsfrei prüfen. Fakt ist allerdings, dass gegenwärtig tatsächlich die allermeisten von Airbus und Boeing gebauten, an russische Airlines gelieferten Flugzeuge mehr oder weniger aktiv im Dienst stehen. Einzige Ausnahme ist die A350-Teilflotte von Aeroflot, bei der von sieben ausgelieferten Maschinen fünf seit Monaten am Boden parken. Die "Brot-und-Butter"-Arbeitspferde à la 737 und A320 fliegen jedoch weiter munter durch die Lande – egal ob bei Aeroflot und den Tochter-Airlines Rossiya und Pobeda, oder bei eigenständigen Carriern wie S7 Airlines, UTAir, Smartavia oder Izhavia. Airbus-Chef Guillaume Faury konstatierte Ende Februar: "Trotz der Sanktionen konnten russische Fluggesellschaften weitermachen und flogen in der zweiten Jahreshälfte 2022 sogar mehr als vor Covid." Allerdings sagte Faury auch, sein Unternehmen höre aus Russland "von Fällen, in denen Teile und Komponenten fehlten" und man sei "besorgt über die Bedingungen, unter denen die Flugzeuge betrieben werden."

Hinweise auf Schwierigkeiten
Tatsächlich gab es aus Russland in jüngster Vergangenheit immer wieder Meldungen, die sehr wohl auf sanktionsbedingte Betriebsprobleme im Luftverkehr hindeuten. So bat laut einem von dpa aufgegriffenen Bericht der Zeitung Iswestija ein technischer Berater von Aeroflot die zuständigen Behörden im Februar um die "ausnahmsweise Verlängerung von Intervallen bei der technischen Instandhaltung" von Passagierflugzeugen – weil bestimmte Prozeduren zwar protokollarisch Pflicht, in der Praxis derzeit aber schlicht nicht machbar seien. Im November 2022 gab die Fernost-Airline Yakutia bekannt, dass sie zwei nicht betriebsbereite Suchoi Superjet ausschlachte, um Teile für die beiden weiteren Superjets der Flotte vorzuhalten. Insbesondere ging es dabei wohl um die SaM-146-Triebwerke des in Russland entwickelten Regionaljets, die von dem französisch-russischen Joint Venture Powerjet stammen.