Weight & Balance: Wie wird ein 737-Frachter beladen?

Weight & Balance für Einsteiger
Wie wird ein 737-Frachter beladen?

Veröffentlicht am 12.09.2021

Die 737 ist eine Erfolgsgeschichte. Neben dem Airbus A320 ist der Kurz- und Mittelstreckenjet aus dem Hause Boeing einer der meistverkauften Flugzeugtypen aller Zeiten. Obwohl viele Fluggesellschaften die Typenversionen -400 und -500 im Passagierverkehr gegen leisere, effizientere Maschinen ersetzt haben, sind dank der Umrüstung zu Frachtern viele "alte" 737 auch nach 20 Dienstjahren noch heute am Himmel unterwegs.

Aeronautical Engineers Inc. (AEI)

Wo früher Passagiere auf ihrem Weg in den Urlaub gesessen haben, werden heute tonnenschwere Flugcontainer mit Frachtstücken jeglicher Art verladen. Bei der Ladeplanung der Maschine kann nun jedoch nicht mehr wie einst bei Fluggästen und Gepäckstücken auf standardisierte Durchschnittsgewichte als Grundlage zur Schwerpunktberechnung zurückgegriffen werden. Für einheitliche Ladeverteilungen ist das Frachtaufkommen und das Gewicht der zu verfliegenden Güter zu wenig vorhersehbar. Bereits in dieser Hinsicht unterscheidet sich die Ladeplanung von Fracht- zu Passagiermaschinen grundlegend. Doch wie wird die Fracht sicher, effizient und regelkonform auf eine Boeing 737 verteilt?

Baugleiche Maschinen existieren (fast) nicht

Frachtfluggesellschaften greifen für ihre Kurz- und Mittelstreckenflotte zumeist auf alte Umbaufrachter zurück. Ähnlich wie bei Autos werden Flugzeuge von Werk aus mit einer von vielen Ausstattungsoptionen an ihren Erstkunden ausgeliefert. Jede Airline hat eigene Anpassungswünsche, was sich im Leergewicht der Maschinen bemerkbar macht. So lassen LowCost-Carrier ihre Jets oftmals mit ausfahrbaren Treppen, mehr Sitzreihen und einer kleineren Galley ausstatten. Das kann sich rasch in einigen hundert Kilogramm Zusatzgewicht niederschlagen. Übernimmt nach Stilllegung nun eine Frachtfluggesellschaft mehrere Flugzeuge desselben Typs von unterschiedlichen Vorbesitzern und lässt eine große Frachtraumtür am Bug der Maschine installieren, ist es nicht selten, dass in der eigenen Flotte das Leergewicht der Jets um bis zu eine Tonne variiert. Diese Ungenauigkeit wäre für die Ladeplanung und die damit einhergehende Berechnung des Schwerpunktes verheerend.

Israel Aerospace Industries Ltd.

Sobald die Fluggesellschaft den operierenden Jet bekanntgegeben hat, kann die Ladeplanung beginnen. Diese wird von speziell ausgebildeten Personen aus dem Loadcontrol übernommen, die entweder direkt bei der Airline angestellt sind, oder beim jeweiligen Bodenabfertiger am Abflugort arbeiten, der die Abfertigung der Maschine im Auftrag der Fluggesellschaft durchführt.

Der Flugplan setzt die Limits

Unser heutiger fiktiver Beispielflug FLR100 führt uns von Hamburg-Fuhlsbüttel nach Südeuropa zum Flughafen Mailand-Malpensa. Etwa drei Stunden vor Abflug erhält die Loadcontrol-Abteilung die erwarteten Planungsdaten zur Eingabe in deren Computerprogramm, mit dem später die Fracht auf die Boeing 737 verteilt wird.

Konfiguration des Fluges

Anhand der Stammdaten des Fluges kann nun die grundlegende Konfiguration des Jets im System vorgenommen werden. Die Registrierung der Maschine ist dabei elementar und wird zuerst benötigt. Anhand der Bestätigung der Kennung im System, meldet dieses die entsprechenden Leergewichtsdaten des Flugzeugs zurück.

Aircraft layout: Titan Airways // sketch: Marvin Schaaf

Da die operierende Flugbesatzung und die Ersatzteile zur flugnotwendigen Standardausstattung der Maschine gehören, sind diese bereits im Dry Operating Weight (DOW) inbegriffen. An Bord unseres Flugzeuges befindet sich jedoch noch eine weitere Person. Der Standardwert im System muss somit angepasst werden. Aus der Minimum Equipment List (MEL) geht außerdem hervor, dass in Laderaum 41 ein Ersatzrad weniger vorhanden ist, was ebenso berücksichtigt werden muss. Die Ausgangswerte des Jets verschieben sich dadurch wie folgt bei der Kalkulation des finalen DOW/DOI:

Aircraft layout: Titan Airways // sketch: Marvin Schaaf

Bei den Treibstoffdaten handelt es sich um vorläufige Planzahlen aus dem Airline Dispatch, die die Crew nach Eintreffen an der Maschine anhand der aktuellen Wetterlage auf der Flugroute und der tatsächlichen Zuladung finalisiert. Die Treibstofftanks befinden sind in den Flügeln des Jets und wirken durch ihre Lage neutralisierend auf den Schwerpunkt der Maschine. Um diesen Effekt bereits in der vorläufigen Ladeplanung zu berücksichtigen, können die Plandaten mit einem pauschal hinzugefügten Erfahrungswert in das Programm übernommen werden.

Aircraft layout: Titan Airways // sketch: Marvin Schaaf

Die Fracht steht bereit

Je nach Unternehmen und tagesaktueller Auslastung des Fluges sind zwei Stunden vor Abflug alle Frachtstücke für ihren Weitertransport vorbereitet. Pakete und kleinere Frachtstücke werden dabei in Flugcontainer, im Fachjargon Unit Load Device (ULD) genannt, verladen. Sperrige Ware wird auf Paletten in Kontur gestapelt und sicher vor einem möglichen Verrutschen verzurrt.

Unilode

Alle Paletten und Container müssen individuell verwogen werden. Das Gewicht wird gemeinsam mit allen relevanten Informationen zur Zuordnung der Fracht zum jeweiligen Flug auf einem ULD-Tag vermerkt, das den gesamten Transport über am Frachtgut verbleibt. Nun kann die Ladeplanung beginnen.

Das Flugzeug im Wanken?

Eine Boeing 737 Classic verfügt über drei voneinander abgetrennte Laderäume.

Aircraft layout: Titan Airways // sketch: Marvin Schaaf

Da der Rumpf zum Heck der Maschine schmaler wird, ist die hinterste Containerposition kleiner und kann nur für Containertypen mit schmalerer Grundfläche genutzt werden. Dies muss bei der Ladeplanung berücksichtigt werden.

Das Cargo Manifest für unseren fiktionalen Beispielflug liegt nun vor.

Die lose Fracht für den Flugzeugbauch wird auf dem Vorfeld standardmäßig zuerst verladen. Wie viele Postsäcke tatsächlich in die Netzsektoren geladen werden können, hängt von deren Volumina ab. Der Ladegruppe auf dem Vorfeld wird durch Loadcontrol lediglich eine vorläufige Ladeanweisung übermittelt.

Da umgebaute Boeing 737-Frachter aufgrund ihrer nachträglich eingebauten Frachtraumtür am vorderen Ende der Kabine ihren Schwerpunkt im Leerzustand sehr weit in der Front haben, wird das Verladen schwerer Frachtstücke im hinteren Teil der Maschine bevorzugt.

Heute handelt es sich um eine geringe Anzahl an Postsäcken und Einzelstücken. Die ersten 70 Säcke passen somit vollständig in die hintere Netzsektion 41. Die übrigen 60 zusammen vorbereiteten Einzelstücke und Säcke wurden in die Netzsektion 13 des vorderen Laderaums verladen. Da die Fracht bei Verladung nicht gemischt wurde, ist ein Aufsplitten der Gewichte nicht notwendig.

Aircraft layout: Titan Airways // sketch: Marvin Schaaf

Genau wie vor Zuladung der Bauchfracht befindet sich die Maschine weiterhin nicht im Gleichgewicht. Der rechnerische Schwerpunkt befindet sich außerhalb der Limits. Dies war bereits vor Zuladung im Leerzustand der Fall, da die drei Tonnen schwere Frachttür neben der Kabinentür den Flugzeugschwerpunkt stark in den vorderen Rumpfteil verlagert. Strukturelle Schäden trägt der Jet am Boden trotzdem nicht davon. Lediglich eine stabile Fluglage und ein reibungsloses Abheben wären nicht sichergestellt.

Tonnenschweres Container-Tetris

Nun warten noch elf Container auf die Planung ihrer Ladesequenz. Da der kleinere Containertyp AKE ausschließlich auf die hintere, schmalere Ladeposition geschoben werden kann, muss dieser Container dort verplant werden. Dies stabilisiert das Flugzeug wieder und bewegt den Schwerpunkt in eine flugfähige Position.

Aircraft layout: Titan Airways // sketch: Marvin Schaaf

Nun liegt es nahe, absteigend nach Gewicht die Container chronologisch auf die Ladepositionen zu verteilen. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass jede Ladeposition musterspezifische Maxima zum Schutz vor Überladung besitzt. Ebenfalls existieren zusätzlich noch kumulative Restriktionen, die einer strukturellen Schädigung des Flugzeuges vorbeugen.

Würde nun der schwerste Container mit seinen 1.600 kg auf Position L ("Lima") verladen werden, verursacht dies eine kumulative Überbeanspruchung von 42 kg in der jeweiligen Struktursektion des Rumpfes.

Aircraft layout: Titan Airways // sketch: Marvin Schaaf

Die Ladesequenz sollte demnach leicht angepasst werden. Dies erfolgt am besten durch Tausch der beiden schwersten Container. Die Flugzeugbeladung verschiebt den Schwerpunkt nun deutlich in die hintere Rumpfmitte.

Aircraft layout: Titan Airways // sketch: Marvin Schaaf

Schwerpunkt im Flugverlauf berechnen

Mit Eintreffen der Flugbesatzung an der Maschine werden der Loadcontrol die finalen Treibstoffdaten übermittelt. Zuvor wurde nur planerisch mit dem minimal benötigten Vorrat und mit Erfahrungswerten kalkuliert. Da sich die Kerosinzuladung neutralisierend auf die Schwerpunktlage auswirkt, geht hiervon bei vorausschauender Planung kein Risiko aus, nachträglich doch noch die operativen Limits zu überschreiten.

Mit Bestätigung des zusätzlichen Crew-Mitglieds an Bord und allen übrigen geplanten Flugstammdaten sowie der Eingabe der finalen Treibstoffdaten kann der Flug im System nun finalisiert werden. Für die Flugbesatzung ist der Maschinenschwerpunkt in drei Flugzuständen zur Berechnung der Klappeneinstellung und für die Programmierung des Bordcomputers notwendig.

Aircraft layout: Titan Airways // sketch: Marvin Schaaf

Die Gewichts- und Schwerpunktwerte vor Triebwerksstart an der Parkposition unterscheiden sich zum Take Off Weight (TOW) lediglich um das Gewicht des Taxi Fuels, den der Jet beim Rollen zur Startbahn verbrennt. Bei unserem Beispielflug wird rechnerisch von 200 kg Taxi Fuel ausgegangen.

Die Differenz zwischen Take Off Weight (TW) und Landing Weight (LW) ist das Gewicht der Menge des Kerosins, die das Flugzeug während des Fluges verbrennt. Dies ist der Trip Fuel, dessen 3.605 kg im Flug eine Verschiebung des Schwerpunkts um 1,59 Einheiten verursachen. Der genaue Wert wird aufgrund einer veränderten Flugbahn und möglicherweise anderen Windbedingungen abweichen und kann von der Flugbesatzung vor der Landung detailliert berechnet werden. Der kalkulierte Wert vor Abflug dient lediglich als Planwert zur Kontrolle der Einhaltung flugzeugspezifischer Limits.

Bremse lösen, Klappen stellen, voller Schub!

Sobald das Load- und Trimsheet mit allen relevanten Gewichts- und Schwerpunktdaten an die Flugbesatzung ausgehändigt wurde, kann diese mit dem Einstellen des Jets beginnen. Um in neutraler Steuerposition einen horizontalen Flug zu gewährleisten und so eine vereinfachte Kontrolle für die Piloten zu ermöglichen, muss unsere 737 gemäß ihres tatsächlichen Schwerpunkts getrimmt werden. Dazu wird die Neutralposition des Höhenleitwerks am Heck der Maschine angepasst. Mit dem Unterzeichnen aller Papiere durch den Flugkapitän und dem Schließen der Kabinentür ist die Ladeplanung des Fluges abgeschlossen.

Carlos Delgado // Wikimedia Commons // CC BY-SA 3.0

Das Jonglieren mit Gewichten in der Manege der Aerodynamik – so ließe sich wohl die Arbeit von Loadcontrol metaphorisch beschreiben. Die Boeing 737 ist dabei verhältnismäßig übersichtlich zu planen. Bei Langstreckenfrachtern mit zwei verschiedenen Decks und bis zu 35 Containern verschiedenster Typen ist eine effiziente Ladeplanung noch viel herausfordernder. Doch liegt darin nicht der Charme eines wahrlich spannenden Berufs?

Hinweis: Physikalisch korrekt wäre die Verwendung des Begriffs "Masse" anstatt "Gewicht". Da sich im Englischen die Bezeichnung "Mass & Balance" jedoch nur langsam durchsetzt, wurde hier durchweg die bekanntere Formulierung genutzt.