Verspätung: Was ist mit Russlands Retro-Passgierjet Tu-214 los?

Noch immer kein Flugzeug fertig
Was ist mit Russlands Retro-Passagierjet Tu-214 los?

Veröffentlicht am 20.09.2024

S7 Airlines ist kein Nobody im Luftfahrtgeschäft. Die größte privat geführte Fluggesellschaft Russlands besitzt eine Flotte von rund 100 Flugzeugen, mehrheitlich Airbus A320, A321 und Boeing 737-800. Diese Flotte ist mit einem Durchschnittsalter nicht mehr völlig taufrisch, aber auch weit entfernt von Überalterung. Zumal S7 die Modernisierung des Flugzeugparks mit bislang 31 gelieferten A320neo und acht A321neo bereits eingeleitet hatte. Doch dann kam der Ukraine-Krieg, mit ihm die volle Härte der Sanktionen – und seitdem ist der Carrier mit dem markanten grünen Farbkleid vom Zulauf weiterer westlicher Passagierjets abgeschnitten.

Airbus

Alternativen zu Westflugzeugen

Da wegen des Embargos von Updates, Support und Ersatzteilen für die West-Airliner auch der Weiterbetrieb der Bestandsflotte immer aufwendiger wird, sucht S7, wie andere russische Fluglinien auch, notgedrungen nach einheimischen Alternativen. Die wiederum lassen jedoch auf sie warten. Die russische Regierung will zwar bis Ende 2030 rund 1.000 neue russische Passagierflugzeuge bauen lassen, doch ausnahmslos alle der in diesem Plan berücksichtigten Muster sind gegenüber den festgesetzten Zeitvorgaben hoffnungslos im Rückstand. Das betrifft nicht nur die Leuchtturmprojekte Jakowlew MS-21 und Superjet 100, sondern auch die wiederbelebte, noch aus der Sowjetunion stammende Tupolew Tu-214.

Bis jetzt kein Flugzeug fertig

Aus einem offiziellen Kreml-Dokument vom Sommer 2023 ging hervor, dass im Flugzeugwerk Kasan bis einschließlich 2030 insgesamt 115 neue Tu-214 entstehen sollen. Dabei sah das Dokument die ersten drei Maschinen für 2023 und weitere sieben für 2024 vor. 2025 sollten es dann schon zehn neue Tu-214 sein, 2026 15 und ab 2027 jedes Jahr weitere 20. Allerdings schreiben wir inzwischen Mitte September 2024 – und bis dato haben die Russen keine einzige Tu-214 fertiggestellt. Zudem musste die Flugzeugbau-Holding UAC, die den Bau der Tu-214 in Kasan verantwortet, im Juni dieses Jahres eine ordentliche PR-Kröte schlucken: Die Aeroflot-Gruppe nahm von dem Vorhaben, bis zu 40 Tu-214 zu beschaffen, offiziell Abstand, weil ihr der Jet mit Dreimann-Cockpit zu altmodisch war. Stattdessen möchte Aeroflot nun, sofern erhältlich, lieber mehr MS-21 haben.

Rosrec/UAC

Das Dilemma von S7 und Co.

Vor diesem Hintergrund kam die Ankündigung von S7, in den kommenden Jahren 100 Tu-214 beschaffen zu wollen, dieser Tage durchaus überraschend. Allerdings unterzeichneten Airline-Chef Wladislaw Filew und UAC-Generaldirektor Juri Sljusar am 18. September in Kasan offenbar tatsächlich eine entsprechende Absichtserklärung. Über Details wie avisierte Liefertermine wurde bislang nichts bekannt. Sie dürften ohnehin Makulatur sein, solange es den Russen nicht gelingt, wenigstens eine komplett neue Tu-214 in die Luft zubringen.

Dass die technisch angestaubte Tu-214 gegenüber den hochmodernen A320neo und A321neo ein enormer Rückschritt ist, bedarf eigentlich keiner gesonderten Erwähnung. Da aber die Zulassung der russifizierten MS-21 ebenfalls in den Sternen steht und eine andere Alternative in dieser Größenordnung schlichtweg nicht verfügbar ist, verkörpert die Tu-214 aktuell tatsächlich die "handfesteste" Lösung, auch für S7. Zumal UAC plant, den Zweistrahler ab 2026 mit überarbeitetem Cockpit für eine Zwei-Mann-Crew zu bauen. Ob daraus jedoch etwas wird, muss sich zeigen – die Frage wird eher sein, ob bis 2026 überhaupt eine neue Tu-214 ausgeliefert wird.