Fliegen mit Raketentreibstoff: Wasserstoff-Flugzeuge

Wasserstoff-Flugzeuge
Fliegen wir alle bald mit Raketentreibstoff?

Veröffentlicht am 30.12.2023
Fliegen wir alle bald mit Raketentreibstoff?
Foto: Airbus

Was in der europäischen Luftfahrt derzeit diskutiert und erforscht wird, ist in der europäischen Raumfahrt seit mehr als 40 Jahren Realität: Flüssigwasserstoff als Treibstoff. Nun ist eine Trägerrakete zwar kein Flugzeug, dennoch lässt sich aus den Erfahrungen der Raumfahrtindustrie einiges lernen.

Wasserstoff bringt höchste Effizienz

"Europa hat sich sehr früh dem Wasserstoff verschrieben, weil es für die Oberstufe der höchstenergetische Treibstoff ist", erklärt Gerald Hagemann, Vice President des Liquid Propulsion Center bei ArianeGroup Deutschland. Die Kombination Flüssigwasserstoff und Flüssigsauerstoff weist den höchsten spezifischen Impuls auf. "Er liegt 30 Prozent über Kerosin oder Methan", sagt Hagemann. Der spezifische Impuls gibt den Schub pro Massenstrom an und ist eine wichtige Kennzahl für die Effizienz des Treibstoffs. "Wenn ich eine 30 Prozent höhere Effizienz habe, muss ich 30 Prozent weniger Masse [an Treibstoff; d. Red.] mitnehmen", erklärt Hagemann.

ESA: S. Corvaja

Auch für Flugzeuge von Vorteil

Dieser Umstand käme auch bei Flugzeugtriebwerken zum Tragen. Dort spricht man eher vom spezifischen Treibstoffverbrauch. Der verhält sich umgekehrt proportional zum spezifischen Impuls. Mit Wasserstoff betrieben könnten Turbofans – mit einem dafür angepassten Einspritzsystem und einer entsprechenden Brennkammer – einen deutlich höheren spezifischen Impuls und damit einen geringeren spezifischen Treibstoffverbrauch erreichen als mit fossilen Kraftstoffen.

Neue Flugzeugarchitektur

Weitere Eigenschaften machen Flüssigwasserstoff für die Luftfahrt attraktiv. Mit mehr als 33 kWh liefert er drei Mal so viel Energie pro Kilogramm wie Kerosin. Wasserstoff verbrennt im Vergleich zu Jet A/A-1 stabiler – und dabei entsteht kein CO2. Doch ist LH2 schwierig in der Handhabung. Er muss bei -253 Grad Celsius gelagert werden. Er verdampft, er dringt in Werkstoffe wie Stahl oder Titan ein und versprödet sie, das heißt, sie verlieren ihre Festigkeit und zerbröseln im schlimmsten Fall. "Wasserstoff bringt Herausforderungen mit sich, aber das tut jeder andere Treibstoff auch", sagt Hagemann.

Wasserstoff-Wissen

Auf das Wasserstoff-Wissen aus der Raumfahrt greift Airbus nun zurück. ArianeGroup, ein Gemeinschaftsunternehmen von Airbus und dem französischen Safran-Konzern, ist beim ZEROe-Flugdemonstrator mit an Bord. Dabei soll eine A380 (MSN001) als fliegender Teststand zur Erprobung eines mit Flüssigwasserstoff betriebenen Passport-Triebwerks von GE Aerospace umgerüstet werden. ArianeGroup kümmert sich unter anderem um die Entwicklung und den Aufbau einer Infrastruktur zur Betankung in Toulouse, bestimmte Komponenten wie Ventile, Leitungen und ein System zur Aufbereitung von Wasserstoff für eine Fluggasturbine und untersucht das Treibstoffverhalten in den Tanks.

Airbus

Für Langstrecke ungeeignet?

"Die Architektur eines Wasserstoff-Flugzeugs wird anders aussehen, als wir das kennen", sagt Hagemann. Die klassischen Tragflächentanks sind nicht möglich, denn die Flügel würden wegen der niedrigen Temperatur von Flüssigwasserstoff schon am Boden vereisen. Zudem muss der Wärmeeintrag minimiert werden, um zu verhindern, dass zu viel Wasserstoff während des Fluges verdampft. Deshalb sollte ein kryogener Tank möglichst kugel- oder wenigstens zylinderförmig sein. Damit müsste er in den Rumpf wandern.

Airbus

Wegen der niedrigeren volumetrischen Energiedichte von Flüssigwasserstoff wäre ein Wasserstofftank jedoch drei bis vier Mal so groß wie ein Kerosintank mit vergleichbarem Energieinhalt. Deshalb kommt Wasserstoff nur für Regional-, Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge mit einer Reichweite bis etwa 2000 Nautische Meilen (3704 km) infrage. Airbus denkt darüber nach, die Tanks im Rumpfheck unterzubringen. Es gibt aber auch ein Konzept für einen Nurflügler mit Tanks unter den Tragflächen. "Auf der Langstrecke wird auf jeden Fall Sustainable Aviation Fuel oder synthetisches Kerosin die Referenz bleiben", ist Hagemann überzeugt.

Vielfältige Schwierigkeiten

Der Oberstufentank der Ariane 5 hat einen Durchmesser von 5,40 m, ist 4,70 m hoch und hat ein Volumen von rund 70 m3. "In diese Größenordnung der Volumina gehen auch die Tanks von Wasserstoff-Flugzeugen", sagt Hagemann. Dadurch, dass es ein kompaktes Volumen sein müsse, sei das dynamische Treibstoffverhalten – das Schwappen während turbulenter Flugphasen – eine große Herausforderung. Auch daran arbeite man zusammen mit Airbus.

Airbus

Machbar, aber teuer

Was im Betrieb mit Wasserstoff-Flugzeugen zudem berücksichtigt werden muss, sind die Turnaround-Zeiten. "Man muss zusehen, dass die Standzeiten am Boden nicht allzu lang sind", sagt Hagemann. Zudem sei vorstellbar, dass die Tanks aktiv gekühlt werden. Sonst besteht die Gefahr, dass ein Teil des Wasserstoffs verdampft, bevor das Flugzeug startet. Nicht umsonst hängen die Ariane-Trägerraketen bis zum Moment des Abhebens an den Treibstoffleitungen. Abgedampften Wasserstoff könne man intelligent nutzen, beispielsweise für die APU.

"Die Herausforderungen von Wasserstoff lassen sich grundsätzlich beherrschen, dafür gibt es Lösungen aus der Raumfahrt", so Hagemann. "Aber der technische und finanzielle Aufwand wird bisher sicher noch unterschätzt", ergänzt Ludger Fröbel, ehemaliger CTO der ArianeGroup Deutschland: "Das heißt: Fliegen wird nachhaltiger, aber teuer."